Ingeborg Henrichs für #kkl14 „Es ist schon alles da“
Foto
Da lacht mich jemand an, aus einem Foto heraus. Jahrzehntelang habe ich dem keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Es ist meine Vorfahrin, die Großmutter, meine Oma, die immer mal wieder zum Heiligen Antonius in die Dorfkirche ging, vor seiner Statue betete und der dabei auch Gedichte in den Sinn kamen. Einige ihrer kleinen Werke seien so entstanden, wird heut noch gern von ihren, nun auch hochbetagten, Töchtern erzählt.
In meiner Schreibtischschublade, ganz tief hinten, handgeschrieben auf mittlerweile vergilbtem Linienpapier ihres Tagebuches stehen einige von Omas Gedichten.
Über ihre Jugendzeit z.Bsp., in den Anfangsjahren des letzten Jahrtausend.
Schön zu lesen sowie zu betrachten. Niedergeschrieben in altdeutscher Schreibschrift, gestochen scharf, fein säuberlich die Linienführung, beinah wie gemalt wirkt das Schriftbild, die Tintenfarbe mittlerweile zart verblasst strahlt auf uns heutige diesen gewissen Charme von Nostalgie aus. Ihre Gedichte tragen Titel wie ua „Lämmchen“, „ Auf der Schweiz“, „Gedanken zur Mitternacht“, ein Liebesgedicht für ihren in Kriegsgefangenschaft geratenen Ehemann.
Oma bevorzugte die Reimform, mehrstrophig und inhaltlich in sich abgeschlossen.
Um ihre Schreibschrift fehlerfrei „ entziffern“ zu können, ich gebe es zu, diktierte mir meine Mutter die Gedichte ihrer Mutter. So habe ich sie für mich lesbar vorliegen, ganz unspektakulär am computer getippt und einfach mal zum Stöbern für die nächsten Generationen geborgen …
Schräg hinter mir an der Wand, auf leicht verblasstem Foto im Silberrahmen, eingereiht zwischen anderen gerahmten und ungerahmten „ Erinnerungsstücken“, Bildern und Fotos, die lachende, damals achtzigjährige Jubiliarin, in aufrechter Haltung, neben sich einen prachtvollen Blumenstrauß. Sie trägt ein elegantes grünes Kleid, dazu edlen Seidenschal und Perlenkette, die schlichte Knotenfrisur älterer Damen dieser Zeit und eine Brille, die ihr gut steht.
Über dreißig Jahre später sitze ich am computer und hinter mir das Foto meiner Vorfahrin, der Großmutter, meiner Oma, die mich anlacht.

Ganz weit
Ganz weit da draußen
Ganz tief in mir
Geht es nicht weiter
Das Nichts bleibt stumme Leere
Gedanken Gesetze erkannt
Errechnet und benannt
Meine Grenzen füllen Bände
Ganz weit da draußen
Ganz tief in mir
Ich verneige mich vor Dir

Brunnen
Ein Blick in den Brunnen der Träume
Und unbändig unerschütterlich
Grüßt dieser Augenblick
Einer ewig sprudelnden Freiheit

Ingeborg Henrichs, zuhause in Ostwestfalen, verfasst kürzere Texte. Einige Veröffentlichungen. Schätzt das Schöne und Nützliche in Natur und Kultur.
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