Franziska Bauer für #kkl3 „Liebe kann…“
Amors Pfeil trifft jäh und schmerzlich. Der kleine Racker verwendet nämlich Brandpfeile. Wenn man Glück hat, verschießt er sie paarweise, hat man Pech, entflammt man solo wie vormals Titania mit ihrem Esel.
Offen ist auch, welche Art von Brand er legt, ein jähes Strohfeuer, das bald wieder erlischt, einen alles verzehrenden subjektiven Weltenbrand, der den Boden unter den Füßen aufschmilzt und die Getroffenen in den Hades stürzen lässt, eine kümmerliche Sparflamme, an der man sich kaum die Finger zu wärmen vermag, oder einen satten Dauerbrand, der die Be- oder vielmehr Getroffenen über etliche Heizperioden mit wohliger Wärme beschenkt.
Wie Amor seine Ziele auswählt, ist, wenn man sich so umsieht, auch nicht immer verständlich. Kompatibilität des waidwund geschossenen Paares scheint dabei kein Auswahlkriterium zu sein.
Aber manche finden sich doch. Und halten es ein Lebtag miteinander aus. Animus findet anima (oder umgekehrt), seine – oder ihre – bessere Hälfte. Erlebt das unsägliche Glück, sich im Auge des oder der Geliebten spiegeln zu dürfen und sich mit Staunen als besser gewordenen Menschen dort abgebildet zu sehen. Als glückliches Paar gebündelte Wirkmacht zu erlangen, Kraft zu schöpfen aus dem verlässlichen Rückhalt des geliebten und wiederliebenden Lebensmenschen. Vielleicht ein Kind zu zeugen, den eigenen Chromosomensatz zu halbieren und mit dem seines verpartnerten Alter Ego verschmelzen zu lassen, um die Fackel weiterzureichen im Staffellauf der Humanentwicklung…
Ja, die Liebe ist eine Himmelsmacht, ohne sie wäre es auf der Welt wohl schwer auszuhalten. Kurzum – ohne Amor geht es nicht. Irgendwie hat es aber den Anschein, dass diese herzige Allegorie eher in eine Rokoko-Schäferidylle passt als in einen zeitgemäßen urbanen Kontext. Natürlich erblüht das Wunder der Liebe auch in der Anonymität von Megacities, aber trotzdem scheint der kleine Liebesgott die Landluft mehr zu schätzen als den Großstadtsmog. Wie also steht es mit dem Leben und dem Lieben im urbanen Raum?
Viele fliehen förmlich in die Großstadt – vor der dörflichen Altweiber-Kopftuchmafia, die auf den Sitzbänken vor den Häusern ihrem Voyeurismus frönt, vor provinzieller Rückständigkeit und unerträglichem Kleinstadtmief. Fliehen deshalb, weil sie sich erhoffen, im urbanen Umfeld modernere Lebensentwürfe leben zu können. Dafür wären sie sogar bereit, den großstädtischen Mangel an mitmenschlicher Anteilnahme und Nachbarschaftshilfe in Kauf zu nehmen. Leider feiert aber überkommenes Gedankengut auch im urbanen Raum nach wie vor fröhliche Urständ: Noch hat sie Seltenheitswert, die Liebe auf Augenhöhe. Aus der Rippe Adams hat Gott Eva erschaffen, liest man in der Genesis, was allerdings auf einem Übersetzungsfehler beruhen dürfte. Denn das dort verwendete Wort „sela“ heißt nicht nur Rippe, sondern auch Stütze. Als Stütze für Adam hat Gott Eva erschaffen, wäre also als zeitgemäße Lesart angebracht. Die überkommene Vorstellung von der Frau als Heimchen am Herd und dem Mann als alleinigem Brotverdiener geistert – offenbar unausrottbar – bis jetzt in viel zu vielen Köpfen herum.
Als Beispiel dafür sei kurz auf das hochindustrialisierte und mehrheitlich urbane Japan hingewiesen, wo der Wandel des Heiratsverhaltens von etlichen Soziologen als manifest gewordene Rebellion der jungen Frauen gegen die patriarchale japanische Gesellschaft interpretiert wird. Schon 1990 fiel die Geburtenrate in Japan auf 1,57 und erreichte trotz kontinuierlicher Versuche, sie anzuheben, im Jahr 2005 den historischen Tiefstand von 1,26. Das Erstheiratsalter liegt in Japan bei 30 Jahren, fast die Hälfte der Männer und mehr als ein Drittel der Frauen zwischen 30 und 34 sind ledig, wobei wiederum nur ein Drittel der Ledigen das Single-Dasein für erstrebenswert hält. Fast neunzig Prozent der japanischen Männer und Frauen im Alter von 18-34 Jahren möchten heiraten1.
Das Dilemma missglückender Verpartnerung bringt Dr. Eckart von Hirschhausen in einem einminütigen Youtube-Video auf den Punkt: Männer wollen keine Frauen auf Augenhöhe, sie stehen lieber eine Stufe über ihnen und heiraten deshalb vornehmlich weniger gebildete Frauen. Wer hier logischerweise übrigbleibt, sind „schlaue Frauen und dumme Männer“ 2. Dieses Axiom gilt auch für den urbanen Raum, wo es statistisch besonders schlagend wird, da es gebildete Frauen vermehrt in die Großstadt zieht.
