Kordula T. Klaus für #kkl17 „Begegnung“
Begegnung
Es war ein warmer Tag. Warm und einfach. So mochte sie ihre Tage. Sie mochte es, wenn sie ereignislos vorüberzogen. Ohne Drama, ohne besondere Vorkommnisse. Aufstehen, arbeiten und schlafen gehen. Sie mochte es, wenn die Tage so gleich und austauschbar waren. Sie wusste immer wie die Tage waren oder werden. Egal ob in der Zukunft oder in der Vergangenheit. Auch wenn es für Tage die erst kommen werden immer ein gewissen Restrisiko gibt. Sie mochte es, sich nichts merken zu müssen. Keine Termine oder Besuche. Sie brauchte keine Abwechslung. Ja, sie wollte sie nicht mal.
Sie fand, es gab schon viel zu viel Wissen. Wissen in Form von Geschichte oder von Geschichten oder von wer weiß wovon. In ihrer Arbeit als Schreibkraft hatte sie jeden Tag mit Wissen zu tun. Sie tippte Briefe oder Texte oder Stellungnahmen. Auch wenn sie immer den gleichen Aufbau hatten und im Großen und Ganzen die gleichen Worte verwendete, waren es doch wieder neue Geschichten. Neues Wissen. Wenn sie darüber nachdachte wieviel Wissen es gab und wie viel es noch geben wird und wie viel bereits vergessen wurde, fing sich in ihr alles an zu drehen. Sie musste dann immer Schlucken. Nein, sie wollte nicht zu noch mehr Wissen beitragen. Sie wollte bloß stummer Zeuge dieses Umstandes werden und diesen uferlosen gewaltigen Strom beim Fließen zusehen.
Schon als Kind mochte sie es, wenn die immer gleichen Abläufe ihr einfaches Leben bestimmten. Sie scheute sich vor Abwechslung oder Veränderung. Eigentlich konnte sie schon damals nicht verstehen, wenn andere Kinder über Langeweile klagten. Sie lebte für genau diese Langeweile. Nein, eigentlich konnte sie sonst nicht leben.
Alles in ihrem Leben war einem fixen Plan unterworfen. Dieser Plan ist gewachsen und wurde erprobt und getestet bis es keine Lücke, keinen Millimeter mehr gab der abweichen konnte. Für jede Eventualität gab es ein Drehbuch in welchem dann der Protagonist, in dem Fall sie, gewisse Handlungen setzen musste, um wieder am gewünschten Weg zu sein. Nach all den Jahren kam es nur noch äußerst selten zu kleinen Ausreißern nach rechts oder links und es bedurfte nur noch minimalster Adjustierungen um dann wieder im gewünschten Alltag angekommen zu sein.
Wenn sie sich morgens an ihren Schreibtisch im Büro setze und das erste Blatt Papier in ihre Schreibmaschine einspannte blendete sie von da an alles aus, außer den Text, den sie abtippen wollte. Ihre Kollegen, ihren Vorgesetzten, ja sogar ihren Körper. Sie empfand weder Hunger noch Kälte. Sie war einfach nur da, um zu tippen. Sie konnte förmlich mit dem Text verschmelzen. Dann klapperten ihre schmalen Finger über die schwarzen Lacktasten ihrer Schreibmaschinen. Sie schienen magnetisch zu sein, da sie wie von selbst die richtigen Tasten drückten und so die richtigen Worte tippten. Die Buchstaben auf dem weißen Papier wirken, als ob ein Tier dunkle Spuren, auf einem schneebedeckten Feld hinterließ. Stunde um Stunde verewigten sich so ganze Horden von Tieren auf diese Weise. Je vertiefter sie war umso schneller verging die Zeit. War der Stapel abgearbeitet ging sie nach Hause. So einfach konnte das Leben sein.
