Samstagnachmittag, 17.05 Uhr 

Monika Schlößer für #kkl20 „bedingungslos“




Samstagnachmittag, 17.05 Uhr           

John ist hässlich. John hat ein Spitzmausgesicht, eine Hakennase und bei jedem Wort, das John sagt, hüpft sein Adamsapfel auf und nieder. Seine hellbraunen Haare glänzen fettig, und um die langen, dürren Beine schlottert eine Hose, die gut und gerne drei Zentimeter länger sein dürfte. Ich liebe John.

John macht mich regelmäßig fix und alle mit seinem kleinkarierten Ordnungstick. Kein Eselsohr belebt seine nach Farbe und Größe sortierten Bücher, kein Grashalm bricht durch den zubetonierten Vorgarten seines Reihenhauses. Die Vögel scheißen ihm schon lange nicht mehr aufs Dach. John ist einfach langweilig. Und ich liebe John.

Samstags poliert John das Auto – von 15.20 Uhr bis 16.30 Uhr. Anschließend nimmt er ein Wannenbad, massiert seine Kopfhaut mit Birkenhaarwasser, kürzt die Fingernägel, die Zehennägel und jene Haare, die aus den Nasenlöchern wuchern. Nach Beendigung dieser Aktivitäten muss John ruhen. Der Samstag ist gelaufen. Schade eigentlich. John hat eine anstrengende Woche hinter sich. Zu Weihnachten werde ich ihm einen neuen Bademantel schenken.

Sonntags will John ausschlafen, doch die Kirchenglocken hindern ihn daran. Mit einem lauten Fluch auf den Lippen dreht er sich um, schläft weiter, schnarcht. Wenn die Schnarchtöne vom leisen Rascheln der Zeitungsseiten abgelöst werden, eile ich mit dem Frühstückstablett an Johns Bett. Der Kaffee schmeckt inzwischen bitter, das Toastbrot ist hart, das gepellte Ei kalt. Auf der Marmelade tummeln sich zwei Fliegen und sind glücklich. John merkt es nicht. Zufrieden grunzend wälzt er sich über die Brotkrümel hinweg, drückt sein Kissen zurecht und schläft noch eine Runde.

Gegen 13.00 Uhr steigt er stöhnend aus dem Bett, zieht den alten Frotteemantel über und wartet auf das Mittagessen, das ich sonntags im Wohnzimmer auftische. Nach dem Dessert schlürft John noch ein Tässchen Kaffee, dann legt er sich ein wenig aufs Ohr und hält ein Nickerchen – diesmal auf dem Sofa. John ist fünfunddreißig.

Ich spüle das Geschirr ab, blättere ein wenig in der Illustrierten und lege im Bad Johns Waschzeug und frische Unterwäsche zurecht. Zum Nachmittagskaffee erwarten wir Besuch, Verwandte von John. Hoffentlich ist John gut gelaunt, denn ich liebe John, und John kann Besuch nicht leiden. Vorher werde ich John ein kleines Schnäpschen einschenken, dann geht es vielleicht. Dann ist er weniger unausstehlich. Ich muss John doch helfen. Außerdem freue ich mich, dass Ilse-Marie und Martin überhaupt noch zu uns kommen.

John ist ein guter Mann – treu, ehrlich, häuslich, geht seinem Beruf nach, hängt nicht in Kneipen rum, ist sparsam, kann aber auch großzügig sein – Weihnachten, zum Beispiel. Und er weiß genau, wofür kein Geld rausgeschmissen wird. Mein John geht immer gut gekleidet aus dem Haus. Eigentlich liebe ich John, und ich bereue es außerordentlich, dass ich vor gut drei Monaten seine Gehaltsabrechnung in klitzekleine Fetzen gerissen habe, als er mich wieder einmal mit seiner überaus peniblen Aktenablage zur Weißglut gebracht hatte.

Aber ansonsten sind wir ein ideales Paar. Wir mögen beide die gleichen Fernsehsendungen, die gleichen Talkmaster, die gleichen Suppen. Wir haben gleiche Verdauungsprobleme, machen bei der Bundestagswahl unsere Kreuzchen an der gleichen Stelle, schlucken die gleichen Pillen und denken wie eineiige Zwillinge. Nur über die Anzahl der geplanten Kinder konnten wir uns bisher noch nicht einigen. Ich will drei Kinder, John nur eines. Seit neun Jahren diskutieren wir dieses Thema nun durch. Jetzt bin ich sechsunddreißig. Und würde John gerne heiraten. Denn ich liebe John. John fürchtet sich vor so viel Verantwortung. Drei Kinder kosten eine Menge Geld. John kann gut rechnen. Und zudem bin ich jetzt zu alt.

