Neue Wege

Johanna Wurzinger für #kkl6 „Zeitenwende“


Neue Wege

Die Augen schrien vor Schmerz, lauter beinahe als das schrille, panische Quieken, das aus den Kehlen der Tiere drang. Ein reißender Strom aus Rücken, dreckverkrustet, wundgescheuert, aneinandergepresst und von der Todesangst vorangetrieben. Ein Mann kam ins Bild, in der Hand ein Gerät, mit dem er nach den Schweinen stach, das Quieken schwoll an zu einem herzzerreißenden Gebrüll, während sie flohen – in die einzig mögliche Richtung, die der vergitterte Gang ihnen ließ, und an dessen Ende, das wussten die Tiere, und das wusste Anna, etwas unbeschreiblich Grauenvolles wartete. Dann kam ihre Mutter ins Zimmer, riss die Fernbedienung an sich und schaltete um auf den Disneykanal. So etwas sollen kleine Kinder nicht sehen, schimpfte sie, doch der Anblick der gepeinigten Tiere hatte sich tief in Anna eingebrannt und seither nicht mehr losgelassen. Alle sollten so etwas sehen müssen, dachte sie. Alle.

Anna sah zu, wie der Lichtstrahl ihres Autoscheinwerfers die Ortstafeln erfasse und wieder ausspuckte: Großkirchheim, Mörtschach, Winklern, Rangersdorf. Mittlerweile tat ihr der Rücken weh, und ihre Finger waren vom langen Halten des Lenkrads steif geworden. Seit Amstetten hatte sie keine Pause mehr gemacht. Einige Kilometer nach Flattach hielt sie kurz an, um einen Schokoladenriegel zu essen und sich die Beine zu vertreten. Leichter Ammoniakgeruch lag in der Luft. Es konnte also nicht mehr weit sein. Bevor sie weiterfuhr, las sie sich nochmals Andreas Anweisungen genau durch. Das Zimmer in einer Frühstückspension war bereits reserviert. Niemand, der etwas zu verbergen hat, bleibt über Nacht, hatte Andrea gemeint, und ihr eingeschärft, mindestens drei Tage zu bleiben. Das sei ihre, Annas Feuertaufe. Und sie werde sie mit Bravour lösen, davon seien alle überzeugt. Auf den letzten fünf Kilometern wurde der Ammoniakgeruch immer stärker, brachte ihre Augen zum Tränen und ließ ihre Nasenschleimhaut anschwellen. Unvorstellbar, so leben zu müssen. Ein bisschen noch durchhalten, dachte sie, ich bin schon unterwegs. Sie achtete, so gut es in der Dunkelheit ging, auf die Topographie, versuchte sich Kurven, Bäume einzuprägen, um morgen Nacht den Weg wieder zu finden, wenn sie in die Gegenrichtung unterwegs sein würde.

