Rada Rank für #kkl14 „Es ist schon alles da“
Der Fluss an Büchern
In meinem Kinderzimmer steht neuerdings ein kleiner Tisch. Ich benutze ihn als Schreibtisch. Da seine Platte aus in lockeren Abständen verschraubten Latten besteht, gestaltet sich das Schreiben auf dem neuen Schreibtisch schwierig. Aber, und das ist das wichtigste, es ist nicht unmöglich.
Bevor ich lesen kann, schreibe oder male ich Buchstaben. Sie erscheinen schneller auf dem Papier, als dass ich sie entziffern kann. Eigentlich, so sagt man mir, kommt erst das Lesen. Aber Bücher sind erst einmal unverfügbar. Da gibt es noch Packungsaufschriften, die Buchstaben auf der Straße und in dem zerfetzten „Max und Moritz“ Heft, mit dessen Hilfe Vater einst die Sprache lernte.
Durch die Glasscheibe der Wohnzimmertür dringen Geräusche, wie sie nur ein Fernseher machen kann. Mutter, Vater und Bruder schauen fern. Oder ist sie noch auf der Arbeit? Es ist nicht mehr als gerahmtes Glas, was uns trennt. An diesem Abend und auch sonst. Es liegt vielleicht daran, dass ich als Freak geboren wurde. Aber meist sind die Ursachen vielfältiger.
Mutter bittet mich für ihren Arbeitswagen ein Schild mit der Aufschrift „Nehmen Sie sich, was Sie brauchen.“ zu schreiben. Ich sitze an meinem Schreibtisch. Erst ist der Schreibtisch in mein Leben getreten und als nächstes würde ich die Bibliothek meiner Geburtsstadt besuchen.
Die Bücher stehen in Regalen bis unter die Decke. Ich habe noch keines davon gelesen. Aber wozu brauche ich eigentlich noch einen Schreibtisch? Alle Bücher dieser Welten und Leben sind doch schon geschrieben. Ich fühle mich erschlagen, greife nach „Shalom, Ruth, Shalom“ und verlasse die Bibliothek.
An meinem Schreibtisch notiere ich die Bücher, die ich lese, in einen Block. Und eine Kurzgeschichte mit der Protagonistin und dem Titel „Bernhardia“ fließt mir aus der Feder. Es sind schon alle Geschichten da und ich empfinde trotzdem die Notwendigkeit weiter welche zu schreiben. Es ist ja nur eine ganz kleine Geschichte und zum Geburtstag bekomme ich ein kariertes Notizbuch, das mein Tagebuch wird. Da niemanden eine weitere Geschichte interessiert, bin ich darin schließlich frei zu schreiben, was ich will.
Rada Rank, geb. Grbic
am 19.09.1978
in Rüsselsheim
Empfangssekretärin, Wiesbaden
Studium Germanistik, Philosophie und Pädagogik, Mainz
zwei Söhne (14 und 2)
wohnhaft auf dem Land zwischen Augsburg und München
Über #kkl HIER