Kein Hund in der Kirche

Astrid Hammerthaler für #kkl20 „bedingungslos“




Kein Hund in der Kirche

Auf der anderen Seite der griechischen Insel schien es noch karger zuzugehen als auf der gewohnten, schon oftmals bewanderten. Wenigstens ein bisschen wollte ich dieses fremde Gebiet nun zu Fuß erkunden.

Die Hitze schlug mir wie die trockenen Sträucher herausfordernd entgegen, als ich mich, von dem hoch oben liegenden Hauptort aus, auf den Weg machte. Schwitzend hielt ich nach angenehmen und schattigen Pfaden Ausschau.

Hier lief offenbar selten jemand. Kleine Wege waren kaum auszumachen und ich musste mich bald wieder für die Straße entscheiden, die kurvenreich der Sonne ausgesetzt war.

In geringer Entfernung erblickte ich jetzt einen Bereich, der von einem Drahtgitter umgeben war, und direkt neben der Fahrbahn lag. Ich glaubte ein Winseln zu hören, und sendete sofort ein Stoßgebet los: „Bitte nicht!“

Doch so kurzfristig schien Gott keine Bitten zu erhören, denn schon war ein Bellen zu vernehmen, das zu einem schwarz-weiß gefleckten Hund gehörte. Er stand hinter dem Zaun und kläffte mich an. Er konnte nicht ahnen wie wohlgesonnen ich ihm war und wie sehr ich Hunde liebte. Auch meine zärtlichen Worte, die ich ihm im schönsten Griechisch vortrug, konnten ihn nicht beruhigen.

Ich war empört über seine Lage und die Unverfrorenheit, mit der hier Gesetze zum Tierschutz übergangen wurden, denn Käfig- und Kettenhaltung waren unter Strafe verboten.

Wen kümmerte es?

Mich.

Der Hund schimpfte weiter und steigerte sich in den Irrglauben hinein, sein schäbiges Zuhause vor mir verteidigen zu müssen. Es tat mir weh. Auch, dass ich ihn trotz meiner Freundlichkeit, die er doch spüren musste, nicht beruhigen konnte. Trotzdem blieb ich wie angewurzelt stehen. Wie hätte ich ihn in dieser Ödnis allein lassen können?

Nach geraumer Zeit näherte sich ein kleiner Lastwagen und hielt direkt vor uns an. Ich war gespannt, was nun geschehen würde.

Der Fahrer, etwa 65-jährig, stieg aus und machte sich hinten an der offenen Ladefläche zu schaffen. Er hatte einen weißen Vollbart und trug eine bodenlange, ausgewaschene blaue Kutte. Ein großes schwarzes Kreuz vor seiner Brust wies ihn zweifellos als Priester aus. Er wirkte ein wenig ungepflegt und ungewohnt würdelos, hatte aber ein schönes, klares Gesicht, aus dem heraus blaue Augen leuchteten. Er verzog keine Miene als ich nun Kontakt zu ihm aufnahm. Nach meinem Gruß fragte ich, ob das sein Hund sei.

Ja.

„Warum sperren sie ihn hier ein?“

Sein Gesicht zeigte keinerlei Regung.

„Er will doch bei Ihnen sein!“

Der Gottesmann räusperte sich.

„Was soll ich denn tun? In der Kirche kann ich ihn nicht haben!“

Irgendwie froh, dass er überhaupt mit mir sprach, setzte ich entgegen: „Auch die Kirche braucht Hunde. Und Gott liebt sie sowieso!“

Mittlerweile torkelte der Hund vor Freude, drehte sich im Kreis, verschwand in dem Loch zwischen zwei Mauern, das von einer Matratze abgedeckt war, und tauchte sofort wieder auf. Wieder tanzte er um sich herum wie ein übermütiger Uroboros, während der Pope den Draht, mit dem die Käfigtür fixiert war, öffnete. Mich beachtete er schon nicht mehr.

Und dieser bildschöne Hund? Sein glattes Fell glänzte, er sah wohlgenährt aus. Auch er schenkte mir keinen Blick und kein Bellen mehr. Er war gänzlich auf seinen Herrn konzentriert.

Vermutlich hatte ich den einzigen Moment am Tag mit seinem Besitzer gestört. Die paar Minuten vom Parken des Autos, von den ermahnenden Worten wegen des Gebells, der Futter- und Wassergabe bis zum unerträglichen Anlassen des Motors und Davonfahren.

Ich blieb stehen, denn ich wollte das Ganze verändern, langfristig auf eine gute gemeinsame Zeit zwischen Herrn und Hund ausdehnen; ein Herauskommen aus seinem Gefängnis erreichen.

Etwas leiser wiederholte ich: „Aber er will bei Ihnen sein!“

Der Priester zuckte nur die Schultern. Sein Gesicht war unsympathisch versteinert und ließ gar nichts Göttliches erahnen.

Aggressiv oder abfällig war er jedoch nicht. Möglicherweise ruhte er nur ganz besonders in sich. So sehr, dass er nicht einmal das Leiden eines ihn liebenden Tieres an sich heranlassen konnte.

Er betrat den Käfig liebevoll. So erschien es mir aus der Erinnerung heraus.

Ich selbst erstarrte in der Rolle der Aufseherin, ungebeten, mir selbst fremd.

Da war etwas Zartes. Die Freude des Hundes und seine Schönheit sprachen eine Sprache, die ich vielleicht missdeutete, aus dem Impuls der Tierschützerin heraus.

Doch kein Lebewesen hatte so eine Abgeschiedenheit, so eine Begrenzung der eigenen Bewegungsmöglichkeiten verdient. In so einer gottverlassenen Gegend!

Da hörte ich mich abermals sagen: „Der Hund will bei Ihnen sein.“

Keine Reaktion des Popen.

„Er hat doch ein Herz!“

Nachdem ich bei Aufregung im Griechischen noch mehr Fehler mache als ohnehin schon, fügte ich ungeplant respektlos hinzu: „Esi ochi!“

Du nicht.





Astrid Hammerthaler, geboren in Wasserburg am Inn, lebt in München, schreibt Geschichten, und ist als Fotografin tätig.

Zuletzt Veröffentlichungen im „HALLER 18 – Weihnachten“ und bei #kkl.

Sie ist Sozialpädagogin und Arbeit am Tonfeld®-Therapeutin.






Über #kkl HIER

Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin und ZeitenGeist Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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