Angela Hippe für #kkl17 „Begegnung“
Königin der Nacht
„Darf ich Ihnen nicht vielleicht doch noch einen weiteren Drink bringen?“, fragt der Barkeeper, aber ich schüttel den Kopf und hoffe, dass Maximilian bald kommt. Ich sitze jetzt seit knapp einer Stunde in dieser Hotelbar. Wir haben uns seit einer Woche nicht gesehen und eigentlich fand ich den Gedanken, sich hier in Hamburg in einem Hotel wiederzusehen, sehr aufregend. Ich habe mir sogar extra ein neues Kleid gekauft. Ein nachtblaues, nicht zu kurz, aber es betont mein Dekolleté, denn Max soll reinkommen und von mir begeistert sein, so wie bei unserem ersten Date. Doch langsam werde ich nervös, denn Max hatte sich noch nie so verspätet und anstelle seines Auftauchens erscheint nun eine Nachricht auf meinem Handy: „Es tut mir so leid, mein Schatz. Die Konferenz hat länger gedauert und ich habe meinen Flieger verpasst. Ich nehme morgen früh sofort den ersten. Hdl.“
Ungläubig lese ich sie noch zweimal, dreimal, aber es bleibt bei der Erkenntnis. An diesem Tag, an dem ich mich so auf ihn gefreut habe, kommt er nicht. Ernüchtert sehe ich von meinem Display auf. Diese Bar erscheint mir nun protzig und unangenehm und ich habe das dringende Bedürfnis diesen Ort sofort zu verlassen. Ich gehe raus und laufe die Straße herunter. Rechts neben mir fällt die Sonne in das tiefblaue Wasser der Alster – wie meine Verabredung mit Max. Ich laufe weiter, noch immer planlos, bis die gutbürgerlichen Fassaden zunehmend vor meinen Augen verschwinden und abgelöst werden von Graffities, zugekleisterten Wänden und dem ganz normalen Dreck, den das Leben nun mal so mit sich bringt. Es gibt Läden, von denen ich gar nicht genau weiß, was sie sein sollen. Sind sie Clubs oder Bars? Ich kann es ihnen oftmals nicht direkt ansehen. Doch mit der hereinbrechenden Dunkelheit wird mir eines immer klarer: Ich will diesen Abend nicht allein in unserem Hotelzimmer verbringen. Spontan gehe ich in einen Laden namens „Queens“. Ein recht kleiner Raum mit einer Theke im vorderen Bereich und einer Tanzfläche in der hinteren Hälfte. In einer leicht abgedunkelten Ecke nehme ich platz, versuche mich zu verkriechen, schaue aber unmittelbar in die hellgrünen Augen einer Frau, die mir schräg gegenübersitzt. Sie lächelt mich an und kommt direkt zu mir herüber.
„Du siehst gerade sehr enttäuscht aus“, begrüßt sie mich.
„Ich bin gerade sehr enttäuscht“, antwortete ich.
„Du bist also versetzt worden?“
Ich nicke.
„Dann lass mich dich einladen!“
Ich lache etwas hilflos und etwas zu laut, aber sie bestellt, ohne zu zögern zwei Gin Tonic.
„Sophie“, stelle ich mich vor, während wir anstoßen.
„Henriette“, sagte sie, beugt sich zu mir rüber und gibt mir einen Kuss auf die Wange.
„Was machst du so, Henriette?“, frage ich, aber sie antwortete nicht. Stattdessen reißt sie mich aus der schützenden Dunkelheit und tritt mit mir ein in den breiten Lichtkegel, der nun auf die Tanzfläche fällt. Aus den Boxen ertönt Königin der Nacht von Rosenstolz und Henriette tanzt dazu. Sie ist die Königin. Sie dreht sich selbstbewußt im Scheinwerferlicht und obwohl ich ahne, dass die Nacht – das Dunkle vielmehr ihres ist, genießt sie die Bühne und die Blicke der wenigen Zuschauer, die nun alle an ihr haften. An ihren langen Haaren, den hohen Absätzen, der schwarzen königlichen Eleganz.
Ich will mich gerade wieder setzen, da fasst Henriette mich am Arm und hält mich entschieden zurück. Sie legt ihre linke Hand auf meine Hüfte, die rechte auf mein Schulterblatt und meine Arme um ihren Hals. Langsam und sanft führt sie mich über das Parkett. Sie kann führen, sie weiß wo sie hinwill und ich bin bereit ihr zu folgen. Wir bewegen uns synchron zu smooth operater und die Hitze, die ihr Körper ausströmt, dringt in meinen hinein, durch die Handflächen, durch den Atem, durch alle Poren. Wir sind ein Schmelztiegel – zusammen auf siebenunddreißig Grad. Und ich bin bereit. Bereit mich durchdringen lassen, von den Bässen, von den Rhythmen und von Henriette.
So wie du tanzt Und auch die Art wie du gehst Hat mich bewegt vom ersten Augenblick
Ich bin wieder jung, wir sind irgendwo in den neunzigern, und obwohl wir diese Songs nie zusammen gehört haben, nie zusammen jung waren, sind wir jetzt gemeinseim Barbie Girl, tanzen den Mambo Nr.5 und sind Rammstein´s „Engel“. Den Blick gen Himmel lassen wir all die anderen Tanzenden im Dunkeln. Sie gehören heute nicht in unsere Welt. Lediglich die umherschwirrenden Lichterpunkte aus der Discokugel dürfen als Gestirne über uns wachen – und Gott weiß, ich will kein Engel sein.
