Briefe an Arvo Pärt

Oya Karach für #kkl13 „Über den Tellerrand“




Sehr geehrter Herr Pärt,

kennen sie unvorhergesehenes Glück etwas teilen zu dürfen?

Es plötzlich in ihrer Umgebung zu vermuten, es langsam abzusehen und gleichzeitig jemanden berührt von dem Wandel zu wissen, den sie gar nicht kennen?

Ich schaffe Texte die sich mit verkannten Persönlichkeiten, Naturphänomenen

(vor zwei Monaten verflocht ich den Eismond und ein an mir vorbeischießendes Reh in eine Kurzgeschichte über Kontrollzwang),

Macht auf dem schmalen Grad der Gerechtigkeit

(ich balanciere sehr gerne, vielleicht leitet es ich davon ab) beschäftigen.

Gefühlsstränge in ein geschlossenes Werk zu verwandeln, die Energie zu formen,

die Menschen ein Versteck gewährt, die sich darin geborgen, berührt fühlen.

Getragen durch Töne, Bilder, Worte, die Halt ausrichten.

Es gibt keinen Adressaten der die Tauglichkeit dieses Vorgangs sicherstellt.

Sie erkennen die daraus resultierende Intention mich an sie zu wenden,

dennoch tue ich es und werde fortsetzen,

denn so ist mir gerade zu Mute, die Spontanität hat mich ergriffen.

In meiner rechten Hand befindet sich der Schlüssel der Ordnung,

er ist zum Einsatz bereit meine Räume zu klären.

Das schaffe ich täglich.

Wissen sie, der Broterwerb, die Kinder, die Familie die durch mein Bewusstsein ziehen,

liegen seit 3 Tagen ungespannt.

Allein meinem Ausdruck darf ich mich widmen, sogar noch weitere drei Tage.

Ich mache mir etwas aus meiner Lebenssituation, ich mache mir etwas daraus,

nah und fern zu wirken.

Wie gewohnt (wenn ich etwas für die Öffentlichkeit schaffe) wabert die Bitte,

den Schlüssel für die Linke zu erhalten.

Eine Bitte, die (das werden sie kennen) teilnahmslos mittreibt im Geschehen,

des Schaffens, die meine Worte grau hält, ihre Anreihung lose gestaltet.

Grau ist gut, verstehen sie mich nicht falsch,

schaffen allerdings möchte ein knalliges gelb bis dunkelrot,

das sind die Farbspektren in denen meine Worte erscheinen sollen.

Oh ihren Noten entnehme ich eine robuste Art,

sich massig auszudehnen, die gesamte Farbpalette erklingen zu lassen.

Das Sanfte vorsichtige Heranwagen der Violinen zueinander,

ihre Pausen, aus denen sie im Wechsel wiedererklingen,

als würden sie den Dialog der kurz gescheitert zu sein scheint, aus der Stille heraus wieder wagen.

Bis es so gewaltig wird, dass das Orchester ihren Klang stützt.

Ich dankbar den Schlüssel zu ihrem Versteck, dass nun zu meinem geworden ist,

zu halten, jetzt werden sie verstehen, warum ich mich entschloss, mich an sie zu wenden.

Die Unnachgiebigkeit der Violinen sich äußern zu dürfen,

dahin zu fließen in den Strom der Gemeinschaft, aus dem sie sich so siegessicher hervorheben, um sich hören zu lassen.

Durch sie gelange ich in den Raum des Mutes, erwerbe Vertrauen in die eigene Schaffenskraft.

Die Verletzlichkeit und Stärke ihres Werkes lassen mich in Ruhe meine Fähigkeiten bündeln.

Ich danke ihnen, für das unvorhergesehene Glück, ihrer Musik folgen zu dürfen.


Werter Herr Pärt.

Ich verrate ihnen, dass ich es nur mit Tinte kann, jedes Wort muss nass aufgetragen werden und erst wenn es getrocknet ist erkenne ich, durch den Wandel des Flüssigen ins Feste, seinen neuartigen Zustand an.

Nichts liegt dem Anfang mehr inne, als der Trieb es hervorzubringen,

wird sein Ende absehbar flackert das Licht zunehmend in den vernünftigen Augen.

In diesen Minuten fühlt es sich so an, als wäre ich nicht mehr im Stande zu kreieren,

nicht einmal das Ende der Kurzgeschichte.

Aus Angst heute nicht in mein Versteck zu gelangen, zu vernünftig zu sein, um sich versteckt zu fühlen, verdichten sich meine Bahnen, als könnten meine Gefäße sich verschließen.

Gut, nur die Venen besitzen anatomische Verschlussklappen, die mitunter dafür sorgen,

dass das Blut aufwärts gelangt und nicht versackt. 

Dieser Mechanismus ist natürlich,

auf diesen beziehe ich mich nicht.