Die Wirtin, eine etwas ältere Frau, untersetzt und in einer blau gemusterten Schürze, erinnerte Anna sofort an ihre lange verstorbene Großmutter. Die angebotene Tasse Tee nahm sie dankbar an.
Die geht auf´s Haus, meinte die Wirtin, und ließ sich mit einem redseligen Seufzer an Annas Tisch nieder. Anscheinend war gerade wenig zu tun. Wir haben hier selten junge Gäste, fuhr sie fort. Die meisten Jungen wollen halt den Wirbel, Musik, das alles können wir hier natürlich nicht bieten. Umso mehr freut es uns, sie lächelte Anna zu, dass es immer noch junge Leute gibt, die die Schönheit der Natur bei uns noch wahrnehmen.
Anna nickte, und ein leises Bedauern regte sich in ihr. Wenn du wüsstest, warum ich wirklich hier bin. Wenn du wüsstest, was ich wirklich vorhabe. Der Tee schmeckte ausgezeichnet, Anna trank ihn in kleinen Schlucken und spürte, wie sich die wohltuende Wärme langsam in ihr ausbreitete. Sie fühlte sich geborgen.
Die Wirtin deutete auf die Wanderkarten, die in einem Regal neben der Tür auflagen, und empfahl einige Routen. Die Möll entlang ist es wirklich schön, ein richtiges Paradies. Wälder, Wiesen, Fische, wie früher, in der Kindheit.
Anna lächelte höflich. Nostalgie half keinem weiter. Sie musste an die Staukraftwerke denken, die es sehr wohl auch in der Möll gab, an die immer größeren Schwierigkeiten, die die Fische beim Ablaichen hatten. An die 15 Hektar Bodenfläche, die in Österreich täglich zubetoniert, ausgelöscht, vernichtet wurde. Es gibt nichts Schöneres für mich, sagte sie lahm.
Bei starkem Westwind allerdings, sagte die Wirtin, und etwas Neues mischte sich in ihre Stimme, ein Anflug von Schmerz, ein Hauch Scham, gehen Sie besser in den Wald. Da riecht man es nicht so sehr. Sie verlor sich in weitschweifigen Erklärungen. Es sei schon eine Plage, andererseits, ohne die Schweinemast wäre der Bezirk wirtschaftlich am Boden; der Tourismus sei schon lange nicht mehr so ergiebig wie früher, die Sommer immer höllischer, dafür im Winter immer weniger Schnee. Da müsse man eben neue Wege gehen, auch wenn sie mit ein paar Opfern verbunden seien.
Anna Bedauern verflog. Neue Wege, sie musste ein bitteres Lachen zurückdrängen, genau diese verdammten neuen Wege waren es, die die Welt zugrunde richteten, und die Wetterkapriolen waren nur ein Symptom davon.
Die Wirtin merkte nichts von Annas Stimmungsumschwung, redete munter weiter, lächelte, schenkte Tee nach, gestikulierte. Der Florian hier, sie deutete auf einen jungen Mann, der am Tresen vor einen kleinen Glas Bier saß, unser Florian hier kann ein Lied davon singen, nicht wahr?
Der Angesprochene drehte sich um. In seinen samtigen rehbraunen Augen blitzte etwas auf, das Anna nicht ganz deuten konnte. Ärger? Spott? Er schien etwas sagen zu wollen, lachte dann aber nur und entblößte dabei eine Reihe gesunder weißer Zähne, die wie dafür gemacht schienen, in erntefrische Äpfel zu beißen.
Als die Wirtin kurz in einem Hinterzimmer verschwand, drehte er sich nochmals zu Anna um. Sie redet halt, so wie sie es versteht, sagte er. So einfach ist das alles nicht, wie es die Leute immer darstellen. Und als Anna zustimmte, deutete er auf sein Glas. Auch eines? Geht auf mich. Reflexartig lehnte sie ab. Als sie später auf ihrem Zimmer war, hätte sie sich dafür ohrfeigen können.

Am folgenden Tag unternahm sie eine ausgedehnte Wanderung durch das Umland. Sie folgte der Möll einige Kilometer weit flußaufwärts, ließ die letzten Häuser und Höfe hinter sich. Sie überquerte eine Feldparzelle, um direkt am Ufer gehen zu können. Hier und da eine Brücke, Wäldchen, da und dort ein Feld. Wenn der Mensch nicht überall eingreifen würde, in seiner Gier nach noch mehr Komfort, noch mehr Energie, noch mehr Dingen, die doch wieder nur im Müll landen würden. Wenn die Natur doch mehr Kraft hätte, um sich zurück zu erobern, was ihr gehörte. Anna spürte, wie die Wut in ihr aufstieg und all die Schönheit um sie herum vergiftete. Ein leichter Hauch Ammoniak mischte sich in die Luft.
Andrea oder einer der anderen würde später, wenn Gras über die Sache gewachsen war, Einsicht in die Grundbücher nehmen. Ausloten, wer von den Bauern am ehesten verkaufen würde. Und so vielleicht die eine oder andere Parzelle vor der Verbauung retten können – doch ihre Mittel, großteils Spendengelder, reichten von vorne bis hinten nicht aus für alles, das sie sich vorgenommen hatten.
Sie hatte sich Proviant, Schokoriegel, zwei Äpfel, etwas Gebäck, im Dorfladen besorgt. Ein kleiner Raum hinter staubigen Schaufenstern, hinter dem Ladentisch ein älterer Mann, der sie freundlich grüßte und ihr von den Plundertaschen, die seine Frau heute gebacken hatte, anbot. Zwei oder drei niedrige Regale mit Lebensmitteln. Von allem etwas, aber von nichts besonders viel. Das hatte ihr gefallen, doch nun, nach der Wanderung war sie hungrig und beschloss, im Speisezimmer der Pension zu essen. Die Wirtin schien sich zu freuen, sie zu sehen, sie habe Glück, es gebe Apfelstrudel mit Vanillesauce, auch Gemüsesuppe sei noch reichlich da. Auch Florian war wieder da, er nickte ihr zu und lächelte. Seine Augenbrauen bildeten einen perfekten Bogen. Sie lächelte zurück. Hast du einen schönen Tag gehabt? Da fällt mir ein, ich weiß ja noch gar nicht, wie du heißt.
Anna. Ihre Stimme zitterte leicht. Dumme Gans, schimpfte sie sich in Gedanken.
Anna, wiederholte er gedankenverloren, ein schöner Name, und er hielt ihre Hand eine Sekunde länger, als es üblich gewesen wäre. Seine Handfläche war hart, aber trocken und angenehm warm.
Die Härchen auf seinen Unterarmen hoben sich golden von der gebräunten Haut darunter ab. Es knisterte. Dann brachte die Wirtin das Essen, und der Zauber verflog.  Sie aß zwei Teller Suppe und anschließend ein großes Stück herrlichen Strudel, der Teig hauchzart, die Äpfel zergingen auf der Zunge.
Eigentlich hätte sie nervös sein müssen, doch sie spürte nur ein warmes Kribbeln im Bauch, und die angenehme Erschöpfung nach der langen Wanderung.  Zurück auf ihrem Zimmer, ging sie sofort zu Bett und fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

