Der Liebes – Komplex

Cornelia Koepsell für #kkl3 „Liebe kann…“


Neulich sprach ich zum wiederholten Mal über meine Zwangsidee. Geld verdienen. Mit schreiben. Ohne gleich für die Heimatzeitung zu texten. Ich lege Wert auf meine Rest – Intelligenz.

Fast alle schriftstellerischen Bemühungen sind eine Verhöhnung des grundlegenden Verhältnisses zwischen Geld und Arbeitsaufwand.  Trotzdem. Ich will Cash. Ich komm davon nicht los. Geld für meine spezielle Kombination der sechsundzwanzig Buchstaben auf unschuldigem weißem Papier.

Mein Gesprächspartner empfahl mir, mich der Ratgeber – Literatur zuzuwenden. So etwas würde richtig gut verkauft. Wie warme Semmeln. Die Leute wollen wissen, wie sie leben, lieben und sterben sollen. Früher hat ihnen der Pastor das gesagt. All die inzwischen vom Glauben abgefallenen Schäfchen brauchen Ersatz. Gurus haben Konjunktur.

Die Bibel und der Koran haben seit langer Zeit eine richtig hohe Auflage. Die will ich auch.

Deshalb versuche ich mich seit neuestem als Ratgeberin. Als erstes habe ich mich dem Themenkomplex Liebe zugewandt. Das interessiert fast jeden. Mein erstes Kapitel lautet:

Liebe ist scheiße

Ich sage das nicht aus Verbitterung oder weil es bei mir nicht klappt. Wenn es so wäre, hat es  damit  nichts zu tun. Außerdem ist es egal, ob Sie glauben, ich hätte die Schnauze voll, von was auch immer.

In meiner Kindheit hieß es ständig: „Was sollen die Nachbarn denken?“

Jetzt sind wir soweit, dass wir den Nachbarn das Denken freistellen, sollten sie in der Lage sein, diese Tätigkeit auszuüben.

Bei meiner Erkenntnis, dass Liebe scheiße ist, handelt es sich um das vorläufige  Ergebnis einer wissenschaftlichen Analyse nach der empirischen Methode.

Wir alle wurden einer kollektiven, lebenslänglichen Gehirnwäsche unterzogen und glauben, das Gegenteil sei der Fall, nämlich die Liebe – insbesondere  die sexuelle zwischen Männlein und Weiblein – das sei ganz was Tolles.

Der Bergdoktor sagt es uns in der Vorabend – Serie, Rosamunde Pilcher erklärt es um viertel nach acht vor Schäfchenwolken in einem wunderhübschen Dorf im englischen Cornwall. Die große Liebe geht immer einher mit tollen Landschaften. Das ist so bei Werbeprodukten.

Oder Dora Heldt von der Spiegel Bestseller – Liste mit ihren Hanni und Nanni Büchern für Erwachsene, die alle bei betuchten Leuten auf Sylt oder in Hamburg spielen. Mit etwas Geld lässt sich die Liebe besser saftig durchbraten.

Überall werden einem die Ohren zugedröhnt, dass ein Leben ohne die „große Liebe“ so etwas von verpfuscht sei. Wenn dem so wäre, hätten neunundneunzig Prozent der Bevölkerung genau das – ein verpfuschtes Leben. Die Leute aus den vorigen Jahrhunderten sowieso. Die wurden ja noch zwangsverheiratet.

Letzteres ist noch heute weit verbreitet in großen Teilen des globalen Dorfes, wo man den kleinen Mädchen die Geschlechtsteile kurz und klein schneidet, weil ihr Leben längst nicht so viel wert ist wie das eines Durchschnittskamels.

Haben Sie sich schon mal überlegt, wie die Welt aufschreien würde, wenn man dieses Kurz – und Kleinschneiden des besten Stücks bei Millionen von Männern praktizieren würde?

Auch wenn Sie glauben, ich komme vom Thema ab, es hat etwas damit zu tun. Das Zerschnippeln der Vagina mit Scherben oder Rasierklingen geschieht in diesen Ländern letztendlich im Namen der Liebe.  Das Mädchen soll einen Mann finden. Mit intakter Vagina ist das scheints unmöglich, so wie man hierzulande keinen Boxer – ich meine den Hund – also keinen Boxer kaufen würde, dem nicht der Schwanz – ritsche, ratsche – Sie wissen schon.

Wenn die Mädchen einen Mann abbekommen haben, sind sie dem Wert eines Durchschnittskamels etwas näher gekommen. Gewisse Alles – Versteher hierzulande nennen das den „kulturellen Unterschied“.

Ein wenig bin ich vom Thema abgekommen. Ich gebe es zu.

Wir waren dabei stehen geblieben, dass Ihr Gehirn seit Jahrzehnten mit Liebesschnulzen weich gekocht wurde, so dass es sich in eine verseuchte, versiffte Zone verwandelt hat. Deshalb kommt Ihnen meine simple Wahrheit „Liebe ist ….“ – Sie wissen schon, ich hoffe, dass Sie es bald nachsprechen können, dieser Satz erscheint Ihnen falsch.