Ich beziehe mich auf das angereicherte Blut in seinen Bahnen, den Arterien, Adern, Arteriolen, die alle Zellen versorgen. Diese können krampfen, denn ihre Muskelschicht ist dicker, ist gespannter als die der Venen, die dafür sorgen das nahrungslose Blut fortzubringen.

Ich fürchte, dass ich es nicht schaffe das Ende sinnvoll zu gestalten.

Obwohl ich zwei positive, ermutigende Erfahrungen,

das Glück hatte, zwei Geschichten in den Raum der Öffentlichkeit einzuspeisen,

flieht das Vertrauen.

Mein Alltag mit zwei Kindern, verlangt Vernunft als oberste Kraft.

Die rechte Hand ist stets beschäftigt.

Unter dem Schutz der Kopfhörer lausche ich aufrichtig ihrer Komposition.

An anderer Stelle sitze ich heute in meinem Zimmer mit den drei Schreibplätzen,

die ich mir im letzten Jahr einrichtete.

Auf meiner roten Ikea-Kommode, die es mir erlaubt über die Folie meines Fensters zu blicken, auf den gegenüberliegenden Werkstatthof.


Guten Tag Herr Pärt.

Mir ist es gelungen das Ende fertigzustellen.

Noch zwei Tage gebe ich den 17 Seiten über das Minimieren meiner Zwänge

Sprachschmuck nachzufordern, vielleicht noch die ein oder andere Findigkeit einzubauen.

Gedankenperlen werden hinabrieseln auf den Grund meines Bewusstseins.

Welche davon und wie viele ich für sie abschöpfen werde bleibt offen.

Wieder höre ich ihre Komposition Tabula Rasa Silentium.

Die Vorsicht der Geige ihr zartes Heranwagen die Bestätigung des Orchesters.

Die vordergründige hohe Traurigkeit die, von tieferklingenden Noten,

begleitet wird, als trüge man ein schlafendes Kind nach Hause, rührt mich ganz besonders.

Vorgestern Abend, ein gewöhnlicher Donnerstagabend, gab ich mich nach dem letzten getrockneten Buchstaben einem Film und anschließend einem Serienschauspiel hin.

Arg rang ich nach einem Ende der Schau, dass ich mir so sehr verdient hatte nach der Arbeit an den letzten zwei Seiten, die meine Herausforderung mich zu überwinden für den Leser

offenlassen sollte. Ohne zu übersehen, welche Kraft ich benötigte für den Abschied, der in der Gegenwart ungerecht zu sein schien, und keine Zukunftsseile einer Wendung zum Gerechten hin aufwies.

Tatsächlich gelang es mir, mich ihm vor Mitternacht zu entziehen.

Ein Gefühl der Bedrängnis schlich sich in mein System besetzte meine Nervenbahnen. Missmutig landete der Gedanke ich sei eine visuelle Reiznutte mit mir im Bett, die sich zu leichtfertig hingegeben hatte, an das Schauspiel,

und die dafür mit kahlen weißen Wänden bestraft wurde.

Über Nacht gelang es mir mich zu hüllen, mich wieder mir selber auszusetzen.

Glücklicherweise floss mir eine Traumszene mächtig bewusst in die ersten Momente des Morgens.

Zwei mir unbekannte Männer standen im Austausch miteinander, gestikulierten

es musste anregend gewesen sein, denn sie lachten,

ihre Augenbrauen hüpften auf und ab und ihre Füße vollzogen den passenden Auftritt.

Nahezu widerstandsfrei brachte ich mich gleich nach der Zimtschnecke und dem Kaffee zum Schreibtisch. 

Begab mich auf einen Streifzug meiner Kunst, der darin mündete dem vollendeten Werk seinen Platz zuzuordnen.

Ein Datum für die Sichtung festzulegen motivierte mich achtsamer die Perlen auszusuchen.

Ich stieß auf eine passende Ausschreibung für diese Geschichte über den Jahreswechsel in MVP.

Ich erinnerte mich an den Auszug einer Dokumentation über Gidon Kremer.

In einer Szene erzählte er, dass mein bisheriges Lieblingsstück von ihnen,

Tabula Rasa 1 Ludus wie für ihn komponiert worden sei, für ihn und seine 250 Jahre alte Geige.

Wie passend.


Werter Herr Pärt.

Heute morgen gab es Schwierigkeiten, denn einen Aspekt in der Ausschreibung sichtete ich erst gegen 10 Uhr, als ich die Geschichte über das flüchtige Treiben zwischen den Jahren

zur PDF Datei verwandelt hatte und auf meiner Vita die letzte Veröffentlichung auf der Story-App hinzufügte.

Die Ausschreibung von der ich berichtete verwies in den letzten zwei Sätzen auf einen Aspekt, den ich eben dann erst, nachdem zweiten Frühstück erfasste.

Fiktiv sollte die Geschichte gestaltet sein, es sollte realitätsentzerrende Zeitsprünge geben.