Das Phänomen der Einsamkeit inmitten von Millionen wurde schon 1966 beeinduckend von den Beatles in ihrem Songtext „All the lonely people“ thematisiert. Erstaunlich, wie lang es mitunter dauert, bis inmitten der Menschenscharen des urbanen Raumes Herz zu Herzen findet.
Dabei müsste es per se nicht so sein, dass das Stadtleben Einsamkeit nach sich zieht. Wie Ilona Hartmann richtig bemerkt, macht die Großstadt nicht einsam, aber sie macht Einsamkeit einfach. Statt mit Menschen umzugehen, ist es plötzlich ungleich leichter, Mitmenschen zu umgehen3.
Ein interessanter Gedankengang findet sich auch bei Yvonne Sophie Thöne4. Ausgehend von der Einteilung Hannah Ahrends in öffentliche und private Räume stellt sie in einer Untersuchtung über das alttestamentarische Hohelied der Liebe die die Frage, inwieweit urbane Räume überhaupt Liebesräume sein können. Ist das herkömmliche Klischee, dass private Räume vorwiegend weiblich und Kulturräume primär männlich konnotiert sind, in der Großstadt noch angebracht?
Freilich gleicht diesbezüglich keine Großstadt der anderen. In ihrem 2008 bei Suhrkamp erschienenen Buch „Soziologie der Städte“ vergleicht Martina Löw auf Seite 220 beispielsweise die Städte München und Berlin, indem sie Berlin mit Sex und Abenteuer verbindet und München Liebe und Beständigkeit zuschreibt, wenn sie sagt: „In München verliebt man sich, mit Berlin geht man ins Bett“5.
Um ein weiteres Beispiel zu nennen, sei in diesem Zusammenhang ein Aufsatz Renate Ruhnes6 angeführt, die am Beispiel des Frankfurter Bahnhofsviertels die Ambivalenz eines einzigen Stadtteils beschreibt. Die dort Wohnenden lieben einerseits die großstädtische Atmosphäre, beklagen sich aber andererseits über die im Bahnhofsviertel angesiedelte Drogenszene und vor sich gehende Prostitution.
Eines dürfen wir nicht vergessen: All das, was Menschen in die Städte zieht, seien es die Erfordernisse des Arbeitsmarktes, die besseren Ausbildungsmöglichkeiten, das Streben nach Unabhängigkeit, das bessere Kulturangebot, kann kein Ersatz sein für die unabdingbar zum Wesen des Menschen gehörende Sehnsucht nach emotionaler Nähe und Bindung im Rahmen einer funktionierenden Partnerschaft. Sozialer Rückzug hat für die Betroffenen immer fatale Folgen. Verlassen wir deshalb unsere privaten Räume und suchen wir gezielt den öffentlichen Raum auf, um aktiv Menschen zu suchen, die unsere Interessen und Vorlieben teilen und bereit sind, uns ihre Zuneigung zu schenken. Im Zeitalter der digitalen Vernetzung sollte es möglich sein, sie zu finden. Geben wir Gott Amor auch im urbanen Raum eine Chance.
Letztendlich ist unser Leben immer noch das, was wir daraus machen.
Zitierte Quellen:
1 Kottmann, Nora: Heirat in Japan: Romantische und solidarische Beziehungswelten im Wandel. Dissertation an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf 2015. Buchpublikation bei Springer VS, S.19-20.
2 Dr. Eckart von Hirschhausen: Ärzte, Frauen, Attraktivität. https://www.youtube.com/watch?v=quZ5v5T6G88,
(Zugriff am 28.2.2021)
3 https://mitvergnuegen.com/2017/macht-grossstadt-einsam (Zugriff am 1.1.2018)
4 Thöne, Yvonne Sophie: Liebe zwischen Stadt und Feld – Raum und Geschlecht im Hohelied, Berlin 2012,
LIT Verlag, S.412-413
5 Löw, Martina: Soziologie der Städte. Frankfurt am Main, Suhrkamp Verlag 2008, S.220.
6 Ruhne, Renate: Boulevard und Sperrbezirk : urbane Ideale, Prostitution und der Kampf um den öffentlichen Raum der Stadt. In: Sozialwissenschaften und Berufspraxis 29 (2006), 2, pp. 192-207.
URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-38693 (Zugriff vom 28.2.2021)

Franziska Bauer, geb. 1951, Studium der Russistik und Anglistik in Wien, wohnhaft im Burgenland, pensionierte Gymnasiallehrerin, Schulbuchautorin, schreibt Lyrik, Essays und Kurzgeschichten für Zeitschriften und Anthologien, zwei Lyrikbände beim Apollon Tempel Verlag
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Max Mustermann und Lieschen Müller, heitere Verse mit Illustrationen von Elisabeth Denner, Apollon Tempel Verlag, München 2018, ISBN-13: 978-3981876840
Auf des Windes Schwingen, zweisprachiger deutsch-russischer Lyrikband
mit Originalen und Übersetzungen von Franziska Bauer und Mary Nikolska, Illustrationen von Elisabeth Denner, Apollon Tempel Verlag, München 2019,
ISBN-13: 978-3981876888
In Druck:
Wiedersehen mit Max und Liese, zweisprachiger deutsch-russischer Lyrikband
mit Originalen von Franziska Bauer und Übersetzungen von Mary Nikolska, Leobersdorf 2021, © 2021 Franziska Bauer, ISBN 978-3-85253-691-0