Alte Liebe

Ernst Rudi Schnabel für #kkl12 „Dazwischen“




Alte Liebe

Oh, diese Beiden machen mich noch fertig, mindestens nervös. Er, rüstiger Graukopf mit energischem aber immer freundlichem Blick. Stets umspielt ein weiches, scheinbar überlegenes Lächeln seine Mundwinkel. Sie, nicht minder grauhaarig, also huskyblond, mit kantigen Gesichtszügen, stets aufmerksam herumwandernden Blick, ist immer in Bewegung. Mal kramt sie in der Tasche, mal in dem Beutel, der vor ihr am Vordersitz hängt. Und dann rutscht sie einfach nur mal so hin und her. Beide sitzen in der Sitzreihe vor uns. Ich kenne sie nicht. Ich nenne sie einfach mal Otto und Ottilie. Sie wohnen im gleichen Hotel wie wir, eine Etage unter uns. Der Balkon eine Wohnung weiter versetzt, so dass wir sie auch hin und wieder dort beobachten können.

         Aber jetzt sitzen sie genau vor uns und ihr Kopf geht ständig hin und her. „Das zieht hier!“, meint Ottilie und zeigt dahin, wo ein Backenzahn sein könnte. Er fragt ganz besorgt: „Hast Du Zahnschmerzen?“ Sie: „Nein, es kommt kalt von da oben. Dreh mal da an dem Knopf.“

         Liebevoll besorgt, aber auch mitleidig, blickt er sie an, reckt sich und dreht an besagtem Lüftungsknopf der Busheizung. Es ist schon erstaunlich, wie viele Verstell- und Verdrehmöglichkeiten es gibt um es seiner Frau recht zu tun. Es dauert und verleitet auch noch den Vordermann meines Vordermanns an seinem Regler herumzudrehen. Diese Geschäftigkeit ist ansteckend. Binnen weniger Minuten drehen alle Fahrgäste irgendwann mehr oder minder intensiv an besagtem Knopf. So etwa nach zehn Minuten gelingt es wohl doch allen ihre Sitznachbarn zufrieden zu stellen.

         Da erscheint plötzlich Ottilie ein Kirchlein am Wegesrand fotografisch wertvoll zu sein. Sie macht Otto aufmerksam: „Nun knips doch mal, sonst ist das schöne Bild weg!“

         Ehe Otto den Apparat scharf gemacht hat, ist das Kirchlein am Busfenster verschwunden, einfach vorbeigerauscht. Liebevoll kritisch schüttelt Ottilie den Kopf. Zu spät. „Aber jetzt, pass auf. Da, die schöne Aussicht auf die Stadt. Drück ab!“ Gesagt, getan. Aber das eigentliche Motiv hat sich inzwischen in eine ziemlich komplizierte Straßenabfahrt, so mit Brücke oben und Brücke unten mit dazwischen huschenden Straßenbäumen verwandelt. Fern am Horizont waren noch ein paar Wohnblocks und irgendein Gebüsch zu sehen. Für Ottilie ist es sichtlich schön. Sie lächelt, legt Otto sanft die Hand auf den Arm und streichelt ihn.

Wir sind nun schon eine Woche in dem angenehmen Kurhotel. Vormittags haben wir unsere vom Arzt besiegelte Anwendungen von Massage bis Wassergymnastik und Spaziergang am Strand. Und am Nachmittag aalen wir uns bei schönem Wetter im Sand. Schon die Tage zuvor sind uns die beiden Alten aufgefallen wie sie liebevoll und gegenseitig besorgt miteinander umgehen. Meist sitzen sie am gleichen Tisch. Aufmerksam und lieb versorgt er seine Ottilie mit Kaffee und den Dingen, die gerade am Tisch fehlen. Hand in Hand schlendern dann beide nach den Mahlzeiten meist noch einmal um das Haus herum.

Heute Morgen, beim gemeinsamen Warten auf den Bus, meinte Ottilie in ihrer aufgeregten Art: „Oh! Das ist aber schön, dass Sie auch auf die Fahrt mitkommen!“ Und dann berichtete sie eifrig und aufgeregt allen anderen Wartenden von ihrem Besuch bei der Hochzeitsgesellschaft, die gestern im Hotel gefeiert hatte. Eigentlich hatte sie nur das Brautpaar sehen und ein Foto machen wollen. Aber sie und Otto wurden gleich in die Gesellschaft hineingezogen, mit einem Stück Hochzeitspastete und einem Hochzeitstrunk versorgt. Ein Hoch auf Braut und Bräutigam. Und dann wurde ein Foto ihre Trophäe.