Sie nahm dann den immer gleichen Weg in ihre Wohnung. Egal wie spät es war. Oder welche Jahreszeit oder Wetter. Es war der immer gleiche Weg. Weil sie wusste, dass diese äußeren Umstände keinen Einfluss auf den Weg den sie gehen musste, nahmen. So oder so war sie in zwanzig Minuten zu Hause. Zu Hause in ihrer Wohnung. Am Weg nach Hause konnte sie sich schon den Klang ihrer Sohlen auf den steinernen Stufen vor dem Haus vorstellen. Sie wusste wie sich die schwere grüne Tür anfühlte, die beim Öffnen immer etwas knarrte. Wenn sie in ihre Wohnung trat, legte sie ihren Mantel ab, den sie täglich trug, egal welche Temperaturen draußen herrschten. Sie variierte lediglich ihre Kleidung darunter. Dicke Pullover in ein bis drei Lagen im Winter und im Sommer nur ein Unterhemd und Bluse. Jeweils in der Kombination mit unaufgeregten Röcken in angemessener Länge. Sie konnte sich schon gar nicht mehr erinnern, wann sie den Mantel gekauft hatte. Im Wesentlichen, wusste sie das bei keinem ihrer Kleidungsstücke. Je nach Wochentag gab es dann, dieselben schnell gekochten Gerichte. Mit einfachen Zutaten wurde durch einfache Handlungen, ein einfaches Essen, das sie dann in ihrer spärlich eingerichteten Wohnung zu sich nahm. Es gab einen Tisch mit dem dazu passenden Stuhl. Beides aus hellem Holz. Einen Schrank, der den Raum durch seine Größe und Eleganz dominierte. Er passte eigentlich nicht zu dieser Wohnung, ja er passte nicht mal zu diesem Leben. Ein Bett mit Nachttisch, darauf ein Wecker und eine Lampe. Daneben stand der zweite Stuhl, der eigentlich zum Esstisch gehörte. Darauf lagen aber ein Buch und ein Nachthemd, das fein säuberlich gefaltet wartete, abends angezogen zu werden. Eine Kochnische mit Waschbecken, Herd und allem was sonst eine Küche ausmachte. Ein Dachfenster von dem aus man nur Dächer einiger anderer Häuser und Himmel sehen konnte. An den Wänden fand man nichts außer einem schlichten Kreuz über der Tür. Die Wohnung bestand dann noch aus einem schmalen Eingangsflur und einem winzig kleinen Bad mit Toilette. Hier gab es ein Fenster aus Milchglas das auch normales Fensterglas hätte sein können, da es nur zur Rückwand eines Hauses ohne Fenster zeigte.
Nach dem Abendessen wusch sie sich, mit einem Waschlappen und Seife. Im Gesicht, und unter den Achseln. Immer sonntags ging sie unter die Dusche und shampoonierte ihr Haar. Sie stand dann am Fenster im Bad mit dem blinden Scheiben. Dann am Dachfenster und schaute in die Luft oder besser gesagt in den Himmel. Manchmal konnte sie andere Menschen, die gegenüber auch aus einem Dachfenster schauten, beobachten. Sie wartetet dann bis sie irgendwo eine Kirchenglocke hörte, die irgendeine Uhrzeit schlug. Dann schloss sie das Fenster und löschte das große Licht, zog ihr Nachtkleid an und schlüpfte unter die Decke. Sie nahm dann das Buch zur Hand das neben ihr lag. Es war immer ein Buch da. Sie legte nicht viel Wert darauf was sie las. Wichtig war, jeden Abend genau fünf Seiten zu lesen. War das Buch ausgelesen, nahm sie es immer samstags bei ihrem wöchentlichen Spaziergang auf dem sie auch den Einkauf für die kommende Woche erledigte, mit in die Bibliothek und tauschte es gegen ein neues oder anderes. Waren die fünf Seiten für diesen Abend gelesen, legte sie das Buch auf den Sessel, stellte den Wecker, löschte auch das kleine Licht und legte sich schlafen.
