Karen Schröder für #kkl19 „aufrichten“
Versuch über den Stubben
Wenn ein gesunder Baum im Garten durch die Säge fällt, dann ist das das Ende eines Versprechens. Zurück bleibt ein Stumpf. Die frische Schnittfläche als Mahnung und Vorwurf gleichermaßen. Öde und perspektivlos liegt sie vor uns.
Gegen das schlechte Gewissen anzugehen, werden alle möglichen Scheußlichkeiten erdacht. Die offenbare Schande soll möglichst unkenntlich gemacht werden. Für das Gefühl will man das, was man getan hat, abmildern. Den Stumpf zu „verschönern“ scheint ein tief sitzendes Bedürfnis zu sein.
Die beliebteste Variante, sich zu entschulden, ist der klassische Blumentopf. Man kennt das. Oft muss die Geranie im geschwungenen Plastikbehälter herhalten. Es soll wieder etwas wachsen an dieser Stelle. Wo einst der große und stolze Organismus mit der ausladenden Krone lebte, mickert jetzt der preisgesenkte Topf aus dem Gartencenter. Wie eine erbärmliche Grabbepflanzung für den Baum mag das dem Betrachter erscheinen. Ein hilfloses, halbherziges Versprechen, dass der grüne Riese nicht vergessen ist.
Gern kommt aber auch Kunst ins Spiel. So wird aus dem Stumpf heraus eine Eule geschnitzt oder ein Eichhörnchen, auch hier soll dem Baum etwas zurückgegeben werden, was man ihm genommen hat. Während Eule und Eichhörnchen früher im Baum ihren Lebensraum fanden, sind sie nun statische Platzhalter einstigen Naturzusammenhangs.
Wenn es gut läuft, gestattet man dem Baum wieder auszutreiben aus dem Stubben. Dann entfaltet er gegebenenfalls eine erstaunliche Vitalität, und aus dem Stumpf heraus wächst ein neuer Baum.
In einem historischen Park haben es kluge Gärtner unlängst unternommen, in die Überreste des hohlen alten Baumes einen neuen zu pflanzen. Was für ein Versprechen!

Karen Schröder
Lebt als freie Autorin in Schulzendorf b. Berlin
Veröffentlichungen in Anthologien, Radiofatures
Über #kkl HIER