Bernd Storz für #kkl13 „Über den Tellerrand“
Ein Gebirge
Nach meiner Lektüre Alexander von Humboldts
Am oberen Rande des hohen Kalktraufs
welcher im Jugendalter unseres Planeten
bei Bildung des langgezogenen Beckens
das alles Wasser nördlich der noch nicht
aufgefalteten Alpen aufnahm, beginnt
eine weite unabsehbare Ebene
deren Bewohner ich wurde
die in meinen letzten Jahren
zu verdorren begann.
Wiesbadener Herbst
Grüner Filzteppich
vor arabischem Lokal.
In der Luft Wasserpfeife
und Kaugummi.
An der Schnittstelle der Stadt
kreuzen sich die Wege
ohne Begegnungen.
Eine hohe afrikanische Frau
mit wuselndem Kleinkind.
Der Zuhälter mit bloßer Goldkettchenbrust.
Der sechzehnjährige NY-Ghetto-Rapper.
Alles, das uns an etwas erinnert
täuscht.
Tauchgang
Zwischen Einschlafen und Aufwachen:
ein nur mir bekanntes
Zwischenreich.
Nie zuvor Gesehenes:
Ciliata
Bewohner der Tiefsee, ihre
bewimperte Aufmerksamkeit.
Endlich
beim ersten Schattenwurf der Morgensonne:
Ein Gedanke, der sich
selbst
auf die Spur kommt.
Beim Fernsehn
Plötzlich lässt der Vater
das Bierglas stehn
fasst mich an der Hand
wird ein Pferd
auf dem kann man reiten
hoch über den Köpfen
tief in den Wald.
hoffentlich
meine Mutter sagt hoffentlich
hoffentlich musst du das nicht erleben
sagt meine Mutter
hoffentlich
meine Mutter sagt meine Mutter
hat das schon früher zu mir gesagt
sagt meine Mutter
hoffentlich sagt meine Mutter hoffentlich
geht es deiner Mutter nicht so
wie meiner Mutter sagt meine Mutter
hoffentlich

Bernd Storz, geb. 1951 in Ravensburg, lebt als Schriftsteller und Universitätsdozent für Szenisches Erzählen in Reutlingen. Er veröffentlichte TV-Drehbücher, Hörspiele (SWR), Theaterstücke, Bücher und Essays zur zeitgenössischen Kunst, Kriminalromane, Lyrik und Bücher zur Geschichte. Zuletzt: Sommergespräche. Gedichte. Kröner Edition Klöpfer 2021. Der Autor ist Mitglied im VS, im Syndikat und Mitbegründer von STORY-CAMP.
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