Wenn dann am Morgen darauf der Wecker um halb sechs klingelte starrte sie noch einige Minuten, mit bis an die Ohren hochgezogener Decke, die Wand an. Ließ ihren Blick durch den Raum schweifen und blieb schließlich am Fenster hängen. Sie sah dann Tauben der Morgensonne entgegenfliegen. Oder Blätter die vom Wind draußen durch die Luft gewirbelt wurden. Oder gar nichts außer Winter und Kälte und Dunkelheit. Sie schlüpfte aus dem Bett und zog sich die Kleidungsstücke des Vortages an und ging ins Bad. Vor dem Spiegel stehend sah sie sich ins Gesicht, als ob sie etwas Verlorenes suchen müsste. Sie tastete sich an die Stirn und fuhr mit den Fingern über ihre Lippen. Sie kannte ihr Spiegelbild genau. Sie kannte die Furchen und Rillen, die kleinen Unebenheiten und Rötungen. Ihr Gesicht war ihr nie fremd. Sie nahm sich ihr Spiegelbild deswegen so genau vor, um von den Veränderungen, die das Alter mit sich bringen, nicht überrascht zu werden. Sie legte keinen Wert auf Äußerlichkeiten. Sie mochte es, dass man das ihrem Gesicht auch ansah. Dieses pure, klare, einfache Sein. Ihre tägliche Morgentoilette war schnell erledigt und obwohl sie mehr als genug Zeit für den Spaziergang in die Arbeit hätte, nahm sie jeden Morgen den gleichen Bus um die gleiche Uhrzeit. Sie fuhr nur vier Stationen.
Wenn sie an der Haltestelle wartete, legte sich eine gewisse Spannung auf sie nieder, die sie wie eine schwere Decke ummantelte. Sie hörte dann den wenigen Gesprächen zu oder dem Verkehr oder dem Erwachen der Stadt. Wenn der Bus mit der Nummer 34 dann in ihr Sichtfeld kam beobachtete sie nur mehr ihn. Er hielt an einer Ampel bevor er auf den Haltestreifen einbog. Durch das Licht der Ampel konnte sie meist den Lenker des Buses erkennen. In diesem Moment erreichte die Spannung den Höhepunkt und sie musste sich beherrschen um nicht einige Schritte den Bus entgegen zu gehen. Sie hoffte jeden Tag nicht unbeabsichtigt die Blicke der anderen auf sich zu ziehen, durch eine außer Kontrolle geratene Handlung, die Ausdruck, dieses inneren Zerberstens war. Sie stand in Flammen und niemand sah es. Niemand wurde durch dieses Lodern angesteckt. Keiner machte Anstalten nicht den geregelten Lauf der Dinge zu nehmen. Sie vergewisserte sich, dass es der richtige Bus mit dem richtigen Lenker war und nahm Position um als Letzte, direkt vorne beim Lenker, einzusteigen. Mit einem lauten Schnauben hielt der Bus. Fahrgäste stiegen zuerst aus, dann die anderen ein und dann sie. Sie trat immer zuerst mit dem rechten Fuß auf und hielt sich dann an dem Haltegriff neben der Fahrerkabine an, ehe sie sich umdrehte und nach oben blickte. In diesem Moment, schaute ihr der Buschauffeur ins Gesicht. Suchte ihren Blick und wünschte ihr mit einem Lächeln einen wunderschönen guten Morgen. Und wie jeden Morgen hielt sie, länger als unbedingt nötig, den Blick aufrecht und wünschte einen wunderschönen guten Morgen zurück. Dies waren oft die einzigen Worte die sie an einem Tag sprach. Und es waren täglich die einzigen Worte die nur für sie gesprochen wurden. Sie wunderte sich schon lange nicht mehr mit wie wenigen Worten man den Alltag durchleben konnte. Diese Szene war nun schon seit acht Jahren ein Fixstern in ihrer Welt der jeden Morgen zur selben Zeit aufging. Wenn sie den Bus nach vier Stationen wieder verließ, trafen sich ihre Blicke das letzte Mal für diesen Tag im Spiegel, mit dem der Chauffeur kontrollieren konnte ob alle Türen richtig schlossen und die Fahrgäste sich ruhig verhielten. Der Blick war ein Versprechen. Ein unausgesprochenes Versprechen dieses namenlosen Mannes, der ihr versicherte, sie morgen zur gleichen Zeit, am gleichen Ort, wieder abzuholen. Wenn sie die letzten Schritte ins Büro ging, dachte sie an seinen Wunsch. An seinen guten Morgen. An das Wunderschöne an diesem Morgen.
Mein Name ist Kordula T. Klaus. Ich bin 31 Jahre jung (geboren am 30.08.1990 in Graz). Arbeite als technische Angestellt im Controlling und bin in Graz wohnhaft.
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