Lyrischen Tandem Marcus Schiltenwolf & Anna Leoni Riegraf für #kkl19 „aufrichten“
SCHÖN, WURDEN WIR SPRACHLOS HIER
Zwischen sanft ansteigenden Hügelrücken tauchen westlich des Marktplatzes
Gänsegroße Kormorane in tiefschwarzen Prachtkleidern
Über verborgenen Schluchten aus Muschelkalkgestein
Nach Barschen und Rotaugen
–
könnte des Wassers Sprechen sein
aus Augenworten setze ich Bilder
dem Forttreiben hinterher
weil diese Stadt Raum nimmt
–
Zwischen morschem Treibholz und entwurzelten Ästen
Taucht eine in Glas gehüllte Notiz
„Man möge den entwaldeten Flusslauf
Aus seinem Betonkorsett befreien“
–
im Schwelgen brach ich auf
suchte hinter Fluss Berg Brücke
die Namen dieser Gassenliebe
und scheiterte am Wort
–
SCHÖN, WURDEN WIR SPRACHLOS HIER
Zwischen Fußgängern am Flussufer und buntsandigen Brückenbögen
Treibt im Gehölz der Schwemminsel
Ein Dammbauer im Weidendickicht
Der Stadtbiber; ein Letzter seiner Art
–
bei dir fand ich Klarheit
im Auge ein Zwinkern
beziehungsweise gesprochen
komm wir gehen noch mal los
–
Zwischen ockerfarbenem Schilf und leuchtend gelben Goldruten
Treibt ein Überbleibsel einer Plastikflasche
„Man könne hier Teppiche aus Kunststoffteilchen bewundern;
Ein langlebiges und unangenehmes Erbe.“
–
angekommen knicken wir ein
überrollt Krieg diesen Anblick
so oft zerstört von Menschen
was uns wie auch jenen zum Schutz
SCHREIBEN IN ZEITEN DES SCHRECKENS
Auf der Suche nach Worten
Durchforstet die Rastlosigkeit des neuen Alltags Überschriften im Internet
Auf der Suche nach Worten
Durchzieht das Geschriebene des neuen Alltags eine Lähmung: Die stumme Furcht
Bruder wo bist du
denn ich höre nicht deine Stimme
sehe nicht die Farbe deiner Augen
dich sollte ich lieben
Auf der Suche nach Worten
Horcht die Hilflosigkeit des neuen Alltags Stimmen im Radio
Auf der Suche nach Worten
Durchzieht das Gesprochene die Stille dessen, für das es keine Worte gibt
Schwester, wenn ich dir schreibe
wünschst du dir Mut
begehrst du meine Wut
fern deiner Schmerzen
Während des Schreibens im Stimmengewirr
Übertönt ebendiese Wut jeden Alltag
Lässt uns zurück auf der Suche nach Worten
Lindert keinen Schmerz, macht nur rastlos und ratlos
Zuhause sprechen wir laut
von blanker Wut
bisweilen geschriebe
geschrien der fehlende Mut
SCHREIBEN IN ZEITEN DES SCHRECKENS
Während des Schreibens im Sicheren
Übertönen Zwischenrufe der Hoffnung die stumme Wut
Mutige, die zu Hilfe eilen – dem Unsicheren zum Trotz –
Lindern den Schmerz, der gelindert werden kann
Kleine Krieger banger Träume
vermauern ihre Angst
keine Liebe kein Trauen
genannt kein Respekt
Eingeholt vom Geschehen
Zeigen folgenreiche Taten ihr schieres Ausmaß
Während manch einer das Leid schon vergessen glaubte
Wird nun weiter knapp, was selbstverständlich galt
Zerschossen ihr Hier und Heute
morgen weg und abends ein Schrei
im Zimmer fern von gebunden
torkelnd wie fügsame Körper
Ratlos betrachtet das ewiggestrige Streben nach Macht
Zulasten derer, die zu wenig innehaben
Zum Trotze jener braucht es Schreie – ebenso laut
Sinnlos zu klagen weh
Den Tätern und Opfern
Aber noch Sätze hören und sprechen
Marcus Schiltenwolf
Geboren 1959. In Heidelberg seit 1987, verheiratet und Vater von drei Kindern.
Lyrik seit der Schulzeit, Lyrik im Nebenfach. Neben der Tätigkeit an der
orthopädischen Uniklinik in Schlierbach.
Es sind meist kurze Texte, die aus einer Beobachtung hinaussteigen. Lyrikpreis
der Stadt Mannheim 1995.
Im November 2020 erschien „Heimat zwischen allen Stühlen“ (Kurpfälzischer
Verlag).
Anna Leoni Riegraf
1998 im Schwarzwald geboren, seit 2017 Studium der Rechtswissenschaft in
Heidelberg.
Schreibt Gedichte, die die Schönheit des Alltäglichen und die Notwendigkeit des
Zusammenfindens hervorheben wollen.
Veröffentlichte in verschiedenen Anthologien und Literaturzeitschriften.
Gründungsmitglied der kulturellen Anlage „Paradoxon“ in der Heidelberger
Altstadt.
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