Katharina Marija für #kkl14 „Es ist schon alles da“
Berufung
Sie strich erneut über den glatten Stoff ihres Businesskostüm. Ihr Atem ging schnell, während sie auf die Uhr sah, die in dem kleinen Raum hing. Das Ticken hallte durch ihren ganzen Körper bis auf ihre Knochen und brachte sie zum Zittern. Ihr rechter Fuß in dem schicken Schuh wippte aufgeregt, was sie dazu veranlasste, ihn neben den anderen auf den Boden zu stellen. Die Schuhe hatte ihr ihre Freundin geliehen. Diese hatte sie ebenfalls getragen und ihr versichert, dass sie zu ihrem Erfolg beigetragen hätten. Dress to impress. Das zumindest war es, was sie versuchte. Sie sah erneut auf die Uhr, deren Zeiger inzwischen sechs Minuten Verspätung anzeigte. Die 26 Minuten, die sie hier schon saß, fühlten sich nach einer maßlosen Untertreibung an. Sie hoffte, dass das keinen schlechten Eindruck auf ihre Gesprächspartner machen würde. Sie hatte bei der Vorbereitung auf dieses und viele weitere Gespräch gelesen, dass zu früh zu kommen ebenfalls einen Mangel an Pünktlichkeit anzeigte. Sie ärgerte sich, dass sie dennoch extra drei Bahnen zu früh genommen hatte, um keinesfalls zu spät zu kommen, und darüber, dass sie die Nacht vorher kaum geschlafen hatte. Das passierte ihr immer wieder vor diesen Gesprächen. Sie hatte heute um drei Uhr morgens sogar ein leichtes Beruhigungsmittel nehmen müssen, um weiterschlafen zu können. Ihr Sitznachbar hustete, die Frau gegenüber atmete hörbar. Neben ihr saßen 4 weitere Menschen in dem kleinen, fensterlosen Raum. Sie konnte nicht umhin, sie verstohlen zu betrachten und versuchen heimlich zu ergründen, wer ihr größter Konkurrent war.
„Frau… Kova… Kowazevik? Anna Kovacevic?“ mühte sich die Frau in den Vierzigern mit ihrem Namen ab, den sie von einem Clipboard ablas. Anna hielt den Atem an und stand auf, während sie hastig ihre Jacke und Tasche griff.
„Das bin ich. Guten Tag.“ Sie streckte der Frau die Hand aus. Diese schüttelte ihr nach kurzem Zögern schlaff die Hand.
„Folgen Sie mir.“ Während die beiden den Raum verließen, konnte Anna die bohrenden, sehnsüchtigen, enttäuschten Blicke der Wartenden in ihrem Rücken spüren. Sie durchquerten einen Flur und die Frau mit dem Clipboard öffnete die Tür in einen hellen Raum. In der Mitte stand ein langer Glastisch mit schwarzen Lederstühlen. Die gegenüberliegende Seite des Raums zierte eine Fensterfront, alle Wände waren weiß. In einer Ecke stand eine dekorative Pflanze. An dem Tisch saßen 4 gutgekleidete Männer und Frauen, vor allen stand ein Laptop. Die Frau mit dem Clipboard setzte sich zu ihren vier Kollegen hinter ihren Laptop auf ihren Stuhl. Anna setzte sich auf die andere Seite des Tisches auf den einzigen dort bereitstehenden Stuhl.
„Guten Tag Frau…“ begann die Frau, die in der Mitte ihrer Kollegen saß und sie erwartungsvoll ansah.
„Kovacevic“ half Anna ihr.
„Frau Kowaschevisch. Herzlich willkommen. Mein Name ist Emilia Fischer, ich bin die Leiterin der Abteilung Consumer Experience and Nutrition hier an diesem Standort. Erzählen Sie mir, wer sind Sie und was hebt sie von den zahlreichen anderen Bewerbern ab?“
„Guten Tag, Frau Fischer“ begann Anna und holte tief Luft. „zunächst einmal bin ich Ihnen sehr dankbar, dass Sie mir diese Chance ermöglichen, mich hier bei Ihnen zu bewerben. Zu mir: Ich bin 29 Jahre alt und promovierte Lebensmittelchemikerin. Ich bin also mit Lebensmitteln, deren Komponenten und Zubereitung bestens vertraut. Während des Studiums habe ich als Werkstudentin in der Qualitätssicherungsabteilung der Südzucker AG gearbeitet. Dort habe ich gelernt, mich in ein Team zu integrieren und sowohl wirtschaftlich und effizient als auch sorgfältig zu arbeiten. Ich habe das Studium an der Freien Universität Berlin mit einer Abschlussnote von 1,0 abgeschlossen und nach meiner Promotion dort 4 Jahre weiter als Post-Doc gearbeitet. Meine wissenschaftliche Tätigkeit hat mich Durchhaltevermögen und Arbeitsbereitschaft gelehrt. Jetzt bin ich auf der Suche nach einer neuen Herausforderung.“ Während sie redete, tippten 3 der Mitarbeiter ihr gegenüber konzentriert auf ihren Tastaturen. Die vierte sah ausdruckslos an ihrem Gesicht vorbei an die Wand. Emilia Fischer sah sie konzentriert an.
„Ich weiß, das steht alles in ihrer Bewerbung. Aber was macht Sie besonders?“ Anna atmete erneut tief durch und richtete den Oberkörper auf.