         Ottilie schwärmte bei ihrem Bericht von der Schönheit der Braut. Auf ihre Frage an die Hochzeitsgäste, ob die junge Frau bei so viel Schönheit vielleicht ein Model sei, wurden beide belehrt, dass der Bräutigam ein englischer Student sei und die Braut als Sekretärin bei einem englischen Beerdigungsinstitut arbeite. Ein bisschen ungläubig muss Ottilie sicherlich in die Runde gesehen haben. Aber einer der Gäste hob das Glas und meinte, sie seien eine total internationale Gesellschaft: Die Braut und ihre Familie seien Polen, deren Oma aber Deutsche; Bräutigam nebst Anhang kommen aus England und sie, Otto und Ottilie als Deutsche sind deutsche Kurgäste in einem polnischen Kurhotel.

         Also, ein internationales „Hoch“ und „sto lat“ auf die Brautleute. Danach hatten sich beide aus der Feiergesellschaft zurückziehen können.

         Das alles hatte Ottilie wieder so schnell gesprochen, dass sich die Sätze fast überschlugen und nicht immer vollständig waren. Aber Otto ergriff beruhigend ihre Hände. Und wir anderen Gäste hatten alles verstanden.

         Der gerade eintreffende Bus beendete daraufhin die aufgeregten Gespräche. Der Busfahrer wurde freudig und wie ein alter Bekannter empfangen und von Ottilie mit einem „Ach ist das schön, dass wir mit Ihnen fahren können!“ begrüßt.

         Das Gewusel im Bus wich nach und nach einem geruhsamen Betrachten der vorbeirauschenden Landschaft. Ich machte Ottilie und die anderen Mitfahrer auf die im Feld stehenden Kraniche aufmerksam. Von da an musste Otto seinen Fotoapparat bereithalten. Aber Kraniche gab es nicht mehr. Dafür aber Landschaft, viel Landschaft. Und die ist ja auch sehr schön. Nur die Lehnen der unbesetzten Plätze rechts im Bus schränkten die Sicht zu dieser Seite hin ein. Eine leise Bemerkung von Ottilie zu meinem Vordermann und Otto stemmte sich aus seinem Sitz und versuchte die Lehnen herunter zu drücken. Schwierig. Aber es gelang ein paar Zentimeter mehr Sicht zu schaffen. Ottilie war vorerst zufrieden, blickte ihren Mann zärtlich an und flüsterte ihm etwas ins Ohr.

         Wenige Kilometer weiter tauchte auf der linken Seite eine herrliche kleine Kirche im Blickfeld auf. Nur, die Fensterscheiben sind etwas verschmiert: der Atemhauch von Ottilie. Dienstbeflissen sucht Otto ein Papiertaschentuch heraus, wischt die Scheibe sauber und blickt seine Gattin Anerkennung heischend fragend an. Die liebende Hand streichelt dankbar über den Arm. Ein Glitzern liegt in ihren Augen.

         Jetzt entschied sich Otto auch die Scheiben auf der unbesetzten Seite des Busses abzuwischen. Danach wieder der Blick, wieder die dankbare Geste.

         Nun wurde es jedoch anstrengend: Die Scheiben waren sauber. „Oh, sieh doch diese Landschaft! Mach schnell ein Foto. Das müssen wir den Kindern zeigen!“ Otto drückte den Auslöser. Jetzt ging es Schlag auf Schlag: Denn da waren Kühe auf der Weide, dort wieder eine niedliche Kirche, hier ein toller Blick auf den Waldrand. Jedes Klicken des Apparates wurde von Ottilie kommentiert mit: „Schön!“, oder „Ach, ist das schön!“, oder „Ach, ist das nicht schön?“ Ein dankbarer Blick und eine Streicheleinheit unterstrichen die Worte. Und Otto genoss sichtlich diese Anerkennung.

         Dankbar wurde die vom Busfahrer angekündigte Pause für biologische Bedürfnisse von allen Reisenden angenommen. Langsam schlenderten auch Otto und Ottilie Hand in Hand wieder zu Bus zurück. Sie flüsterte ihm etwas ins Ohr. Er nickte leicht, holte ein neues Taschentuch hervor und begann die Scheiben des Busses von außen abzu- wischen. Aber hier schritt der Busfahrer mit professionellem Arbeitsgerät ein und putzte alle Scheiben des Kleinbusses.

         „Danke!“, sagte Ottilie und hakte sich lächelnd, flüsternd und sichtlich glücklich wieder bei ihrem Manne ein.  

Sicherlich haben sie in ihrem fortgeschrittenen Leben schon viele Hürden gemeinsam genommen und können sich jetzt diese Liebe gönnen. Bei denen scheint die Welt in Ordnung zu sein.

         Wir beide sehen uns an. Sind wir neidisch? Liebevoll blicke auch ich meiner Frau in die Augen. Wir wollen gemeinsam alles dafür tun, dass auch unsere Welt in Ordnung bleibt und die Liebe nicht vergeht. Ich nehme zärtlich ihre Hand und mit Blick auf Otto und Ottilie verstehen wir uns wortlos.