John ist leicht kränklich, fährt oft zur Kur. Das ist teuer. Und am Kurort selbst kann er auch nicht rumlaufen wie ein Tippelbruder. Ich weiß nur zu gut, was Schuhe und Anzüge beim Herrenausstatter kosten. Meinen Halbtagsjob darf ich auf keinen Fall verlieren. Das wäre eine Katastrophe – ich liebe doch diesen John. Und ich habe schließlich auch so meine Macken, weigere mich zum Beispiel, für John Pflaumenmus zu kochen. Er mag es doch so gerne.

Gisela hat ihm neulich ein Glas mitgebracht, selbstgekocht, im Geschenkkarton, mit Schleifchen drum. War ich eifersüchtig! Überhaupt, diese Gisela – kann besser mit dem Hintern wackeln als ich. Klasse Weib – ehrlich. Tolle Figur, schickes Outfit. Und ist scharf auf meinen John, diesen Waschlappen.

Ich liebe John, ich koche, wasche, bügle, putze, verblöde für ihn – und Gisela wackelt mit dem Hinterteil. Aber John lässt das eiskalt. Es wäre ihm viel zu anstrengend, sich um Gisela zu bemühen. Stress. Und womöglich müsste er noch Geld investieren – teure Blumen, die eh schnell verwelken, Parfum, dessen Duft im Nu mit dem Duschwasser fortgespült wird. Nee, nix für meinen John. John ist ein treuer Kumpel. Und für eine Affäre viel zu bequem. Er weiß, was er an mir hat.

Ich liebe und umsorge John nun schon seit elf Jahren. Sogar an seinen Träumen nehme ich teil. Leider haben wir keine Freunde. Einen Freundeskreis aufzubauen, ist anstrengend, kostet Zeit und Geld, bedeutet gesellschaftliche Verpflichtungen, Gastlichkeit, gegenseitige Unterstützung, Lebensfreude, teure Präsente – da machen wir uns lieber einen gemütlichen Abend zu zweit.

Nein, tut mir leid, hab’ ich übrigens auch schon dem Herrn Kommissar erklärt – ich weiß wirklich nicht, wie es passieren konnte – mir fehlen da ein paar Sekunden. Eigentlich war es ein ganz normaler Samstagnachmittag, wie immer. Doch plötzlich – eine Art Explosion: Der Kanarienvogel bellte … Nein, Blödsinn. Ich muss es der Reihe nach erzählen: ich stand also auf der Leiter, um die frischgewaschenen Wohnzimmergardinen aufzuhängen, verhedderte mich mit dem Fuß in dem grobmaschigen Spitzenmuster, war nervös.

Plötzlich klingelte das Telefon und aus dem Radio dröhnte in voller Lautstärke mein Lieblingslied: „Martin, my love …!” Charly-Michel, mein Kanarienvogel, trällerte die vertraute Melodie lauthals mit, daraufhin bläffte unser Hund den Vogelkäfig wütend an, und John brüllte aus dem Bad: „Ruhe, verdammt noch mal! Ich will mich entspannen!”

Ich riss die Badezimmertür auf, rutschte auf dem übergeschwappten Badeschaum aus und prallte gegen den Waschtisch. Und dabei muss dann irgendwie der alte Heizlüfter ins Badewasser gefallen sein. John fror doch so leicht. Und für ein Haus mit Zentralheizung gab John kein Geld aus. Ihm war das so gut genug. Und selber die Kohlen aus dem Keller holen konnte er ja auch nicht mehr, bei seinem Ischias. Ich habe John doch so sehr geliebt.

Hoffentlich schickt Gisela keinen Kranz, mit Schleife drauf: Ein letzter Gruß von Gisela und Sohn Kai-Uwe.

Ich habe John geliebt, John gehört mir. Jeden Samstag werde ich auf seinem Grab das Unkraut rupfen. Kein Grashalm wird seine ewige Ruhe stören, kein Vogeldreck je sein Denkmal beschmutzen, und kein Regenwurm an den Wurzeln seiner Stiefmütterchen nagen. John wird ein ordentliches Grab haben. Es ist unser Grab.




Monika Schlößer

Geboren 1949, lebt in Bad Münstereifel, verheiratet, 2 Töchter. Über 80 Veröffentlichungen von Lyrik, Kurzkrimis und Kurzprosa in zahlreichen Anthologien, Kalendern, Jahrbüchern, Zeitschriften, Schaufenstern, im Internet, einem Podcast und auf einer Lyriksäule und natürlich bei kunstkulturliteratur.com







Über #kkl HIER

Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin und ZeitenGeist Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

3 Kommentare zu „Samstagnachmittag, 17.05 Uhr 

  1. ..liebe Giesela,
    Ich musste wirklich schmunzeln bei deiner Geschichte..will ehrlich nicht wissen, wieviele Frauen so lieben..oder besitzen wollen? Freu mich auf mehr von dir…alles Gute aus Lev..

    Gefällt 1 Person

      1. Liebe Monika,
        Ich habe auch schrecklich viel,Leid erlebt in meiner ersten Liebesbeziehung..es hat mich fast das Leben gekostet?. Und teotz allem Bettug, meinte ich ihn noch lieben zu müssen, ungeheuerlich….

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