Deborah Klein für #kkl14 „Es ist schon alles da“
Solitär
Die Patience geht nicht auf. Ich klappe den Laptop zu. Mir tun schon die Augen weh. Das waren bestimmt zwanzig Spiele. Vor acht Uhr morgens. Nicht gut für die Augen. Und überhaupt.
Ich klappe ihn wieder auf. Die nächste passt. Unter vier Minuten. Keine Kunst, ist ja ein Glücksspiel. Aber nicht nur. Warum vergeude ich damit meine Zeit. Weil ich davon ruhig werde. Weil sich im Hintergrund meine anderen Gedanken sortieren. Weil es eine Art von Lösungen gibt, die nicht darin bestehen, das angeblich Nächstliegende zu tun, sondern auszuprobieren, ob ein anderer Weg schneller zum Ziel führt. New game.
Als wir von Mexiko nach Mallorca zurückgekommen sind, waren wir froh, zuhause zu sein.
Als wir von Mallorca nach Brandenburg zurückgekommen sind, waren wir froh, zuhause zu sein.
Wir sind zuhause, es ist schön hier, wir haben so viel Platz. Aber du hast nicht die richtige Arbeit. Du steckst fest. Wir können nach Norden gehen. An die Ostsee. Du findest dort Arbeit als Bootsbauer. Deine bisherige Ausbildung reicht nicht zum Studieren. Was würdest du denn damit wollen, mit einem Studium? Und was würdest du hier mit irgendeinem Job wollen, der dich gerade über Wasser hält, dir aber nichts gibt, dich nicht fordert oder weiterbringt? Du bist Bootsbauer. Du willst an die Ostsee. Also lass uns an die Ostsee gehen. In Brandenburg kann man nicht segeln.
Ich stelle mir das Weggehen vor. Eine kleine Wohnung auf dem Land. Oder in Kiel. Oder Mölln.
Das große, alte, verwegene Haus im Osten abgeben. Es zerfällt ohnehin allmählich.
Den verwilderten Garten zurücklassen. Mein Leben hier zurücklassen.
Wir werden es überall schön haben. Es ist schön, so viel Platz zu haben. Wild und frei zu leben an einem vergessenen Ort. Aber es ist nicht alles. Du träumst immer vom Meer. Es lässt dich nicht los. Wenn du hierbleibst, wirst du unglücklich. Warum solltest du einen Kompromiss machen, der dich nicht weiterbringt?
Greta fragt mich und was ist mit dir? Was ist mit mir? Ich bin frei. Ich hätte Lust, weiterzuziehen. Ich würde mich freuen, zurückzukommen nach Schleswig-Holstein. Dort fühlt sich für mich alles leichter an als hier. Die Leute sprechen meine Sprache. Vertraut. Die lange Zeit hier im Osten war schön. Aber sie ist sehr schwer geworden. Ich habe hier viel gewonnen und viel verloren. Das Leben geht weiter. Ein Neuanfang ist eine Chance. Ich werde unser Haus, unseren Garten, die melancholische Landschaft, die Kraniche, die Stille vermissen.
Stattdessen werden wir an der Ostsee sein. Viel dichter besiedelt, Schleswig-Holstein. Ja. Kein richtiges Meer, die Ostsee. Ja. Aber schon ein Meer, oder? Mittelmeer, Atlantik, Pazifik. Das sind Meere. Stimmt. Wir wollen doch reisen. Segeln. Weit weg. Und zurück kommen und trotzdem am Wasser sein. Nicht an einem See. Über die Ostsee kommen wir überall hin. Stimmt. Und die Ostsee hat eine schöne Farbe und guten Wind. Möwen.
Es fühlt sich an wie Aufräumen. Ersatz-Aufräumen am Computer. Übersprungshandlung. Unser Leben wird neu sortiert. Wir müssen uns neu aufstellen. Ich fange schon mal mit den Karten an. Rot, Schwarz. Rot, Schwarz. Was weg kann, kann weg. Aber nicht zu voreilig. Lass diese Karte noch liegen. Ich passe auf, dass du mich nicht dabei erwischst. Solitär! Nicht zu fassen.
Die Katze schnarcht. Sie hat ihr ganz eigenes Tempo. Eigentlich schläft sie nur. Oder sie putzt sich. Das Futter schmeckt ihr nicht. Es gibt kein anderes. Sie soll rausgehen und sich eine Maus fangen. Stattdessen sitzt sie vorm Aquarium. Die Fische gefallen ihr. Leopardbärblinge, ziemlich quirlige Tiere. Die Katz sitzt ganz nah davor und schaut ihnen zu. Sie hat längst aufgehört, die Scheibe zu berühren. Das hatte sie anfangs noch probiert. Jetzt schaut sie nur. Ihre Ohren, ihr Kopf und ihr Schwanz machen die zuckenden Bewegungen der kleinen Fische mit. Sie friert, so wie wir.
Deborah Klein
„Ich bin 48 Jahre alt, habe Deutsch, Geschichte und Schulmusik studiert, den Beruf als Lehrerin aber nicht ausgeübt, sondern bin Schauspielerin, Bühnenmusikerin und Klavierlehrerin geworden.
Ich lebe und arbeite in Berlin und Brandenburg und schreibe seit meiner Kindheit Kurzgeschichten und andere Texte, die ich bisher nicht veröffentlich habe.“
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