Elizaveta Tomm für #kkl17 „Begegnung“
Begegnungen in einer neuen Welt
Menschen – überall, wohin ich mich wende, sehe und treffe ich sie. Sei es beim Einkaufen, auf meinem Abendspaziergang oder auf meinen Social-Media-Kanälen abends im Bett. Wir tippen und lesen, verschicken und hören uns oder liken und teilen – tagein, tagaus. Abonnenten und Freunde, die mir und denen ich folge. Zu jeder Zeit, an jedem Ort – wir sind erreichbar. Der Raum für Austausch weitet und beschleunigt sich. Digitalisierung, Vernetzung – ein Gewinn – der Fortschritt unseres Jahrhunderts.
Ein kleiner Klick entfernt von Bestätigung und Selbstwertsteigerung. Ein Piepen, ein Blinken, das Display leuchtet auf. Eine Nachricht: „Lange nicht gesehen. Hast du gerade Zeit?“ Eine Antwort: „Nein, hab zu tun.“ Sitzend in Jogginghose auf der Couch will ich genießen – meinen Abend mit Pizza und Wein. Keine Lust auf Konfrontation. Ich scrolle herum. Eine Seite wird mir empfohlen – ein perfekt auf mich zugeschnittener Inhalt. Vom Licht geblendet: Vertiefung, Zeitverlust, Abwesenheit und Isolation … Meine Lider werden schwer und so tauche ich wieder auf. Blicke auf die Uhr – Mitternacht. Minimale Bewegungen: Handy auf die Nachtkommode, Augen zu.
Morgens bei der Arbeit – Kaffeegeruch – ein Online-Meeting mit den Kollegen. Begleitet von krächzenden Lauten – eine Folge der ungenutzten Stimmbänder vergangener Tage. Nun sitze ich auf meiner Fensterbank, schaue hinunter auf das Geschehen, wie die Tage, Wochen, Monate und Jahre vergehen. Die Städte werden größer, die Straßen werden voller und die Bevölkerung wächst. Das Rad der Zeit dreht sich weiter und weiter.
Wo führt es uns hin? Auf den ersten Blick sehe ich Nähe, die auch die größte Entfernung überwindet; Bestätigung, die jeder von uns sucht; Vernetzung, eine globale und gesellschaftsübergreifende Verbundenheit; Bilderreichtum, der uns all die Herrlichkeit unseres Planten zeigt. Auf den zweiten Blick sehe ich Distanz, der digitale Kontakt wird dem physischen vorgezogen – Entfremdung.
Eine schöne abhängige Welt außerhalb des Greifbaren – ein Rauschzustand, und erst bei den letzten Sandkörnern in meiner Lebenssanduhr erkenne ich: Von 8 Milliarden Menschen umgeben – bin ich doch allein.
Elizaveta Tomm
Geb. 02.03.1995, Studium: Johannes Gutenberg-Universität (Germanistik im 5. Semester und Philosophie im 6. Semester)
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