Zwischen den Dornbüschen

Michael Waldmann für #kkl17 „Begegnung“




Zwischen den Dornbüschen

Unten am äußeren Rand der Weide, wohin die Sonne auch ihre letzten Strahlen noch schickte, war eine schmale Bresche in dem Dornendickicht. Das Licht verfing sich dort zwischen den verwachsenen Zweigen, die allerhand kleinen Tieren Zuflucht gewährten und tauchte das Unterholz in einen warmen Schimmer.

Ein Schwarm Spatzen schoss mit einem Mal aus den Büschen hervor, aufgeschreckt von einem Reiter, der fröhlich vor sich hin pfeifend an getrottet kam. Die Straße, die kaum mehr als eine schmale pflanzenfreie Rinne war, wand sich in weiten Kurven durch das von zahlreichen Hecken, niedrigen Mauern und satten, sich gegen Himmel streckenden Bauminselchen durchzogene Weideland. Das Pferd war schwer beladen mit den Besitztümern seines Herrn, welcher eine teure Rüstung trug.

Als die beiden gerade die Flurgrenze passieren wollten, musste der Ritter an den Zügeln ziehen, um sein Tier zum Stehen bleiben zu bringen: Ihnen gegenüber, auf der anderen Seite des schmalen Durchgangs zwischen den Sträuchern stand ein kleiner Junge.

Er trug keine Schuhe und der Schmutz vieler langer Meilen hatte sich auf seinen Füßen festgesetzt. Der Saum seiner viel zu weiten Hose war aufgerissen und ausgefranzt und genau wie sein letztes Hemd, welches lose um den dürren Oberkörper wehte, war sie ausgeblichen und mit Dreckflecken und Stoffflicken verziert. Eine alte zerfasernde Schnur hatte er um seinen Hosenbund gewickelt.

Für einen Moment hielt der Landstreicher den Blick des wohlgenährten Mannes, der dort hoch über ihm auf seinem Ross thronte. Die Sonne, die von dem glänzenden Brustpanzer reflektiert wurde, schmerzte in den Augen, doch stolz weigerte er sich wegzusehen. Neidisch betrachtete er den fein getrimmten Bart und die schwarz glänzende Frisur, die nicht mit den verfilzten Knoten vergleichbar war, die er selbst mit sich herumtrug. Dann schaute er wieder zu Boden, seine Entschlossenheit verließ ihn und die Schultern sackten ab.

Der Junge trat beiseite um Platz zu machen, hegte dabei noch Hoffnungen auf eine Brotkrume, die nach ihm geworfen werden könnte, doch ohne nur ein Wort verloren gehabt zu haben, setzte der Reiter seinen Weg fort. Er brauchte nicht zurückblicken, wie viele magere Kinder und Erwachsene würden ihm auf seiner Reise denn noch den Vortritt lassen? Der Bauernsohn aber erinnert sich bei ihrem nächsten Treffen noch genau an den Schild, der damals von der Satteltasche baumelte, doch nun zertrümmert im Graben liegt.




Michael Waldmann wurde am 10. Mai 2002 geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen ist er in Erlangen. Derzeit studiert er Geschichte und Deutsch auf Lehramt. Seine Liebe zur Literatur wurde von Rosemary Sutcliff geweckt, eigene Geschichten schreibt er aber schon, seit er einen Stift richtig halten kann.

Nebenbei arbeitet er in der Gastronomie und engagiert sich in der kirchlichen Jugendarbeit, besonders am Herzen liegt ihm aber vor allem soziale Gerechtigkeit.

Twitter/Instagram: @forestmaan1






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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin und ZeitenGeist Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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