Deshalb werde ich eine Schneise in Ihre grauen Zellen schlagen. Klar tut das weh. So ist es nun mal mit der Wahrheit. Als Belohnung verspreche ich Ihnen – es kann allerdings dauern, vielleicht schaffen Sie es nie – also irgendwann verhilft Ihnen die Wahrheit zu einer besonderen Form der Ekstase.

Zurück zur Liebe. Ich hatte mal eine junge Kollegin, die wohnte noch bei ihren Eltern. Der Vater war manisch – depressiv. Wenn es wieder soweit war und er das ihm verschriebene dämpfende Lithium nicht einwarf, weil er selbst das Gefühl hatte, ihm gehe es gerade jetzt absolut super – in eben diesen Tagen musste seine Frau mehrmals täglich ran. Er benutzte Präservative, obwohl die Frau schon achtundfünfzig war und keine Schwängerungsgefahr bestand. Anschließend hängte er die benutzten Gummis an einer Wäscheleine im Wohnzimmer auf, damit er sie später wieder verwenden konnte

Verzweifelt kam die Tochter am nächsten Tag ins Büro und erzählte vom Zeitvertreib des Vaters. Ich gebe zu, es hatte einen gewissen Unterhaltungswert, so ein Achtstundentag im Büro ist oft verdammt langweilig. Trotzdem wünschte ich meiner Kollegin, dass der Papa bald wieder zwangseingewiesen würde, damit die Familie eine Pause bekam. Die Ehefrau war ihrem Mann stets im Namen der Liebe oder schlichtweg aus Angst zu willen. Irgendwann vor fast vier Jahrzehnten hatte sie mal in einem mit Weihrauch geschwängerten Raum gemurmelt:

„In guten wie in schlechten Tagen“, ohne zu ahnen, wie schlecht die Tage werden konnten. Schon damals hatte niemand den jungen Mädchen erklärt, dass die Eheschließung noch dazu mit einem Mann, den man kaum kennt, dem russischen Roulette gleicht. Nicht jeder mag dieses Spiel.

Die Einweisung des Gatten bedeutete in diesem Fall das höchste erreichbare Glück. In regelmäßigen Abständen stattete die Restfamilie einen Besuch im Bezirkskrankenhaus ab, ansonsten war Ruhe. Am Morgen seinen Kaffee trinken, ohne gestört zu werden – das kann wahres Glück sein.

Eine andere Bekannte liebt seit zwanzig Jahren, das muss man sich auf der Zunge zergehen lasse, das sind siebentausenddreihundert Tage, hundertfünfundsiebzigtausendzweihundert Stunden und zehn Millionen fünfhundertzwölftausend Minuten, also zwanzig Jahre liebt sie einen berühmten Musiker, dem sie umgekehrt sowas von egal ist. Er hat schließlich noch mehr Fans und kann sich nicht um jede Durchgeknallte kümmern.  Ihre Wohnung ist vollgestopft mit seinen Devotionalien, unter anderem ein von ihm beschriftetes T-Shirt, an dem sie morgens und abends schnuppert, um sich an seinem längst vergangenen Duft zu berauschen, falls da jemals einer war. Sie fährt durch ganz Europa auf seine Konzerte, steht immer ganz weit vorne an der Bühne, singt jedes seiner Lieder auswendig mit und wenn ein Schweiß – oder Spucketropfen von oben auf sie herab regnet, reibt sie ihn sich tief in die Haut und wäscht die Stelle ein Jahr lang nicht. Neulich wollte sie sich mal  wieder umbringen, weil die Erkenntnis sie streifte, dass ihre Liebe nicht wirklich von Erfolg gekrönt ist. Nein – sie ist kein Teenie, sondern fünfundfünfzig Jahre alt.

Unsere Freundschaft wurde von ihr abrupt aufgekündigt, weil ich sie bat, sich Hilfe zu holen. Wie konnte ich?

Na gut – Sie können jetzt sagen, das ist ein Liebeswahn, das ist krank, das hat mit „wahrer Liebe“ nichts zu tun. Aber wie zum Teufel sieht sie denn aus, die wahre Liebe, wie soll ein Mensch sich auskennen, wenn sie einem dauernd süßliche Songs durch den Gehörgang ins Hirn träufeln.

„Ich kann ohne dich nicht sein, nicht leben, nicht sterben, nicht aufs Klo gehen.“

Neulich habe ich bei Wikipedia nachgeschaut. Dort steht unter dem Wort Verliebtheit oder, wenn man sich schlau ausdrücken will, unter „Limerenz“.

