Kathrin Freder für #kkl8 „DasWesentliche“
Das Sein erfüllen
(zu: Ferdinand Bol,
„Die Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“,
Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gemäldegalerie „Alte Meister“)
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Ich sehe ein Bild:
„Die Ruhe auf der Flucht
nach Ägypten“
mit der heiligen Familie.
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Es zeigt Maria und Joseph
mit dem Jesuskind
kurz nach der Geburt,
dann mussten sie fliehen.
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Sie sind geflohen
vor Herodes, dem König,
der den Gottessohn
in seinem Reich nicht duldet.
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Maria ist müde.
Sie hat den Kopf aufgestützt
und ihre Augen geschlossen.
Auch Joseph scheint zu schlafen.
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Maria hält das Kind
nur mit einer Hand,
das hilflos
in ihrem Schoße ruht.
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Die heilige Familie,
wie fühlt sie sich
einsam auf der Flucht
ohne jegliche Unterstützung?
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Maria ist müde.
Sie hat Angst und Sorge.
Werden sie es schaffen,
sich die Mühen lohnen?
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Warum müssen sie fliehen?
Sie trägt doch Gottes Sohn.
Warum kann Gott nicht helfen?
Er ist doch der Vater.
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Ich betrachte das Bild.
Ich verstehe es nicht.
Ich wäre verzweifelt
an Marias Stelle.
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Verlassen ist sie.
Mit einem Kind belastet,
sie muss sich kümmern.
Warum eigentlich?
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Ich halte inne.
Bin ich egoistisch?
Ich denke an mich.
Was ist mit dem Ganzen?
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Das Ganze?
Was ist mit mir?
Zähle ich nicht?
Bin ich denn nichts wert?
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Ich schaue zum Bild.
Was bedeute ich schon?
Ich bin ein Teil
wie jedes Andere auch.
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Ich habe einen Platz
in dieser ganzen Welt
wie Maria und Joseph
und das Jesuskind.
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Sie sind müde,
doch sie weigern sich nicht.
Sie ruhen sich aus
für ihren weiteren Weg.
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Sie erhöhen sich nicht,
sie vertrauen auf Gott,
nehmen an, was geschieht,
ohne eigenen Plan.
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Sie leben in der Welt,
fliehen nicht vor der Wirklichkeit.
Sie haben Angst,
Herodes ist real.
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Ihre Angst, die führt sie.
Die Welt ist gefährlich.
Sie beachten, was ist.
So kommen sie vorwärts.
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Maria und Joseph
mit dem Jesuskind
auf der Flucht nach Ägypten,
das ist ihr Weg.
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Ich betrachte das Bild.
Ich bin nicht wichtig.
Ich gehe vorwärts
wie Maria und Joseph
und erfülle mein Sein.
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Kathrin Freder wurde 1973 in Riesa geboren. Sie studierte Rechtswissenschaften und arbeitet als Rechtsassessorin in einer Kanzlei. In ihrer Freizeit schreibt sie Gedichte, in denen sie Erlebtes aus Vergangenheit oder Gegenwart verarbeitet. Um sich bestehende Konflikte bewusst zu machen, nutzt sie oft Bilder berühmter Maler und Künstler. So entstand das Buch „Hell und Dunkel sind in uns – Hell und Dunkel, sie sind eins“, in dem sie Bilder Sascha Schneider´s zum Anlass nimmt, um sich mit sich und der Welt auseinanderzusetzen. Auch zu dem berühmten Panorama von Yadegar Asisi „Dresden 1945“ hat sie ein Gedicht „Das Ganze gilt es zu wahren“ geschrieben, welches am 06.03.2020 auf dem Facebook-Kanal vom Panometer Dresden veröffentlicht wurde. In der Anthologie „Umbrüche“ (Verlag Roloff) ist sie mit dem Gedicht „Vom Gestern zum Heute“ vertreten. Des Weiteren beteiligt sie sich an der Literaturwerkstatt des Kulturraumes Meißen – Sächsische Schweiz – Osterzgebirge.