Feuerfunken

Daniel Schulz für #kkl11 für „Es kommt die Zeit“




Feuerfunken

Aufgewacht in der Asche meiner Jugend. Aufgewacht in der Asche meiner Träume. Grau im Gesicht wie Mörtel und Zement. Einbetoniert in einer Routine, die unsere Gesellschaft ein Leben leben nennt, eine endlos-Schleife, die Zeit, sie läuft im Kreis, läuft im Kreis bis sie dich verwittert und verschleißt. Es gibt kein Entrinnen vor dem Ende. Du siehst es schon im Spiegel, als du dir selbst in deine Augen schaust. Was kann man sich noch wünschen im Angesicht des Todes? Dein Leben ist eine Batterie, welche die Gesellschaft antreibt. Die Gesellschaft ist eine Fabrik. Mund auf, konsumieren. Der Stoff auf deiner Haut ist auch nur ein Life Style, die Freiheit auch nur eine Marketingstrategie. Wir sind die interaktiven Schaufensterpuppen auf Instagram, die ständig Fotos von sich posten und einem Leben, das sie gar nicht haben. Wofür kämpfen wir noch, wenn wir doch im Grunde alles haben, sofern wir es denn kaufen können? Wofür kämpfen wir noch, wenn unser Herz nur noch ein Stück ‚freie‘ Marktwirtschaft ist?

An manchen Tagen fühlt sich diese Freiheit tatsächlich wie eine Bürde an. An manchen Tagen fühlt es sich an, als würde ich die Anlage an der ich arbeite auf meinem Buckel tragen. Das Fließband streckt seine Zunge aus, macht mir ein Gesicht, spuckt Paket um Paket in die Welt hinaus, bis ich unter einem Berg begraben liege. Der Vorgesetzte sagt, dass ich schneller werden muss. Dafür werde ich doch bezahlt. Es geht nicht nur um Wohlbefinden, sondern Wunscherfüllung. Die Welt in der wir Leben ist eine Traumfabrik. Und ich bin heute aus ihrer Asche aufgewacht mit Rissen im Gesicht, fast so als ob im Angesicht des Todes ein anderes Leben doch noch möglich wäre. Als ob im Angesicht des Todes Wiedergeburt doch noch möglich wäre, ein Aufstand gegen den Status Quo der Welt. Ich greife nach den Sternen (vergeblich). Der Mörtel bröckelt. Der Zement, er bricht. Und der Beton fällt in groben Brocken auf die Erde. Ich bin die Sehnsucht in mir.

Und in diesem Augenblick da kommt die Zeit in dem sich etwas für mich in der Welt verändert, in dem mein Körper wieder Tanz wird und auch Rausch, in dem sich etwas in Bewegung setzt wie ein Funken, der aus dem Feuer springt, und die Sterne am Himmel zum Leuchten bringt, die Zeit in dem das, was wir eigentlich begehren, endlich seine Fesseln sprengt.





Daniel Schulz ist ein U.S.-Deutscher Autor bekannt für seine Kurzgeschichtensammlung Schrei (Formidabel 2016) und seiner Arbeit als Kurator der Kathy Acker Reading Room an der Universität zu Köln. 2019 co-organisierte er für das Goethe Institut die Ausstellung Kathy Acker in Seattle und arbeitete als Herausgeber am gleichnamigen Buch das 2020 bei Misfit Lit erschienen ist. Seine Arbeiten erschienen bisher in Der Federkiel, Luftruinen, Die Novelle, The Transnational, Electronic Book Review, Mirage 5, Gender Forum, Fragmented Voices, Divanova, Versification, Kunst-Kultur-Literatur Magazin, Café Irreal, Salut L’absurde, Cacti Fur, The Wild Word, und den Anthologien Tin Soldier (2020) und Corona-Schnee (Salon29 2021), Jahrbuch der Lyrik 2021 (AG Literatur), und Heart/h (Fragmented Voices 2021)            IG: @danielschulzpoet

Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin und ZeitenGeist Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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