In Blut geschrieben

Lasse Thoms für #kkl21 „Stigma“




In Blut geschrieben

Die beiden Briefe an der Wand erzählten eigentlich die ganze Geschichte. Nachdem die Kommissarin Petra Vollmer und ihre Kollegen die Leiche gefunden hatten, standen sie dennoch vor einem Rätsel. Denn zuerst kannten sie die Briefe nicht. Zuerst war da nur eine misshandelte Person, mit blutigen Händen, Füßen und einer Stichwunde in der Brust. Noch dazu hatte jemand ihr dreimal in den Kopf geschossen. Über der Leiche, an der Wand, stand in Blut geschrieben ein Satz:

De servorum Dei beatificazione et beatorum canonzatione.

Sah man sich dann an, was in dem Zimmer in der kleinen Wohnung mit Blick auf den Kirchplatz geschehen war, konnte einem schon schlecht werden.

Der Tote war laut Pathologie durch die Schüsse zu Tode gekommen, diese waren aus einer Entfernung von ein paar Metern und aus einem Winkel abgegeben worden, der suggerierte, dass der Tote schon am Boden gelegen und der Mörder über ihm gestanden hatte.

Seinen Abschiedsbrief fanden die Ermittlenden wenig später. Noch ein wenig später entdeckten sie auch die Antwort des Mörders. Jetzt hingen Fotografien der beiden Briefe an der Pinnwand im Revier.

Petras Kollege Markus Landauf hatte nachgelesen, was der Satz an der Wand bedeutete und ihr dann noch einen kurzen Artikel gemailt, der sich mit der Stigmatisation beschäftigte. Dieser war das fehlende Puzzleteil.

Dort erfuhr Petra, dass Stigmatisation – beachte: nicht Stigmatisierung – das war, was Menschen meinten, wenn sie bei jetzt lebenden Menschen die Wundmale Christi wiederentdeckten.

Petra schüttelte den Kopf, als sie sich nochmal den Satz an der Wand ansah.

De servorum Dei beatificazione et beatorum canonzatione.

Stigmatisation allein ist kein Grund für eine Heiligsprechung.

Beweisstück A.

Ich habe es immer den Leuten zu erklären versucht. Keiner wollte auf mich hören. Ich brauche drastischere Maßnahmen.

Mein Name ist nicht Eligius, aber ich habe entschieden, mich so zu nennen. Mein Name ist nicht Jesus, doch Er hat mich gewählt.

Meine Male an den Händen und Füßen sind Beweis genug für mich, denn im Herzen weiß ich, was ich weiß. Die Rückkehr auf Erden ist geschehen, und das Jüngste Gericht steht bevor. Höret ihr, es steht kurz bevor. Das sage ich allen, aber kein will auf mich hören. Keiner hört, weil diese Welt nicht mehr gottesfürchtig ist. Sie fürchten die Wissenschaft, fürchten den Klimawandel, fürchten, ja, den Zorn Gottes. Nur, dass sie sich hüten würden, es so zu bezeichnen. Weil sie sich nicht trauen, einzusehen, dass Er eben doch da ist. Ich weiß es, aber sie hören nicht auf mich. Sieben Jahre und sieben Monate habe ich versucht, sie zu überzeugen. Ich habe gepredigt, ich habe für die armen Blinden gebetet, habe versucht, sie zu heilen, dass sie mich sehen können und sehen können, dass ich hier bin, um ihnen Gottes Gericht zu bringen. Sie wollten nicht sehen, und so sind sie gerichtet. Die Zweifler und Verleumder triumphieren und die Bestien herrschen über die Welt. Ich habe es gesehen. Es ist nicht mehr weit. Und so gehe ich. Ich vollende selbst die Wundmale, ich öffne sie, um mein Blut für sie zu geben, um zu hoffen, dass es zur Vergebung der Sünden reichen möge.

Dein Reiche komme. Dein Wille geschehe, im Himmel wie auf Erden. Vergib ihnen ihre Schuld, wie auch sie vergeben mögen einander, ihren Schuldigern. Und führe sie nicht in Versuchung, sondern erlöse sie von dem Bösen. Denn dein ist das Reich, und die Kraft und die Herrlichkeit, in Ewigkeit, Amen.

Ich werde jetzt schneiden und diesen Ort verlassen. Ich bete, dass mir viele von ihnen in den Himmel folgen dürfen.

Amen.