Ihr Handywecker riss sie aus dem Schlaf. Zwei Uhr. Zeit, aufzubrechen. Sie hatte einen pelzigen Geschmack im Mund, gern hätte sie Zähne geputzt, doch die Angst, jemanden im Nachbarzimmer durch das Geräusch des laufenden Wassers aufzuwecken, hielt sie davon ab. Die Gaststube, wenige Stunden zuvor noch laut und voll, war wie ausgestorben. Als sie die Tür aufdrückte, hielt sie den Atem an, doch das Schloss war gut offenbar gut geölt und klickte nur leise, als sie es hinter sich zuschnappen ließ. Der Bolzenschneider und die Spraydosen lagen sicher in ihrem Rucksack; die Handschuhe hatte sie bereits an. Anfangs ging sie die Straße entlang, später schlug sie sich in die schützende Dunkelheit der Büsche. Die Nachtluft war wunderbar lau und klar, kurz glaubte sie, in die falsche Richtung zu gehen, doch als der Wind etwas auffrischte, roch sie es wieder. Zweitausend Schweine, auf einer Gesamtfläche von wenigen hundert Quadratmetern. Unerträglicher Gestank, Gedränge. Futter aus Knochenmehl, Antibiotika und in widerlichen Monokulturen produziertes Getreide, das kein Tier in freier Natur anrühren würde. Vollspaltböden aus Beton, darüber eine Schicht aus Fäkalien. Kein Stroh, keine Abwechslung. Keine Fenster, kein Tageslicht. Nach draußen führt nur der Weg zum Schlachthof. Wo Leben zu einem Produkt wird. Während Leute wie Andrea und sie unermüdlich dafür kämpften, dass die bestehenden Mastbetriebe umrüsten mussten, dass die Konsumenten mehr Bewusstsein entwickelten für den grausamen Zyklus der Produktion, hatte dieser Betrieb hier neu eröffnet und spuckte der biologischen Landwirtschaft und den Schützern der intakten Natur mit seinen knallharten Bilanzen, seinen antibiotika- und nitritverseuchten Abwässern und seiner ammonikatgeschwängerten Abluft ins Gesicht. Sie hätte kotzen können. Der Zorn verlieh ihr Kraft, sie riss den Bolzenschneider aus dem Rucksack und machte sich an die Arbeit. Der Zaun war rasch durchschnitten; der Türriegel zum sogenannten Stallgebäude ebenfalls. Kurz wunderte sie sich, warum die Anlage nicht besser gesichert war. Hier schien jeder jedem zu vertrauen. Sie schob das Tor einen Spalt weit auf. Der Gestank war überwältigend, brannte in ihren Augen und in ihrer Nase, als hätte sie den Kopf in einen Eimer Lösungsmittel getaucht. Ihre Lunge krampfte. Reiß dich zusammen. Flach atmen. Die Schweine bewegten sich; ob sie schliefen? Anna ging langsam ein paar Schritte weit in das Gebäude hinein, Boxen links, Boxen rechts, in jede davon unzählige Tiere gepfercht, die hier dem Ende ihres sechsmonatigen Lebens entgegenvegetierten. Sechs Monate, bei einer Lebenserwartung von bis zu zehn Jahren. Das waren noch Kinder, verspielte, neugierige, kluge Kinder. Schweine wiesen in der Regel eine hohe Intelligenz auf, zeigten, sofern man sie artgerecht hielt, ein ausgeprägtes soziales Verhalten, wurden zahm, zutraulich, anhänglich. In allen Belangen wie Hunde, denen hierzulande ein schier unmoralisches Ausmaß an Vergötterung entgegengebracht wurde, was Haltung, Pflege, Futter und wer weiß was noch alles betraf.

