Jasmin Lincke für #kkl15 „Nähe“
Oblivion
Ich dachte, es sei schmerzhaft, als du meinen Geburtstag vergessen hattest. Ich weiß noch, ich war wütend und es tat weh, aber es war okay. Denn schlussendlich konntest du mich überreden, ins Theater zu gehen, sodass wir einen der schönsten Abende in unserem Leben hatten.
Ich dachte, es sei schmerzhaft, als du nicht die richtigen Worte fandest, um mir deine Zuneigung zu versichern. Ich weiß noch, ich habe geweint und es tat weh, aber es war okay. Denn kurz darauf brachtest du mich mit einem grauenhaften Ständchen zum Lachen.
Ich dachte, es sei schmerzhaft, als ich dich in der Einfahrt sah, wo du versuchtest, die Garagentür mit dem Autoschlüssel zu öffnen. Ich weiß noch, dass die Sorge nach mir griff und es tat weh, aber es war okay. Denn als ich zu dir trat, begann dein Gesicht zu strahlen.
Ich dachte, es sei schmerzhaft, als du mir zusammenhangslose Sätze an den Kopf knalltest, bevor du schluchzend in meinen Armen zusammenbrachst. Ich weiß noch, ich habe deine Verzweiflung gespürt und es tat weh, aber es war okay. Denn wir hatten beide Angst und haben einander festgehalten.
Ich dachte, es sei schmerzhaft, als du anfingst die Tatsachen zu verdrehen und die Erinnerung an gemeinsame Erlebnisse verblasste. Ich weiß noch, wie hilflos ich mich gefühlt habe und es tat weh, aber es war okay. Denn als ich dir die Geschichten wieder und wieder erzählte, war es, als würden wir sie noch einmal erleben.
Ich dachte, es sei schmerzhaft, als dir mein Name entfiel. Ich weiß noch, ich war traurig und es zerriss mir das Herz, aber es war okay. Denn als ich ihn dir nannte, schenktest du mir dieses ganz besondere Lächeln und sprachst ihn aus, als sei er das Kostbarste auf der Welt.
Jedes Mal glaubte ich zu wissen, was Schmerz bedeutet. Doch wahres Leid wurde mir viel später bewusst:
Denn es war unerträglich, als die Liebe aus deinen Augen verschwand.
Ich weiß noch, ich war am Boden zerstört und konnte meinen Kummer nicht länger verbergen. Die Tränen rannen mir über die Wangen und ich hatte das Gefühl zu ersticken, während etwas in mir zerbrach.
An diesem Tag war es nicht okay.
Denn an diesem Tag konnte ich nichts mehr tun.
Und das bedeutete, dass ich dich für immer verloren hatte.
Seitdem sind viele einsame Momente vergangen. Ich besuche dich jeden Tag, doch das zärtliche Erkennen in deinem Blick kehrt nicht wieder.
Du schaust mich an, aber siehst mich nicht. Du betrachtest mein Gesicht, aber lächelst nicht. Ich nehme deine Hand und deine Finger wollen sich nicht mit meinen verschränken …
Inzwischen weiß ich, dass ich nie einen Geburtstag, Worte oder Erinnerungen gebraucht habe. Alles, was ich je wollte, war dich – deine Liebe. Doch vielleicht brauche ich nicht einmal die. Denn heute muss ich glauben, dass meine Gefühle für uns beide reichen. Heute, da du mich längst vergessen hast …

Jasmin Lincke, geboren 1999, ist eine junge Autorin aus Jena und entdeckte schon früh ihre Leidenschaft für das geschriebene Wort. Im Alter von sieben Jahren Rowlings Harry Potter verfallen, träumte sie als Kind davon eines Tages mit eigenen Geschichten zu faszinieren und zu berühren. Um ihrem Ziel ein Stück näher zu kommen, begann sie im März 2020 ein Fernstudium zur Autorin. Seitdem schreibt sie nicht länger im Privaten und konnte im Rahmen von Schreibwettbewerben bereits mehrfach überzeugen. Neben dem Studium arbeitet sie derzeit als freie Journalistin und an ihrem ersten Roman.
Interview mit Jasmin Lincke, hier.
Über #kkl HIER
Der Text gefällt, mir sehr. Öffnet viele Gedankenräume zu den eigenen Lebensthemen.
Das Spiel mit den Wiederholungen erzeugt eine gewisse Spannung, da kommt noch was,
diese Erwartung wird auch erfüllt.
BS
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