Martin A. Völker für #kkl12 „Dazwischen“
Vom Rand in die Mitte
Wer bist du gestern gewesen? Wer wirst du morgen sein? Zermürbende Unruhe erfüllt dich. Geschlagen bist du mit Ratlosigkeit. Du fühlst dich gefangen in einer Zwischenzeit. Die Wolken in deinem Kopf verdichten und schwärzen sich, wenn ich dir sage, dass alles noch viel schlimmer ist. Deine Zwischenzeit ist nämlich das Hauptmerkmal der menschlichen Existenz insgesamt: das Eingesperrtsein zwischen Geburt und Tod. Das muss dich nicht weiter sorgen, weil du über beide Pole keine Aussage treffen kannst, die dir von Nutzen sein würde. Da diese Polkappen niemals abschmelzen werden, so richte dich ein im Dazwischen. Mensch, dein Dazwischen heißt Jetzt! Das Gestern ist vergangen, das morgige Leben noch weit. Überlasse die Ewigkeit den Feiglingen. Handle in diesem Augenblick. Und doch bleibt dein Sinn umwölkt, weil alles, was leicht klingt, meistens sehr schwer ist. Unfassbar ist ein Augenblick. Verschwunden in der Zeit, sobald du über ihn nachdenkst und dir einen Nutzungsplan für den Augenblick ausspinnst. Genau dies ist der Fehler und soll eben deine Übung sein: Denke nicht darüber nach, wie du die Dinge verwerten und benutzen kannst, sondern lasse sie geschehen. Lasse sie kommen und gehen. Sei der Ruhepunkt zwischen Kommen und Gehen. Dann wirst du erkennen, was dich erreichen will, was dich, bislang unerkannt, erreicht hat, während du bloß darauf schautest, was du erreichen möchtest, indem du alles als Vehikel gebrauchst und verbrauchst. Sei die Mitte. Merke auf das, was sich wie von selbst aus dem Augenwinkel in die Mitte deines Blickes bewegt. Es wird dich finden, was du nie gesucht hast, weil du ein solches Glück für unmöglich hieltest. Aber beschwere es nicht mit deinem Gewicht, halte es nicht fest, sondern umspiele es mit deinem Blick. Dann wirst du ewig haben, was zu besitzen unmöglich ist. Totes ist Besitz. Das Leben spricht mit dir, springt lustig um dich herum. Ergötze dich daran. Jetzt.

Martin A. Völker, geb. 1972 in Berlin und lebend in Berlin, Studium der Kulturwissenschaft und Ästhetik mit Promotion, arbeitet als Kulturmanager und Schriftsteller in den Bereichen Essayistik, Kurzprosa und Lyrik, Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland. Mehr Infos via Wikipedia.
Interview Martin A. Völker mit #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin hier.
Über #kkl HIER