Der Kegel ihrer Taschenlampe erfasste rosa Rücken, dicht an dicht; als die Schweine das Licht sahen, wurden sie unruhig. Sie hörte das Rutschen ihrer Hufe auf dem glitschigen Boden, das Poltern, wenn ein Tier das Gleichgewicht verlor. Fast wäre sie selbst ausgerutscht auf dem matschigen, kotverschmierten Boden. Ruhig, ganz ruhig, flüsterte sie, bevor sie zu pfeifen begann. Leise und ein bisschen schief, aber doch so, dass die Tiere sie hören konnten. Schweine, das wusste sie, hatten es gern, wenn jemand pfiff. Anna packte die Spraydosen aus und begann zu sprühen, systematisch arbeitete sie sich Meter für Meter vor. Diese Leute sollten sehen, wer hier die wahren Schweine waren. Der rote Lack glänzte feucht wie Blut im schwachen Schein ihrer Lampe, eine Parole nach der anderen, texten konnte sie, damit hatte sie die anderen von Anfang an für sich eingenommen, aber nun wollte sie aktiv sein. An der Front. Das Gebäude schien kein Ende zu nehmen, der Geruch der leidenden Tiere vermischte sich mit dem des Sprühlacks und biss in ihren Atemwegen, stach auf ihre Schleimhäute ein wie abertausende Nadeln. Das war doch Irrsinn, sie hier allein, quasi auf verlorenem Posten gegen die Übermacht der Konzerne. Sie biss die Zähne zusammen und machte weiter. Zurück am Tor, klemmte sie die Taschenlampe zwischen die Zähne und studierte nochmals den Schaltplan, den Andrea ihr gegeben hatte. Alle Boxen waren computerisiert gesteuert, verfügten über eine automatische Fütterungsanlage, Wasserbesprenkelung und – sie ließen sich per Knopfdruck öffnen und schließen. Es war einfacher, als es zunächst ausgesehen hatte. Schon öffneten sich rüttelnd die ersten Gitter, schon streckten sich neugierige Rüssel in den Gang, da hörte Anna Schritte. Schnell knipste sie die Taschenlampe aus. Das Tor rollte langsam auf. Häßlich schrammte Metall über Metall, das Quietschen jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Nie in die Defensive gehen, das war ihre und Andreas Devise. Nie klein beigeben, nie kapitulieren. Sie machte einen Schritt auf die Silhouette zu, die im Gegenlicht der Hofscheinwerfer erschien. Männlich, groß, bedrohlich, aber nicht einschüchternd, nicht für sie. Die Spraydose im Anschlag, noch ein Schritt, und dann drückte sie den Knopf, sprühte, hörte mit Genugtuung das Stöhnen des Bauern, ein gutturales, heiseres Geräusch, aus dem Überraschung und Schmerz klang, sprühte, sprühte, riss sich los und rannte.

Es dauerte lang, bis sie wieder zu Atmen kam. Die Grillen zirpten im Rhythmus ihres Herzschlags. In ihre Erleichterung mischte sich Triumph. Zurück im Zimmer, zog sie ihre stinkende, farbbeschmutze Kleidung aus und verstaute sie in einer geruchsdichten Plastiktüte. Auch die Haare würde sie waschen müssen, morgen, jetzt die Dusche aufzudrehen, würde zu viel Lärm verursachen und die anderen Gäste auf sie aufmerksam machen. Es schien ihr, als würde ihr Puls sich nie mehr beruhigen wollen, als würde das Adrenalin, das in jeder Zelle ihres Körpers pulsierte, nie sinken, doch als sie sich ins Bett legte, dauerte es keine Minute, und sie war eingeschlafen.