Unter enormen Aufwand verwob ich die Zeitsprünge mit der Realität, so dass der Leser den Bezug nicht verliert in den 4 Tagen in MVP.

Für die Motivierten, die gerne selbstständig die chronologisch korrekten Zeitpunkte aneinanderreihen, fand ich geschickte Übergänge dafür.

Die Realität sollte aber gänzlich enthebelt werden, nein nicht in meinem Text,

ich schrieb ein Netz aus Realität.

Am Mittag sah ich nichts weiter als die Bedeutungslosigkeit meiner Mühen.

Die aufgekeimte Motivation von gestern erschien mir wie Giftpfeile,

die meine Worte zersetzten.

Die Hemmung vereinnahmte mich an den Stellen, an denen zuvor der Mut seinen Austritt fand.

Ordentlich überwand ich mich meine Kleider zu falten, lange weiße Tischdecken zu bügeln, und zwei Blusen legte ich auf die Mauer draußen, dabei

schacherte ich mit mir, als gäbe es noch eine unbedarfte Kraft,

die ich bisher nicht genutzt hatte, um das fiktive Element einzuflechten,

so schwer würde es nicht sein, meine Kompetenzen, sicher nicht übersteigen.

Aufgezehrt von der Sinnlosigkeit die 6000 Worte fertig überarbeitet zu haben,

ihren Wert gesehen und nun von der Möglichkeit beraubt sie zu zeigen, rief ich am Nachmittag meine Schwester an.

Ich muss ihnen sagen, dass wir nicht blutsverwandt sind. Unsere bisher bereisten Seelenfelder verschwestern uns in einen Bund der, sich aus Schaffen und gegenseitiger Betrachtung speist.

Sie zeichnet wissen sie, akribisch, präzise, aus allen Lagen hebt sie die intimsten Regungen hervor, so dass man in ihre Bilder einfallen muss, wenn man sieht.

Sie riet mir ich sollte mich nicht hinhalten, mir nicht irgendein zeitloses Versprechen geben, dass ich die Kurzgeschichte irgendwann veröffentlichen würde.

Und das Herr Pärt, das kennen sie bestimmt, war ich unfähig die Taktik des eigenen Herzens zu erkennen, dass aus Ratlosigkeit zur Ablehnung schlägt.

Nein ich muss ihr den Auftritt gewähren, sagte meine Schwester.

Nicht morgen, nächste Woche oder im Sommer. Heute.


Guten Tag Herr Pärt.

Heute öffne ich mich erstmals einer weiteren ihrer Kompositionen,

es gehört auch zu Tabula Rasa und heißt Fratres.

Gidon Kremer spielt die Geige, die sanfter ausklingen darf und von tieferen längeren Phasen des Orchesters, in das die Geige nicht hineinstürmt und aufwirbelt, unterstützt wird.

Das passt wunderbar zu meiner Stimmung, mich sachte durch den Tag zu bringen.

Voller Erleichterung teile ich ihnen mit, dass ich sogar zwei Ausschreibungen fand,

zweimal also verfasste ich eine Mail mit meiner Vita und der Neujahrsgeschichte an Verlage.

Die hohen Ausschläge der Euphorie nachdem absenden halten meine Augen und Ohren offen.  Raffen Augenblicke zusammen, die sich mir bieten, um mir das zu wünschen was mich mehr umgeben soll.

So ist es doch Herr Pärt mit dem wollen, mit dem Annähern und bewusst werden von Wünschen.




Oya Karach wurde als Adina Mattulat in eine sozialistische Arbeiterfamilie in Halle/Saale geboren.

Früh wurde ihr Sprungtalent auf dem Trampolin, Balken und Barren erkannt und gefördert.

Nach dem Mauerfall fuhr sie mit ihren Eltern einwandfrei in einem -Wartburg zum Dümmer See.

Dort wurde sie von der Gymnastik zum Handball, Tennis und Fußball gebracht, bis Disziplin und Ehrgeiz von der Pubertät verschlungen wurden.

Das Schreiben verführte sie als junge Erwachsene in Minden neben der Ausbildung zur Physiotherapeutin.

Seither (19Jahren) stellen sich die Physiotherapeutin und Schriftstellerin die Frage, wer mehr Zeit verdient. Geld verdient sie als Physiotherapeutin.

11 Jahre lebte sie wurzelfrei in Köln, wo sie in windigen Kneipen und behaglichen Cafés ihre Kurzgeschichten las.

Seit 2010 wuchsen Verbindungen in die Berliner Erde, die ihr Halt geben als alleinerziehende Mutter zweier Kinder (w10, m13).

Im September veröffentlichte sie einen Blog für Physiotherapeuten und die erste Kurzgeschichte auf der storyapp.

Den im Sternenkreis des Feuers geborenen hängt immer etwas Asche im Haar und schwelt Glut in den Händen.





Über #kkl HIER

Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin und ZeitenGeist Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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