Dann brennt plötzlich ein grelles, durchdringendes Neonlicht in meinen Augen. Der DJ hat es angemacht, während er durchs Mikro sagt: „So Leute, jetzt ist echt Schluss für heute, kommt gut nach Hause.“
Irritiert greife ich nach meiner Handtasche und der Türsteher jagt uns aus dem Paradies – hinaus in die kalte Nacht. Ich schaue auf mein Handy und vernehme drei Anrufe in Abwesenheit. Max; an ihn habe ich seit Stunden nicht mehr gedacht. Wie sehr hatte ich mich auf diesen Abend mit ihm gefreut und wie schnell habe ich ihn vergessen. Mir fällt plötzlich auf, dass wir in dem ganzen Jahr, in dem wir jetzt zusammen sind, noch kein einziges Mal zusammen getanzt haben. Max, wie würdest du mich wohl über die Tanzfläche führen? Würde ich mich auch als einen Teil von dir fühlen?
„Ich begleite dich zum Hotel“, sagt Henriette und zündet sich einen Joint an. Sie reicht ihn mir und ich ziehe zweimal daran, doch aus Respekt vor der Wirkung belasse ich es dabei. Henriette raucht ihn genüsslich zu Ende während wir gemeinsam den langen Weg zurückgehen, vorbei an den schicken Häusern, deren Fassaden mir nun spießbürgerlich erschienen. Die Alster ist nicht mehr zu erkennen in der Dunkelheit, dafür leuchtet uns der Eingangsbereich des Hotels jetzt angeberisch entgegen. Ich halte kurz an vor der großen Rundschwenktür, aber Henriette schreitet direkt hindurch. Genauso selbstverständlich steigt sie in den Fahrstuhl und begleitet mich durch die Tür in mein, in unser – in Max und mein – Zimmer. Sie nimmt den Schampus, der auf dem Tisch steht, und schaut mich fragend an. Ich nicke und sie öffnet. Während sie einschenkt, gehe ich zum Fenster, schaue hinaus, auch deshalb, weil ich unsicher bin. Langsam sind wieder erste Umrisse zu erkennen. Das Licht, was gerade eben noch dahingeschmolzen ist und mich unverhohlen in diese Nacht geschubst hat, kehrt nun scheinbar unschuldig zurück. Wir stoßen an, ohne ein Wort zu sprechen und trinken unsere Gläser leer. Ich spüre ihre Hand an meinem Rücken. Diese Hand, die mich die ganze Nacht mit ihr verbunden hat, öffnet nun Zentimeter für Zentimeter meinen Reißverschluss. Langsam gleitet das Unterfutter meines neuen, nachtblauen Kleides sanft von oben nach unten zu Boden.
Ich zittere. Mein halbnackter Körper spiegelt sich im Fenster und eine mir unbekannte Mischung aus Begierde und Angst ergreift mich. Ich drehe mich langsam um und lasse auch ihr Kleid zu Boden fallen. Wir sehen uns in die Augen und durchdringen mit unseren Berührungen vorsichtig die Schwelle zum anderen, bis Henriette flüsterte „Ich bin sofort wieder da“ und ins Bad verschwindet. Meine Hände hängen hilflos an mir herunter, ich möchte dich anfassen kann dir nicht widersteh’n Nicht mal im Traum Hab’ ich das Feuer gesehn.
Ich zucke erschrocken zusammen, als ihr Handy zu vibrieren beginnt. Auf dem Bildschirm leuchtet eine Nachricht auf: „Mama, Thijs hat hohes Fieber.“
Henriette kommt zurück und reicht mir ein weiteres Glas von dem Schampus.
„Du hast gerade eine Nachricht erhalten. Ich glaube, du solltest sie erst lesen“, sage ich.
Sie schaut nach, stellt direkt ihr Glas zur Seite, greift nach ihrem Kleid und streift es hastig über.
„Es tut mir leid“, sagt sie, „ich muss sofort los.“
Sie gibt mir einen Kuss auf die Stirn, streicht sanft über meinen Rücken und verlässt das Zimmer, ohne sich noch einmal umzudrehen. Ich schaue ihr aus dem Fenster nach.
Was hast du vor Wenn deine Scheinwelt zerbricht Das Licht erlischt Was wird mit mir
Das Klopfen hämmert in meinem noch immer mit Alkohol gefülltem Hirn unerträglich laut und ich begreife zunächst gar nicht, dass es an meiner Tür ist. Schlaftrunken stehe ich auf und öffne.
„Max?“
„Guten Morgen, Schlafmütze! Ich habe gestern noch drei Mal angerufen, aber du hast nicht ein einziges Mal reagiert.“
Er betritt das Zimmer und sieht sich um. Auf dem Tisch stehen die zwei leeren Gläser.
„Nachdem du den Schampus offensichtlich gleich aus zwei Gläsern getrunken hast, scheinst du ja sehr fest geschlafen zu haben“, sagt er und schaut mir dabei in meine verkatterten, müden Augen. „Hast du wenigstens auch etwas Schönes geträumt?“
Ich nicke. „Ja, das habe ich.“
(Liedzeilen aus: Königin von Rosenstolz, 1997 und Engel von Rammstein, 1997)
Angela Hippe
Ich bin ausgebildete Kunsttherapeutin und betreibe seit vielen Jahren ein kleines Café (Ankoné) in Gütersloh, in dem die Kunst und das Schreiben einen festen Platz einnimmt. So ist beispielsweise in diesem Jahr auch eine Kunstplattform entstanden – Gützilla. Wir haben diesbezüglich viel Resonanz erfahren und so sind auch regelmäßige Schreibtreffen entstanden, in denen wir uns bei Kaffee und Kuchen gegenseitig inspirieren und die Freude an der Literatur teilen. Aber auch in meiner Freizeit widme ich mich gern dem Schreiben und so ist die beigefügte Kurzgeschichte entstanden, die vielleicht zu Ihrem Thema passt.
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