Markus Förster für #kkl13 „Über den Tellerrand“
Kopf hoch
Doch sollst nach oben schauen
Über den Tellerrand
Und sitz nicht immer so krumm da
Du bekommst sonst noch Rückenschmerzen
Was sollen denn Gäste denken
Wenn wir mal Besuch bekommen
Es ist wichtig, dass man sein Gegenüber immer anschaut
Und das gilt auch beim Essen
Du brauchst keine Angst haben
Du musst nicht ständig Richtung Teller schielen
Man nimmt dir schon nichts weg
Außerdem führt man den Löffel zum Mund
Und nicht den Mund zum Löffel
Bringt man euch den gar nichts mehr im Kindergarten bei
Du isst wirklich wie ein Schwein
Immer nur hängen deine Haare im Suppenteller
Was sollen Oma und Opa denken
Wenn sie am Sonntag mit dir am Tisch sitzen
Früher hat es so etwas bei uns nicht gegeben
Und du brauchst dir ja nicht einbilden
Das wir so mit dir auswärts Essen gehen
Und Mac Donalds ist auch erst einmal gestrichen
Bis du endlich mal lernst
Über den Tellerrand zu blicken
Über den eigenen Tellerrand
Ständig werden wir ermutigt
Über den eigenen Tellerrand hinauszublicken
Sollen sinnsuchend und mit offenen Augen durch unsere geltende Gegenwart schreiten
Sollen bereit sein Neues zu entdecken
Sollen Unkritisches kritisch hinterfragen
Sollen bisher unbeachtetes erkunden
Sollen uns endlich auch einmal mit den großen Fragen des Daseins beschäftigen
Sei es
Das Zusammenspiel von Big Data und Cloud Computing
Sei es
Das Bruchverhalten von Müslisnacks am Arbeitsplatz
Sei es
Das Market Coupling in den europäischen Strommärkten
Sei es
Der Vorteile einer lakto-vegetarischen Ernährung im ländlichen Raum
Sei es
Das Gender-Mainstreaming in Kindertagesstätten
Sei es
Die Anwendbarkeit des Cleavage-Modells auf das türkische Parteiensystem
Sei es
Das Leib-Seele-Problem im Kontext psycho-somatischer Erkrankungen.
Sei es
Die Verwendung von kognitiver Metaphorik in politischen Reden
Sei es
Die Auswirkungen der Palmölindustrie Indonesiens auf Wirtschaft und Umwelt
Sei es
Die Revelanz des Körpers in der gesellschaftlichen Sozialstruktur
Und so fühle ich mich ermutigt
Einfach einmal nur in mein eigenes Süppchen zu löffeln
Über Tage
Wochen
Vielleicht auch monatelang
Ich will nicht beständig über irgendwelche Tellerränder hinausschauen müssen
Sonder will einfach nur mit dem beisammen sein
Das mir vertraut ist
Will all das genießen
Das ich kenne
Und über die Jahre so sehr lieben lernte
Viele schimpfen mich
Einen ewig Gestrigen
Einen Zeitverklehrer
Ein Vollstverschlossenen
Einen Gesellschaftsdissidenten
Nur manchmal
Heimlich
Flüsternd
Bestärken mich einige Wenige
In meinem Streben nach Wohlfühltellersicherheit
In unserer sicherheitsberaubten Zeit
Über den Tellerrand schauen
So oft beschworen
So oft eingefordert
Und doch kein immerwährendes Muss

Markus Förster , geboren 1984
Buchveröffentlichungen
2005 Bildbetrachtungen
2010 Ich suchte Glück und fand nicht mal Liebe
2013 Zweimal Liebe zum Mitnehmen, bitte!
2018 Der schmale Grad des Wahnsinns
2022 ZeitenWände
Literarischer Werdegang
2005 – 2015 politisch bedenklich?! Kolumnenserie
2005 Mitpreisträger Mittelsächsischer Lyrikpreis
2008 Uraufführung ZeitenWände im Leipziger Schauspielhaus
http://www.politischbedenklich.de
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