Renate Schauer für #kkl3 „Liebe kann …“
Eine Krähe. Sie pickt im Gras unter meinem Küchenfenster. Keine Ahnung, was sie da sucht. Der Hund vom Nachbarn scheucht sie auf. Keine Ahnung, was er da zu suchen hat. Den Schmetterling an der Dachrinne lässt er in Ruhe. Mit dem zarten Falter wollte ich mich sowieso verbünden. Er hat genau die Farben, die ich in meinem nächsten Pullover gerne hätte. In der nächsten Saison; dahin ist es noch weit. Ich zoome den Schmetterling heran. Wie schön gezeichnet er ist! Wenn ich den Pullover bestelle, wird er schon Staub sein. Ich drücke auf den Auslöser. Damit ich seine Farben nicht vergesse.
Die Krähe kommt zurück. Der Hund wühlt nebenan und nimmt von ihr keine Notiz. Er erinnert mich an ein Foto. Da war ich ein Knirps und streichelte gerne Hunde. Ich fand ihn verheißungsvoll – diesen Pelz der anderen Lebewesen. Damit war Schluss, als ich auf dem Schulweg von einem knurrenden Vierbeiner angefallen wurde. Er biss nicht zu, es war halb so schlimm. Seither knurren alle Hunde, wenn sie mich sehen. Ich gehe ihnen aus dem Weg.
Ich blättere im Sommerkatalog. Keine Bluse mit den Farben des Schmetterlings. Diese Saison hat andere Farben. Am liebsten wäre ich so befiedert wie eine Krähe, dann müsste ich mich nicht alle paar Monate um Klamotten kümmern. Denn sogar die liebsten Teile unter den Anziehsachen zerfasern irgendwann und müssen weg. Es fällt mir schwer, mich auf Neues einzustellen, wenn mir etwas ans Herz gewachsen war, das plötzlich nicht mehr passt. Wachsen Krähenfedern nach?
Ich trete ans Fenster. Die Krähe ist noch da. Ihr Gefieder wirkt zeitresistent. Liebe kann so flüchtig sein. © RS 25.4.2021

Renate Schauer, wohnhaft im Großraum Stuttgart, unterrichtet „kreativ schreiben“.
Mein Stamm wurzelt im Journalismus.
Bald wuchsen diverse Äste in benachbarte Gattungen.
Veröffentlichungen: u. a. Sachbücher, Ghostwriting-Projekte, Rezensionen
Über Medien, Strömungen & das Wort im öffentlichen Raum reflektiere ich im KREATIV-Telegramm https://blog.journalismus-und-mehr.com/