Yvonne Schwarz für #kkl18 „sowohl als auch“
Brötchenbeläge
Wider Erwarten ging ich spontan nach links. Ich machte jenen Schritt, der mich mit einem erhabenen Gefühl erfüllte. Normalerweise gingen meine Gedanken dann sofort nach rechts. An diesem Tag geschah nichts dergleichen, ich ging einfach einen Schritt nach links.
„Du bist unentschlossen. Eine Zaudrerin. Nie entscheidest du dich für etwas.“ Die Vorwürfe, die mir mein mein Lebensabschnittspartner Jonas in regelmäßigen Abständen entgegenschleuderte, waren ebenso wenig neu, wie sie mich noch trafen.
Es gab diese Menschen, die immer genau wussten, was sie wollten und was sie als Nächstes tun mussten. Die vermutlich schon bei ihrer Geburt im Leib der Mutter einen Countdown herunterzählten, weil sie es nicht erwarten konnten, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen, um möglichst schnell möglichst viel zu erreichen. Und dann gab es diejenigen, die sich nicht so recht entscheiden konnten. Für das Ungewisse, und die starke Bedenken hatten, in etwas zu landen, von dem sie nicht so recht wussten, wofür es gut war. Die hin und her überlegten, dabei am liebsten alles mitnehmen würden, denn sich für etwas entscheiden, hieße etwas anderes aufgeben. Vielleicht sogar das Bessere. Diese Menschen rutschten irgendwann nur deshalb heraus, weil die Natur es so für sie bestimmte, oder der Kaiserschnitt.
Sehr früh entdeckte ich das wunderbare Vermögen meines Hirns, einen Gegengedanken zu einem bestehenden zu kreieren, um mir dadurch mindestens eine weitere Option zur Verfügung zu stellen. Wenn ich am Frühstückstisch nach dem weißen Brötchen griff, lieferten sich meine Synapsen bereits ein Gefecht pro und kontra Schokocreme oder Honig. Beides hatte etwas für sich. Beides hätte ich gerne auf meinem allerersten knusprigen Brötchen des Tages gehabt. Ich bin nicht verhungert, denn ich hatte eine Mutter, welche der ersten Kategorie entstammt und solche Entscheidungen für mich fällte. Später hatte ich Lehrer, Fahrlehrer, Freunde und schließlich Jonas. Sie alle stammten aus Kategorie eins. So kam ich durchs Leben.
Und jetzt ging ich an diesem Dienstagmorgen einfach nach links, ohne dass mein Hirn etwas von einem rechts erzählte. Das war neu, das war richtig revolutionär. Jonas wäre stolz auf mich und auch meine Mutter. Dieser eine Schritt führte in ein neues Leben, wenn ich es jetzt schaffte, einen zweiten Schritt zu machen, ohne darüber nachzudenken.
Yvonne Schwarz 1964 in Tübingen, Baden-Württemberg, Deutschland geboren. 1985 nach dem Abitur nach Berlin. 1999 – 2008 in Bayern. In Berlin unter anderem Arbeit als freie Theaterfotografin und als Internetprogrammiererin, sowie Ausbildung zur Kfz-Elektrikerin. Kommt 2016 über das Buchprojekt „Carmela, siebtes Kind“ zum Schreiben. Gewinnt September 2017 den Schreibwettbewerb „Acker für die Welt“ der Zukunftsstiftung Landwirtschaft auf der IGA Berlin. Veröffentlichung von Gedichten und Kurzgeschichten in verschiedenen Anthologien, die aus Literaturwettbewerben hervorgehen. November 2019 Finalteilnehmerin im Lyrikbewerb „zeilen.lauf“ (Baden bei Wien, AT).
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