Keine Kilometer im Herzen

Tanja Reif für #kkl15 „Nähe“




Keine Kilometer im Herzen

Das Telefon läutet schon zum siebten Mal. Bei jedem Anderen hätte ich schon längst die rote Taste gedrückt. Doch hier. Bei diesem Anruf ist das etwas anderes. Wieder einmal und doch viel zu selten, rufe ich sie an. Meine Oma. Die einfach schon etwas länger zum Abheben braucht. Mit einem lauten: „Jo. Hallo“, begrüßt sich mich am anderen Ende der Leitung. Nach der Frage, wie es ihr denn ginge, höre ich die zaghafte Frage: „Bist as eh du, Tanja?“. Meine Nummer ist zwar im Telefon eingespeichert, aber die Augen für die kurze Zeit, in der das Abheben möglich ist, schon zu schlecht. Da geht das Lesen einfach unter.

„Jo mei, mia geht’s guad.Wias oan hoid geht mit über 90“, fängt meine Oma an zu plaudern. Auch das Thema mit dem Essen wird ein jedes Mal besprochen. Heute gibt es Fisch mit Kartoffeln und einem Salat. Alles von der Oma selbst zubereitet. Mit Freude erzählt sie mir, wie oft ihre Kinder sie in der letzten Woche besucht oder angerufen haben. Wie froh sie darüber sei. Wie dankbar sie darüber sei. „Woast, des is ned ba jedn so“, höre ich ihre etwas zittrige Stimme. Ja, das stimmt. Bei vielen sind die Kilometer, die die Wohnorte voneinander trennen, auch in die Herzen miteingezogen. Manchmal schon vorher. Da waren die Kilometer im Herzen schon vor dem Auszug präsent. Nähe fängt nicht mit Berührung und sich sehen an. Nähe fängt im Herzen an. Nähe fängt mit Worten an. Mit Gesten. Mit den Augen.

Jeden Tag, wenn es das Wetter zulässt. Sitzt sie draußen. Auf der „Sunbeng“. Und nie ist sie lange alleine. Irgendjemand kommt immer hinzu. Dann wird getratscht und gelacht. Bei meiner Oma findet Zusammentreffen auch außerhalb der Feiertage statt. Die Nähe ist geblieben.

„I gfrei mi jo imma so, wonst mi anrufst und af mi denkst. Und die Rätsel hob i dir ah wieder aufghoben“, sind ihre Worte, als wir das Telefonat beenden. Dabei wird mir ganz warm ums Herz. So als würde das Blut schneller fließen. In diesen Momenten fühle ich mich meiner Oma ganz, ganz nahe. Auch wenn uns viele Kilometer trennen, sie werden es nie ins Herz schaffen.

Und an den wenigen Tagen, die ich an meinem Geburtsort verbringe, ist ein Besuch immer eingeplant. Der bei meiner Oma. Denn manchmal muss man die Nähe ganz fest umarmen, um die Worte neu zu befüllen. Die Worte, die an grauen Tagen, die Nähe beschreiben.




btrhdr



Mein Name ist Tanja Reif und ich bin 30 Jahre alt. Seit zehn Jahren lebe ich in der Stadt Linz. Schreiben zählt schon lange zu meiner allerliebsten Beschäftigung und wenn ich neben dem Studium zur Ergotherapeutin Zeit finde, huschen meine Finger über die Tastatur. Von März bis Mai 2017 habe ich am Wifi den Lehrgang „Der perfekte Text – Ausbildung zum Werbe- und PR-Texter“ absolviert. Auf Instagram und story.one bin ich unter dem Pseudonym „dieschreiberei“ unterwegs. Auf diesen Plattformen veröffentliche ich Poems und Kurzgeschichten. Zudem arbeite ich gerade an einem Kinderbuch gemeinsam mit meinem Bruder, der die Bilder illustriert.





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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin und ZeitenGeist Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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