Am liebsten hätte sie weit in den Vormittag hinein geschlafen.
Der Frühstücksraum war, anders als am Tag zuvor, noch voll, als sie spät am nächsten Morgen herunterkam. Gemurmel, Gesprächsfetzen, Radio Kärnten. Alle Tische waren noch besetzt, die Anrichte, auf der das Frühstücksbuffett angerichtet war, noch reichlich bestückt. Die Wirtin setzte sie zu einem älteren Ehepaar, das voll Konzentration Butter auf Semmelhälften strich. Im Gegensatz zu gestern und vorgestern, wirkte sie heute angespannt, weniger mütterlich, weniger gesellig: Es habe da etwas gegeben, ganz in der Nähe. Fanatiker. Die Tierschutzmafia. Sie zwang sich, etwas zu essen, eine Scheibe Brot mit Butter und geschmacklosem Käse, eine Scheibe mit Butter und industriell gefertigter Marmelade, abgepackt als Einzelportion. Ruhig bleiben. Erstaunen und Interesse heucheln. Vandalismus beim Schweinebauern? Wer denn so etwas täte? Das Ehepaar schüttelte in perfekter Synchronizität den Kopf, krank müsse so jemand sein, also wirklich.
Wieder unternahm sie eine Wanderung; diesmal in die andere Richtung, flussabwärts. Sie genoss die warmen Sonnenstrahlen und die erfrischende Brise, die der Wind von der Möll zu ihr hertrug.  Chlorophyllgesättigte Halme, Blätter, Zweige, Ranken. Anna fand einen herzförmigen Stein, fotografierte ihn und postete das Bild auf Facebook. Während die ersten Likes eintrudelten, machte sich Optimismus in ihr breit: Es war gutgegangen, sie hatte sich wieder einmal bewiesen. Ein Zeichen gesetzt, die Welt ein Stück besser gemacht. Sie war nur eine von vielen, und sie würden siegen. Viele kleine Aktionen an vielen Orten würden Wirkung zeigen. Sicher.
Am Nachmittag setzte sie sich für eine Tasse Kaffee und ein Stück hausgemachten Streuselkuchen in den Gastraum.
Die Wirtin war damit beschäftigt, eine Gruppe von Männern zu bedienen, die entlang der Bar saßen. Derbe Schuhe, Jeans und Hemden, Haut, die viel Luft und Sonne abbekam und noch nie mit chemischen UV-Filtern oder Hyaluronboostern Bekanntschaft gemacht hatte. Stammgäste, ortsansässig. Auch Florian war darunter. Unter seinem dünnen Shirt konnte man deutlich sehen, wie seine Muskeln sich spannten und lockerten, seine Schulterblätter hervortraten, wenn er nach seinem Glas griff. Sie dachte an seine kräftigen, warmen Hände. Die Wirtin bemühte sich, Anna mit ins Gespräch einzubeziehen. Wo sie heute gewesen sei. Ob sie eine schöne Zeit gehabt habe, so ganz allein. Dass die Raggaschlucht ein einmaliges Naturdenkmal sei, das sie unbedingt besuchen sollte. Dass es schade sei, dass sie so bald schon wieder abreisen müsse, die Arbeit, nicht? Jedenfalls, sie deutete auf Florian, der sei ein wahrer Naturbursche und würde sie sicher einen Nachmittag freimachen und sie durch die Schlucht begleiten, falls sie Lust auf ein bisschen Gesellschaft habe. Warum wirklich nicht die Einladung annehmen und gemeinsam wandern? Sie war schon so lange nicht mehr mit einem Mann aus gewesen. Anna lächelte und nickte.

Florians Blick traf sie wie ein Eisdusche. Er stand auf und trat näher. Schwach konnte man noch den rötlichen Schimmer in den Augenwinkeln, um die Nasenflügel herum wahrnehmen.  Langsam nickte er. „Wir hatten schon mehrmals das Vergnügen“, sagte er dann.




Johanna Wurzinger, geboren 1983, Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaften und der Slawistik in Wien und St. Petersburg. Teilnahme an der Leondinger Akademie für Literatur. Beruflich beschäftigt als Presse- und Werbetexterin, daneben freie schriftstellerische Tätigkeit. Veröffentlichungen u.a. in Zeitschriften und Anthologien. Zwei Booklits mit Erzählungen erschienen 2019  und 2020 unter dem Titel „Leumundszeugnis“ und „Gefällt mir“ im Literatur-Quickie Verlag in Hamburg.

Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin und ZeitenGeist Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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