Cornelia Koepsell für #kkl17 „Begegnung“
Der Sitzsack
Kürzlich beschloss ich, an mir selbst zu arbeiten und besuchte das Seminar:
„Überschreite deine Grenzen“.
Jetzt hocke ich in einem Kreis von Frauen auf einem Sitzsack. Das ist so ein knautschiges Teil, welches sich der Körperform anpasst. Selbsterfahrung ist angesagt. Eine Reise ins Innere. Bisher habe ich nur die Randbezirke erreicht. Das Seminar geht seinem Ende zu. Ein letzter Versuch. Wir sollen die losen Fäden zusammenknüpfen, sagt die Leiterin. Das Unbewusste wird uns dabei helfen. Oder auch das Vorbewusste.
So weit, so gut. Ich mache mich an die Arbeit. Da gibt es nur ein Problem. Das Unbewusste sagt NICHTS. Das Vorbewusste auch nicht. Was soll also die ganze Mühe. Vermutlich hat sich das Unbewusste im Sitzsack verkrochen und ist verschwunden zwischen den Tausenden kleinen Kügelchen, die sich darin befinden.
Über die Kügelchen bin ich informiert, weil ich als Teenager auch mal so einen Sitzsack hatte. In dieser Zeit habe ich gelernt, mein Unbewusstes dort zu deponieren.
Das war nötig. Ich konnte es nicht frei in der Gegend herumlaufen lassen. Es hätte weiß Gott was angestellt. Die paar Male, wo es eigenmächtig sein Gefängnis verließ, hat es mir verdammt viel Schwierigkeiten bereitet.
Es sieht so aus, als ob mein Verhältnis zum Unbewussten gestört ist. Zum einen haben wir Schwierigkeiten mit Nähe und Distanz. Zum anderen entzieht es sich meiner Kontrolle. Das finde ich eine Sauerei. Jahrzehntelang hockt es da wie bestellt und nicht abgeholt zwischen den Tausenden Kügelchen. Trotzdem will es etwas zu sagen haben, will die Macht an sich reißen, wie ein Diktator, der einfach nicht abdanken will.
Die Kügelchen haben es gut konserviert, so dass es jung und frisch geblieben ist wie zu meiner Teenagerzeit.
Heute jedoch, an einem Tag, wo mir die Aufgabe gestellt wurde, das Unbewusste sprechen zu lassen, da versagt es seinen Dienst. Hält einfach die Klappe.
Mein Unbewusstes ist unkontrollierbar, nicht zu handeln, unschlagbar, – ein Unding.
Frustriert schaue ich in die Runde. Mal sehen, wie es den anderen geht. Da liegen und sitzen sie entspannt auf ihren Sitzsäcken. Sie erinnern mich an die alten Römer. Die Bäuche heben und senken sich in glücklicher Zwiesprache mit ihrem Unbewussten.
„Scheiße“, denke ich. „Denen scheint es echt gut zu gehen. Nur mir nicht. Immer ich.“
Mit dem Ellbogen stoße ich meine Nachbarin an. Sie schlägt die Augen auf, die mich entrückt anschauen mit Pupillen so groß wie die eines Junkies kurz nach dem Schuss.
„Kannst du mir mal dein Unbewusstes leihen?“ frage ich. „Meines hat sich im Sitzsack verkrochen.“
Ohne zu blinzeln schaut sie mich an, durch mich hindurch und haucht:
„Bleib bei diiiiiir. Lausche auf deine innere Stiiiimmmme“. Dann schließt sie die Augen.
„Blöde Kuh“, denke ich. „In dieser kapitalistischen Gesellschaft machen sie selbst das Unbewusste zum Privateigentum.“
Jetzt sehe ich etwas – der Sitzsack hat ein Loch und irgendetwas Un-Dings-mäßiges schaut mich an. Sollte es mein Unbewusstes sein? Oder gar mein Vorbewusstes? Ich hocke mich vor das Loch und versuche dem Wesen da im Sack ins Auge zu schauen. Es blinzelt. Vielleicht ist es müde. Schließlich ist es früh am Tag, vormittags. Möglicherweise kein guter Termin für eine Gegenüberstellung. Dieses Wesen hat einen anderen Biorhythmus. Es lebt in der Hauptsache nachts.
Trotzdem schaue ich weiter in den Sack hinein. Ich will es wissen. Heute noch.
Da, jetzt sehe ich es. Das Wesen hat wieder geblinzelt, diesmal auf eine andere Art. Es hat mir zugeblinzelt. Ich lächle in das Loch hinein, biete all meine Freundlichkeit auf.
Es könnte ja sein – möglicherweise – so etwas soll schon vorgekommen sein, dass ich mit meinem Unbewussten Freundschaft schließe.
Jetzt scheint es die Augen geschlossen zu haben und wieder zu pennen. Ich bin sauer. Warum muss es mich so im Stich lassen, wo mir heute die Aufgabe gestellt wurde, das Unbewusste sprechen zu lassen?
Ich weiß, man kann den Sitzsack aufschneiden. Einfach hineinlangen und das Unbewusste herauszerren.
Das erscheint mir zu gewalttätig. Selbst wenn es mich im Stich lässt, so rabiat will ich nicht sein.
Vorsichtig frage ich in das Loch hinein.
„Willst du mir etwas sagen?“
„Mhmmm, vielleicht“, murmelt das Unbewusste.
„Also dann sag es“, bitte ich. „Weißt du, ich habe für dieses Seminar Geld bezahlt. Es war nicht billig. Hast du schon mal was von kaufmännischer Vorsicht und Rendite gehört?“
Offensichtlich sind das böhmische Dörfer für mein Unbewusstes. Das Ding ist nicht gesellschaftsfähig, vermutlich völlig ungebildet und ohne jegliches Interesse an Weiterqualifizierung. Vielleicht ist es jung geblieben und gehört zur Null-Bock-Generation.
Jetzt blinzelt es wieder, murmelt, aber so leise, dass ich es nicht verstehe.
Es scheint nicht der richtige Zeitpunkt zu sein. Irgendwie mag ich es doch ein wenig. Ich lege eine weiche Decke über das Loch und lasse mein Unbewusstes noch etwas schlafen. Sanft bewegt sich der Sitzsack auf und nieder im Rhythmus seines Atems.
Cornelia Koepsell
Jahrgang 1955
literarisches Schreiben seit 2002
über 100 Einzelveröffentlichungen in Literaturzeitschriften und Anthologien
Auszeichnungen: 3. Preis des Schwäbischen Literaturpreises 2011
3. Preis Frauen Literaturpreis 2014
3. Preis Berner Bücherwochen 2015
3. Preis Frauen Literaturpreis 2016 (Theaterstück)
1. Preis Kunsthaus Lisa 2021
Publikationsliste
Debütroman „Das Buch Emma“ , September 2013
Geest Verlag, ISBN 978-3-86685-409-3
Roman „Lauf weg wenn du kannst“ Juli 2017, Geest Verlag ISBN 978-3-86685-6097
Interview mit Cornelia Koepsell HIER
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