Unsinn

Katherina Ushachov für #kkl21 „Stigma“




Unsinn

Tage, an denen nur ein Gedanke ihren Verstand beherrschte – die Welt brennen zu sehen, ohne Wenn und Aber, ohne Kompromisse. Und wenn sie mit der Welt zusammen verbrannte, dann sollte es so sein. Dann wollte sie zumindest der Funke sein, der die schwelenden Wolken aus Hass entzündete. Grünlich wabernd lag die Nemesis auf der Welt, eine sichtbare Gefahr in einer Welt, in der die meisten Gefahren unsichtbar waren, und wartete nur darauf, dass jemand den Schlüssel umdrehte, der die Spieluhr startete.

Und an anderen Tagen war ihr bewusst, wie kitschig diese Gedanken waren. Klischeehaft und abgeschmackt, das hätten wohl die Lehrpersonen für kreatives Schreiben gesagt, bei denen sie absichtlich keine Kurse belegt hatte und die ihr immer wieder nahelegten, doch mal ›richtige‹ Literatur zu lesen und nicht immer nur das ›pathetische Fantasyzeugs‹. Als gäbe es nichts Pathetischeres, als alte, weiße dya cis Kerle, die sich larmoyant und zum Sterben langweilig darin ergingen, wie ihr ganzes Leben in die Brüche gegangen war, nur weil sie eine weiblich gelesene Person begehrt hatten und diese Person sie nicht bemerkt hatte. Oder gekonnt ignorierte. Oder abgewiesen hatte.

Wenn es tatsächlich zu sowas wie einer einseitigen Beziehung gekommen war, in der natürlich lang, breit und mit merkwürdigen Synonymen Geschlechtsorgane beschrieben wurden und man nur mit ganz viel Kaffeesatzlesen überhaupt erraten konnte, dass es um Sex ging, dann war es noch tragischer. Ja, dann endete die Geschichte nämlich damit, dass die Person den Larmoyanten verließ. Entweder indem sie tragisch-schön (pathetisch) dahinschied oder indem sie den privilegierten Kerl verließ und ihm damit das erste Mal in dessen Leben mal was vorenthielt, was ihm ob seiner Privilegiertheit zugestanden hätte. Damit war der Ärmste dann fürs Leben gezeichnet.

Bu. Hu.

Sie erfand sich die Lehrpersonen so, wie sie sie brauchte, um die Geschichten zu erzählen, die sie erzählen wollte. Progressive Fantastik sollte es sein. Das, was einige als ›Unfug‹ bezeichnet hatten. Sie erfand sich Lehrpersonen, die in Fantastikgeschichte unterrichteten und dabei darauf hinwiesen, dass es nicht nur die olle Held_innenreise gab, die zwar klassisch und absolut legitim war, aber nun mal nicht das einzige Template des Erzählens. Und sie erfand sich welche, die zum Thema Dekolonialisierung der Fantastik forschten und unterrichteten – sie wollte ja keine Stereotypen reinbringen in ihren Text, nur weil sie in einer postkolonialen, aber dennoch von all dem zutiefst geprägten Welt lebte. Nicht-binäre Lehrpersonen, die darüber dozierten, warum bitte in einer Gesellschaft, in der die Menschen die Galaxien erobert hatten, trotzdem sowohl die Raumfahrenden als auch die Aliens sich brav in zwei Gruppen teilten.

Weitere coole Menschen.

Im Laufe der Zeit nahmen einige von ihnen deutlich nicht-menschliche Züge an. Ihnen wuchsen Flossen und sie dozierten von einem fahrbaren Aquarium aus – oder einfach von Daheim, mit Hilfe einer Webcam. Anderen wuchsen Flügel und wiederum andere waren eigentlich Roboter.

Wenn nur die Geräusche aufhören würden.

Ein grässliches Kreischen, gegen das sie ihren Zorn richtete, namenlos, tonlos. Sie versuchte, stumm dagegen anzuschreien, doch nichts passierte und wenn sie davonrennen wollte, nur weg von dem Laut, dann lief sie wie durch Pudding.

Manchmal hielt auch der Schmerz sie davon ab, dem Unterricht zu folgen. Er schnitt sich durch ihre Nervenstränge und nahm ihr die Luft zum Atmen, dann wünschte sie sich die Flossen der Lehrperson, und deren Kiemen – auch wenn Kiemen bisher noch gar nicht vorgekommen waren. Aber es wäre logisch, täten sie es.

Eine innere Logik, deren Brüche mit der äußeren Logik zusehends irritierten. Noch nicht so, dass es ihren Zorn neu entfacht hätte. Nur so weit, dass sie mit beiden Fäusten auf das Ei einschlagen wollte, das Ei aus verkalktem Althergebrachten, raus, nur raus und im Sonnenlicht niesen.

Zorn erst, wenn es ein weiteres Mal misslang, und doch … wie war noch mal die Geschichte vom Vogel, der im Laufe der Jahrtausende einen Berg abtrug?

Kluger Vogel. Auf einem Berg aus den eigenen Schädeln ein Portrait des Herzenswunsches gemalt und jeder Fehlversuch ein Schlag, bis die Grenzen durchbrochen werden konnten.

Einen Vorteil hatte sie, sie erinnerte sich an die vorigen Versuche, auch wenn diese Erinnerungen dumpf und verzerrt waren. Aber sie waren da. Irgendwo.

Gemurmel.

Es war einmal … ganz anders?

Helles Licht, Blitze. Ein Schrei.

Schlagen gegen die Eierschale. Hört sie denn niemand?

Vogel. Guter Vogel. Die Gedanken immer mehr im Spin zwischen Schein und sein, die Universität immer bizarrer. Als würde sie sich jemals an einer Fakultät für kreatives Schreiben einschreiben. Haha. Das taten nur sehr reiche Bürgi-Kids, die nicht nur white privilege bedingt, sondern ständig hatten. Sie war das Kind zweier Menschen, die nicht akademisch bewandert waren. (Sicher, dass es zwei waren? Und was waren noch mal ihre Berufe?) Nein, sie hätte doch was Nützliches studiert, was, wo man sich nicht darauf verlassen konnte, dass die Verbindungen schon dafür sorgen, dass das Kind am Ende was zu beißen hat, selbst wenn es nur so ein Hobbyfach wie Kreatives Schreiben studiert hat. Das zudem auch noch kostenpflichtig ist.

Hatte sie studiert? War sie dabei?

Eierschale. Vogel.

Mit der Erkenntnis, dass sie gar kein Kreatives Schreiben studierte, verwandelten sich die Lehrpersonen in Leute, denen sie auf Twitter folgte. Licht drang durch den Riss im Ei.

»Prisoner Number One!«

Nein, falsche Folge von ›Doctor Who‹. Das war ja noch nicht einmal die gleiche Staffel. So ein Unsinn.

Ein weiterer Riss. Weiteres Licht.

»Sie wacht auf!«

Mit dem Licht, schmerzhaft auf verkrusteten Lidern, kehrte die Erinnerung an die Demonstration zurück und an den Aufprall gegen ihren Kopf. Und damit auch ihr Zorn. Und der Wunsch, zu schreiben.







Katherina Ushachov lebt und arbeitet in Vorarlberg. Fixiert Geschichten in Schriftform, weil sich das als die effizienteste Variante erwiesen hat. Wenn Katherina nicht gerade lektoriert oder an einem ihrer eigenen Bücher arbeitet, erzählt sie auf ihrer Homepage vom Schreiballtag, zeichnet ihre Charaktere und erstellt digitale Musik.

https://feuerblut.com/






Über #kkl HIER

Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin und ZeitenGeist Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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