„Verliebtheit ist ein intensives Gefühl der Zuneigung. Sie wird nach Einschätzung von Psychologen von einer Einengung des Bewusstseins begleitet, die zur Fehleinschätzung des Objektes der Zuneigung führen kann.“

Es gibt massenhaft historische Beispiele,  wie ungesund die Liebe ist, wenn die Wahl den Falschen trifft. Romeo und Julia. Die kennt jeder. Aber  haben Sie schon mal von Sefton Selmer gehört, einem britischen Journalisten, geboren um 1900. Er hielt sich viel in Deutschland auf und schrieb darüber folgendes:

„Man mag darüber sagen, was man will, Deutschland war im Jahre 1936 ein blühendes, glückliches Land. Auf seinem Antlitz lag das Strahlen einer verliebten Frau. Und die Deutschen waren verliebt. Verliebt in Adolf Hitler.“

Ein kleiner wissenschaftlicher Verlag hat ein schmales Bändchen heraus gebracht mit dem Titel: „Liebesbriefe an Adolf Hitler.“

Es gab tausende davon, der Mann hatte Schlag bei Frauen und viele sind erhalten. Genau wie die heutigen Stars hat er die Briefe nicht selbst gelesen. Er hatte Wichtigeres zu tun, er war damit beschäftigt, seine eigenen Wahnideen zu verfolgen, die nichts mit Liebe, stattdessen viel mit Ausrottung zu tun hatten.

Das Buch ist das Traurigste, was ich seit langem gelesen habe. Eine Frau schreibt:

„Liebes Adölfchen, ich kann ohne dich nicht leben, nicht sein, du guter, lieber Mensch, so komm doch bald zu mir, ich leg den Schlüssel zu meiner Kammer unter die Matte, vor dem Schuppen, da wo das Brett locker ist, du weißt schon.“

Wenn eine der Damen es zu weit trieb, immer und immer wieder schrieb, dass eine Existenz ohne das Adölfchen  „lebensunwert“ sei, dann begannen die zuständigen Herren der Reichskanzlei ebenfalls zu schreiben und zwar an das örtlich zuständige Polizeipräsidium.

„Sehr geehrte Herren, die Dame Soundso, wohnhaft da und da ist nicht ganz richtig im Kopf. Bitte bringen Sie die Betreffende schnellstmöglich ins Irrenhaus.“

Es ist ja bekannt, was mit den Insassen der damaligen Anstalten geschah. Sie wurden ins Jenseits befördert. Der ferne angebetete Geliebte, das Adölfchen, sorgte dafür, dass sie nicht länger ohne ihn leben mussten.

Wahrscheinlich glauben Sie, diese finsteren Zeiten seien längst vorbei. Werfen Sie doch mal einen Blick in die Mord –und Misshandlungs-Statistiken. Dort ist leicht zu erkennen, dass der gefährlichste Mann im Leben einer Frau nicht der Schwarze Mann ist, sondern der Ehemann.

Ja, ja die Liebe. Was kann schöner sein? Träumen Sie weiter.

Neulich sah ich am Badesee ein junges, hübsches Pärchen, die schmusten und  hatten sich lieb. Selbst ich fand das richtig süß. Ich gebe zu – es kann hin und wieder  nett sein. Trotzdem wird es völlig überbewertet.

Die ganze Chose nimmt viel zu viel Zeit, Aufmerksamkeit und Hirnmasse ein, die man bestens anderweitig gebrauchen könnte.

Hier liegt übrigens einer der unschätzbaren Vorteile des Älterwerdens. Man denkt nicht mehr dauernd:

„Wird er oder wird er nicht? Wie hat er das bloß gemeint?“

Scharen von Freundinnen werden nicht mehr mit dieser speziellen Sorte des Im-Kreis-Denkens-und-Redens belästigt. Man zerstört keine wunderschönen kleinen Blumen, indem man ihnen wie ein Volltrottel mit Kartoffelbrei im Hirn die zarten Blütenblätter ausreißt und völlig sinnentleert vor sich hin murmelt: „Er liebt mich, er liebt mich nicht…“ solange bis es keine Gänseblümchen mehr auf der Wiese gibt.

Plötzlich hat man Zeit, richtig viel Zeit. Man muss nicht mal mehr Lieder singen wie „Ich lieb dich überhaupt nicht mehr….“, weil man gar nicht daran denkt. Das ist sowas von erleichternd.

Und jetzt kommt er – mein Ratschlag:

Entfernen Sie den Liebes – Wahn aus Ihrem Leben. Wahrscheinlich werden Sie glücklich. Vielleicht auch nur zufrieden.



Cornelia Koepsell Jahrgang 1955 diverse Preise und ca. 90 Veröffentlichungen in Anthologien und Literaturzeitschrift

Debütroman „Das Buch Emma“ , September 2013

Geest Verlag, ISBN 978-3-86685-409-3

Roman „Lauf weg, wenn du kannst“ Juli 2017

Geest Verlag, ISBN 978-3-86685-609-7

Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin und ZeitenGeist Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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