Die Zwei

Die Zwei sind nie allein,

sie sind immer zu Zwein.

Sie wollen nie alleine gehen,

sich immer zu zweit die Welt ansehn.

Sie sind eben nie allein,

sondern immer zu Zwein.


Sie gehen tanzen nie allein,

sie tanzen immer zu Zwein.

Und wenn sie in der Sauna sitzen,

werden sie immer gemeinsam schwitzen.

Sie sind eben nie allein,

sondern immer zu Zwein.


Auch Schmerzen tragen sie nie allein

Übles überwinden sie immer zu Zwein.

Die Probleme werden auch vergehn.

Nach einiger Zeit wird es wieder schön.

Sie ertragen es nie allein,

sondern immer zu Zwein


Ist es mal soweit,

und kommt mal die Zeit,

wo sie dann alleine gehen,

erinnert sie der eine: es war schön.

Sie waren ja nie allein,

sondern immer zu Zwein.







Ernst Rudi Schnabel

  • Familienstand: verheiratet, 3 Kinder, alle außer Haus
  • Staatsangehörigkeit: BRD
  • Geb. am  17.12.1946
  • Geburtsort: Güsten /Anhalt (Sachsen/Anhalt)

Besuch der Schule bis 1966 mit Abiturabschluss an der EOS Staßfurt mit gleichzeitigem Erwerb des Facharbeiterbriefes als Karusselldreher im Maschinen- und Apparatebaus Staßfurt.1966 Arbeit als Lehrfacharbeiter für Zerspaner bis zur Einberufung zum Grundwehrdienst der NVA

1968 Aufnahme eines Studiums an der Pädagogischen Hochschule in Mühlhausen/Thüringen mit Diplomabschluss in Pädagogik, Biologie und Chemie. Diplomfachlehrer für Biologie und Chemie seit 1972Unterricht in allen Schulformen (Polytechnische Oberschule Klasse 1-10, Gesamtschule Klasse 1-10, Gymnasium Klasse 11 – 13, Abendschule ZBW Klasse 11 – 13) außer Realschule. Unterricht in der Erwachsenenausbildung (Zweiter Bildungsweg, Abendschule, Abiturausbildung); Seit 2011 im Ruhestand.

Besuch der Schule bis 1966 mit Abiturabschluss an der EOS Staßfurt mit gleichzeitigem Erwerb des Facharbeiterbriefes als Karusselldreher im Maschinen- und Apparatebaus Staßfurt.1966 Arbeit als Lehrfacharbeiter für Zerspaner bis zur Einberufung zum Grundwehrdienst der NVA 1968 Aufnahme eines Studiums an der Pädagogischen Hochschule in Mühlhausen/Thüringen mit Diplomabschluss in Pädagogik, Biologie und Chemie. Diplomfachlehrer für Biologie und Chemie seit 1972Unterricht in allen Schulformen (Polytechnische Oberschule Klasse 1-10, Gesamtschule Klasse 1-10, Gymnasium Klasse 11 – 13, Abendschule ZBW Klasse 11 – 13) außer Realschule. Unterricht in der Erwachsenenausbildung (Zweiter Bildungsweg, Abendschule, Abiturausbildung); Seit 2011 im Ruhestand.

Arbeit als Volkskorrespondent der „Volksstimme“ Staßfurt (1962-1968) und des „Neuen Tag“ (1972-1989) jeweils in Form von Zuschriften. Arbeit als freier Mitarbeiter und „Hobby-Journalist“ der MOZ, „Märkisches Echo“ unter dem Pseudonym „Aszlu Nahnel“ und „Brandenburger Blätter“ unter „Rudi Schnabel“ 1990-2004 2004 Herausgabe einer „Heilkräuterfibel“ im Eigenverlag zur Unterstützung alljährlicher geführter Kräuterwanderungen Oktober 2008 bis Ende 2012 Mitstreiter in der „Schreibwerkstatt“ Strausberg Teilnahme an Lesungen und Vernissagen Juli 2012 Erscheinen des ersten Buches „Die Reise nach Smörebröd“ Mai 2015 erscheint das 2. Buch „Der Reisetester“ bei Pro Business Berlin 2016 Arbeit am Manuskript „Vom Mittelpunkt der Welt“

2017 Herausgabe der 5. überarbeiteten und erweiterten Auflage der                                    „Heilkräuterfibel“

Januar 2021 erscheint auf der Plattform „epubli“ die „Weltreise im Corona-Schatten“

Mai 2021 geht „Vom Mittelpunkt der Welt …“ auf der Plattform „epubli“ in die                     Öffentlichkeit


Über #kkl HIER

Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin und ZeitenGeist Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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