Thale Lind für #kkl17 „Begegnung“
Uns eigen, um mit ihm zu sein.
eine subjektive Begegnung mit dem literarischen Geist oder Fabelwesen
Wo wir waren, hatte er alle drei Spiegel abgenommen, bis auf den, den er als Taschenspiegel bei sich trug. Jener, dem nur eines eigen ist, nämlich zu zeigen: Was ist. An jenen kahlen Stellen hingen seitdem vergrößerte Fotos vergangener Lebensmomente. Du erkennst doch diesen oder einen ihm ähnlichen Ort? Ein Ort, wo so etwas wie Spiegel abzunehmen sein durfte, stattdessen Fotografien dorthin zu hängen. Sie passiv, was von ihnen gesehen dann anzusehen, still in die Augen hinein zu spiegeln aber auch zu raunen vermag.
Eine jede Fotografie, scheint mir, erinnerte. Als wäre was fragen ließ: nicht nur das nach der Erinnerung selbst, sondern auch, was von ihr gerade oder später gesagt, über sie in Worten geschrieben war und wird? Verlässlich stellten sich Literarische diese oder eine ähnliche Frage: Ist Geist das: was geschrieben Literatur ist, also ein Ausdruck von ihm? Oder ist Literatur nur eine Hypotaxe der Sprachwissenschaft, ein unselbständiges Unterpfand?
Eine Quelle, die man nutzt. Sich fragt, welche Schlüsse und Regeln man daraus zieht und nach denen es gestaltet ist, für die textbezogene Betrachtung oder einer relevanten Folgerung des Textbenutzers?
Ja, es ist stimmig, sie ist das auch. Insofern hat jeder, der meint Literatur sei ein Unterpfand, recht! So recht wie jemand, der zum Himmelgewölbe durch engstes Fensterscheibenglas aufschaut, und folgert, dass das, dieser Teil den er sieht, sei sie, des Himmels ganze Signatur.
Unterordnung – alleine nicht zulassend, stellen sich mir die Fragen: Wie verbinde ich mich mit dem Geist, der in dem von mir geschriebenen Worten ist und wie er, mit mir?
Wo ist der „Ort“, wo jenes Geistwesen, allgegenwärtig und die Macht ist zwischen mir oder dem Lesenden und dem Geschriebenen; hinüber von einem zum anderen wandelnd, sicher und mühelos?
Vorweg gesagt, wer einzig oberflächlich sucht, wird vielleicht auf den außer ihm liegende Ort, mit dem Wesen, von ihn buntschillernd inspirierender Machtfülle, stoßen, zufällig – doch ist Zufall, das was ist?
Individuell, innerlich, ist der Ort, wie wäre es ein fotografierter bewegter Augenblick mit ihm! Innewerdend, lauschen, spiegeln und dass an diesem „Ort“ etwas, was zu erzählen wert ist, begann und beginnt. Nicht nur äußerlich, aber auch nicht nur innerlich. An dem dieses Fabelwesen die Figur einer fiktionalen Gestalt annimmt, ausgestattet mit sichtbaren Attributen an einem imaginären Ort und mit Ereignissen, um über sich selbst: als ein Ich zu sprechen, das heißt, durch eine Fabel.
Die immerwährende Hoffnung die der Geist mit der literarischen Fabel hegt, liegt auf beiden, dem Schreibenden und Lesenden. Die beide, eine, aber auch in zwei Personen, wie geniale doppelte Spiralen sein können, von der jede vermeidet gleich der anderen zu werden.
2
Wenn es für den Geist so etwas gibt, wie Bestimmung im Literarischen, dann erscheint mir plausibel, dass das Geschriebene, Gelesene aus Literatur, seine Einmaligkeit am Lesenden verwirklicht. Selbst auf die reale Gefahr hin auch auf ein äußeres Nichts zu verweisen. Ein Nichts, das keine Auflösung im herkömmlichen Sinne anstrebt, aber Fabelwesen von eigenem Sein. Einem Fabelwesen ist die Aufhebung der Zeit, vom Raum, jeden Zeitraumes möglich: bindungslos.
Aber so ist der Geist, auch der, der Literatur heißt, nicht: bindungs- und bedingungslos.
Es spricht nicht irgendein Fabelwesen: sei du selbst, zu allen Lesenden und Schreibenden, sondern das, des bindend bedingenden Geistes namens Literatur.
Diese Art individuell geschaffener, ob erlesen oder geschriebener Literatur ist demütig.
Ihre Wahrscheinlichkeit, dass sie zweimal aus der gleichen kausal empirisch, finalen und kompositorischen Motivierung heraus entsteht, wird auf Eins zu Millionen geschätzt. Das aber hieße, sie im Essenziellen zu verorten, sich ihre Einzigartigkeit, weil sie ihrem Wesen nach ganz wie ihr Geist essenziell orientiert ist, zu verdeutlichen. Damit ist die zuverlässige Wendung beim Lesen, sich ihr und ihm, in ihr, zu nähern, weit mehr, als sich nur beeinflussen zu lassen von einem sensationell geschriebenen Produkt, Titel und momentan abhängiger Eigenerwartung.
Mit ihm, dem Geist in der Literatur, Erfahrungen zu machen, heißt, dass jenes, wohin wir damit unterwegs etwas erfahrend erlangen, uns selber belangt, beansprucht, uns trifft und insofern, es uns, zu sich hin verwandelt.
Staunend, wenn im Geist, die stumm aneinandergereihten Worte sich verbinden wie zu einer Hieroglyphe die eine mythische Verwandtschaft zu mir und jedem hat. Lesenswert, eigen, fordernd, immer lesbar; etwas was mit mir zu tun hat, in dem ich mich erkenne, mit den Worten mit denen dieses Bildhafte oder Bild ferne, der innerweltliche Begegnung gefasst ist, für mich und jeden der es liest. Der es liest, für den ist es Inspiration. Im bewusst unbewussten Spiel zwischen konkret Realen und fantasievollen Surrealismus. In den Aktionen der literarischen Figuren, ihrer Mimik, Gestik, hinübergleitenden Emotionen und Kommunikationen. Als träfen sich, um miteinander zu tanzen, all diese Elemente, im Wort, in Wortwelten und Figuren. Bis sie Geist, intensive Einheit in Freiheit, ohne Beliebigkeit und von dem ist, was ist, uns eigen, um mit ihm zu sein.
Thale Lind, lebt in der Nähe von Osnabrück, schreibt Kurzprosa, Essay, Lyrik und historische Erzählungen. Dabei geht es nicht darum, dass Literatur immer auserwählt oder etwas Besonders haben muss, sondern darum, dass sie ist, wie sie einmal war und irgendwann sein wird. Eben wie eine Geschichte, die uns berührt und anderswo endet, wenn sie berührt.