Maria-Christina Schinko für #kkl13 „Über den Tellerrand“
Cancelling my Schnitzel
Über den Tellerrand.
Über den Tellerrand.
Ich schiebe mein Schnitzel über eben diesen so weit drüber, bis es an einer Seite den Tisch berührt. “Mahlzeit”, sage ich zu mir, schneide ein Stück ab, stecke es mir in den Mund und scrolle beim Kauen durch meinen Feed. Da, wo sich jede:r bemüßigt fühlt seine Beobachtungen jener, die nicht beobachten, mitzuteilen. Da, wo sich jede:r der Kleingeistigkeit bezichtigt. Da, wo es jede:r besser weiß. Da, wo jede:r meint, vor Kurzsichtigkeit gefeit zu sein und mit Röntgenaugen durch die bunten Filter hindurch aus der Blase sehen zu können. Hindurch und hinunter zum Boden der Tatsachen. In die Realität. Sei froh, dass du hier gelandet bist, rufen sie dir zu. Nur ihr Blick ist der wahrhaft Erwachte. Sie erklären, unterrichten, weisen an, weisen zurecht und im Zweifelsfall tadeln sie, wenn du dummes Kind wieder einmal von alledem nichts wissen möchtest. Hör zu und sei ihrer Meinung. Denk nicht zu lange nach, wage es nicht zu widersprechen. Sei doch dankbar, dass du hier gelandet bist. Sie öffnen dir die Augen, sie wecken dich auf, sie machen dich zu einer der ihren. Was soll das heißen, du bist anderer Meinung? Raus mit dir, raus aus der Klasse, raus aus dem Feed, Türe zu, Schlüssel weg, entfriendet, blockiert, Ende Gelände. Chance vertan. Diskutieren zwecklos.
Ich verschlucke mich an der Haltung. Mit dem Heimlich-Griff rettet mir der Kellner das Leben. “Nehmen sie das lieber mit”, sage ich zu ihm. “Das schmeckt mir heute gar nicht.”
Maria-Christina Schinko
Geboren 1982 in St. Pölten. Studium der Publizistik und Politikwissenschaft in Wien und San Sebastián / Spanien, Arbeitsaufenthalte in Salzburg, Portugal und Graz. Absolventin der Studienergänzung Rhetorik an der Universität Salzburg und der Leondinger Akademie für Literatur. Lebt und arbeitet als freiberufliche Werbetexterin in Wien. Schreibt Kurz- und Kürzestprosa, Drehbücher und Tagebuch.
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