„Ich habe mich schon immer für Lebensmittel und deren Zubereitung interessiert. Kochen war schon als Kind meine Leidenschaft und mein Studium hat mich darin noch bestärkt, da ich endlich die naturwissenschaftlichen Grundlagen dazu verstanden habe. Es war mir schon immer ein Anliegen, andere für Essen zu begeistern. Es ist mir wichtig, dabei Klassiker und neue Ideen zu vereinen und so authentische neue Gerichte zuzubereiten. Diese Leidenschaft ist es, die mich auch beruflich zu großem Einsatz antreibt und begeistert. Ich bin bereit, diese Leidenschaft gänzlich in den Dienst meines Jobs zu stellen.“
„Hmm“ machte Emilia Fischer und sah Anna eine Weile an. Anna begann, unter dem Tisch an ihren Fingernägeln zu zupfen. „Andere Frage. Warum sind Sie hier?“
„Nun“, Anna zögerte. „ich interessiere mich außerordentlich für diese Stelle. Nach den Jahren in der akademischen Welt freue ich mich darauf, endlich wieder selbst anzupacken und dem Objekt meiner Forschung – Essen – wieder ganz nahe zu sein. Ich bin bereit, mich in neue Arbeitsbedingungen einzuarbeiten und hart zu arbeiten, um Teil des Teams zu werden.“
„Hmm“ machte sie wieder. „Haben Sie sich auch auf andere ´Stellen´ beworben?“
„Ähm, ja? Das habe ich.“
„Das dachte ich mir.“ Ihre Gesprächspartnerin presste ihre Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. „Warum haben Sie sich bei uns beworben?“ Anna hatte sich auf diese Frage natürlich vorbereitet.
„Ich denke, dass Ihr Unternehmen mir ideale Arbeitsbedingungen bieten kann. Ich wollte schon immer für ein so großes, internationales Unternehmen arbeiten. Menschen auf der ganzen Welt kommen in den Genuss Ihrer Produkte. Ich würde gern ein Teil davon werden.“
„Also haben Sie sich unsere corporate values nicht angesehen?“ fragt sie vorwurfsvoll.
„Doch, doch! Sie sind, ähm, Serve, Inclusion, Integrity, Community und Family.” antwortet Anna hastig.
„Und wo sehen Sie sich in diesen Werten?“ die Frau wirft ihr einen kritischen Blick zu.
„Ich bin bereit, den Kunden eine bestmögliche Erfahrung zu ermöglichen. Ich akzeptiere alle Menschen ungeachtet ihrer angeborenen Merkmale oder Herkunft. Ich bin ein sehr moralischer Mensch. Ich respektiere meine Mitmenschen auf dieser Welt. Und ich möchte so gerne ein Teil der McDonald-Familie werden.“
„Das ist ein gutes Stichwort. Wir sind eine große Familie. Teil unserer Familie zu sein bedeutet also nicht, lediglich eine Stelle innezuhaben. Teil unserer Familie zu sein bedeutet, einander zu lieben und füreinander da zu sein. Darin aufzugehen.“
„Ich verstehe. Wirklich großartig!“ Anna gab sich Mühe, möglichst begeistert zu klingen. Einige Momente herrschte Stille.
„Haben Sie noch irgendwelche Fragen an uns, Frau Kuwatschewisch?“
„Mich würde noch interessieren, wie die Arbeitszeiten sind und wie das Gehalt ungefähr aussieht. Das ging aus der Information der Bundesagentur für Arbeit nicht hervor. Ich würde langfristig gerne eine stabile Zukunftsperspektive haben und…“ die Frau unterbricht sie.
„Scheinbar haben Sie mich doch nicht verstanden, Frau Korwakewitsch. Wir sind eine Familie. Man hört nicht auf, eine Familie zu sein, nur weil die Zeiger auf der Uhr einen gewissen Punkt überschritten haben. Unsere Mitarbeitenden lieben ihre Arbeit. Sie brennen für sie. Deshalb kümmern sich auch nicht um solche obszönen Dinge wie festgelegte Arbeitszeiten. Und was das Gehalt angeht: Eine Familie ist füreinander da. Machen Sie sich da keine Sorgen. Aber Sie würden ja auch nicht Ihrer Mutter eine Rechnung schreiben, weil sie Sie geboren hat, oder? Eins möchte ich klarstellen: Wir suchen Menschen voller Liebe und Leidenschaft. Wenn das für Sie nur ein einfacher Job ist, den Sie fürs Geld“ bei diesem Wort verzieht sie angeekelt das Gesicht. „machen, sind Sie hier falsch. Ist das ein Problem für Sie?“
„Nein, selbstverständlich nicht, Frau Fischer. Entschuldigen Sie bitte, falls ich so auf Sie gewirkt habe.“
„Wir melden uns bei Ihnen, ob Sie als Kassiererin in Teilzeit infrage kommen. Im Falle einer Zusage werden wir Ihnen dann einen auf ein Jahr befristeten Vertrag anbieten. Wenn Sie sich gut in unsere Familie einfügen, können Sie sich auf weitere dieser Verträge freuen.“ Mit diesen Worten steht die Clipboard-Frau auf und öffnet Anna die Tür Richtung Flur.
„Vielen, vielen Dank Frau Fischer. Ich freue mich schon sehr auf Ihre Antwort.“
Katharina Marija, gebürtige Norddeutsche, studiert Medizin und verarbeitet in ihrer Freizeit die Aspekte menschlichen Lebens, die nicht in ihrem Studium vorkommen.
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