Der Eligius

Petra Vollmer war vor zwanzig Jahren schon, noch in der Ausbildung, aus der Kirche ausgetreten. Und als Ermittlerin hatte sie im Laufe der Zeit mit genug Verrückten zu tun gehabt. Dieser war nicht mehr oder weniger verrückt als andere. Er war auf keinen Fall ein Heiliger für das, was er glaubte, für die Welt zu tun, in dem er sich selbst erst in Hände und Füße schnitt und dann das Messer in seine Brust stach. Genauso wenig war es der, der sich nur „Thomas D.“ nannte (Markus Landauf wusste, dass der biblische Zweifler Thomas hieß) ein Heiliger. Oder ein Teufel. Petra sah sich nochmal die Nachricht in Blut an, die Thomas geschrieben hatte, dann las sie auch seinen Brief erneut.

Beweisstück B.

Er behauptet, keiner glaube ihm, dieser Wahnsinnige, der sich Eligius nennt. Nun, ich habe ihm geglaubt, deswegen lasse ich diesen Brief bei seinem, damit die Menschen die Wahrheit erfahren. Ich habe ihn gehört, wie er erzählte, er sei der Auserwählte, als hätte er nicht diesen Namen selbst ausgewählt. Wie er davon sprach, dass seine Narben die aus einem anderen Leben seien, als sei nicht die Reinkarnation etwas, dass es laut der Heiligen Schrift nicht gebe. Dieser Ketzer, dieser Heuchler, dieser größenwahnsinnige Antichrist. Ich beobachtete ihn lange, um zu sehen, was er noch tun würde und stellte voller Zufriedenheit fest, dass die Leute ihn erkannten als das, was er war: ein Schwindler, ein Lügner, ein gottverdammter Rattenfänger. Als ich aus dem Nachbarhaus, in das ich mich zum Glück einmieten konnte, weil ich den Vermieter kenne, sah, dass er einen Brief schrieb, dachte ich, das müsste sein Abschiedsbrief sein. Ich nahm meine Pistole aus ihrem Versteck und ging los. Die Tür musste ich aufbrechen, aber er bemerkte es nicht. Er war zu sehr damit beschäftigt, ja, davon besessen, sich selbst zu verletzen in der vergeblichen Hoffnung, dann in den Himmel zu gelangen und rechts des Vaters Platz zu nehmen, als sei dieser Platz nicht schon belegt.

Ich ging hin, und fand ihn, verblutend, denn er hatte mit dem letzten Messerstich sein Herz verfehlt, dieser Amateur. Ich ging hin, und nahm seine Hand, und so, dass er es sehen konnte – er war zu schwach, um etwas dagegen zu tun – schrieb ich seine Verdammnis an die Wand: De servorum Dei beatificazione et beatorum canonzatione.

Seine Augen wurden da ganz groß, und diesen Ausdruck, den des Verstehens, des Wissens um sein Scheitern, denn ich durchschaute ihn, den ließ ich auf seinem Gesicht erstarren. Ich tötete ihn, nicht mal das bekam er ja selbst hin. Dann ging ich und schrieb das hier auf. Seinen Brief lasse ich auch zurück, denn nur zusammen ergeben sie die ganze Geschichte.

Thomas D.

Petra sah sich den Brief lange an. Die kleinen As waren stark zur Seite geneigt, das G sah fast aus wie eine sechs, und die Schriftanalysten würden noch viel mehr finden. Außerdem hatte er eine Waffe. Es dürfte nicht zu schwer werden, ihn zu finden. Petra gestattete sich ein leichtes Lächeln, trotz der Grausamkeit. Sie lächelte nicht darüber, sondern beim Gedanken daran, ihn bald schnappen zu können. Sie hatten sein Schriftbild. Er hatte eine Wohnung am Kirchplatz von einem Bekannten gemietet und hatte mehrfach den getroffen, der sich Eligius nannte. Den Eligius, der predigte, und betete und so zu einer stadtweiten Bekanntheit gelangte. Diesen Thomas würde sie finden. Kein Zweifel. Das würde ein Kinderspiel. Petras Lächeln war ein grimmiges.

Dich kriegen wir, sagte dieses Lächeln. Und es ist mir egal, ob du Thomas der Zweifler oder der Antichrist bist, denn du bist ein Mörder.

„Dich kriegen wir“, murmelte sie und ging los, um zu sehen, ob die Schriftbildanalysten inzwischen schon etwas herausgefunden hatten. Wenn nicht, dann würden Markus und sie Thomas´ Vermieter mal einen Besuch abstatten. Sie hatten ein Netz ausgeworfen und mussten es nur noch zusammenziehen. Als sie Markus fand, sah er das grimmige Lächeln auf ihrem Gesicht und nickte nur. Er kannte es gut. Das Netz war ausgeworfen und er würde nicht in den Schuhen dieses Thomas D. stecken wollen, wenn es sich zusammenzog.






Lasse Thoms ist 22 Jahre alt und lebt in Hamburg. Aufgewachsen ist er mit seinen beiden Brüdern und über die Jahre mehreren Hamstern bei Münster in NRW, wo er als freier Mitarbeiter bei der Lokalzeitung tätig war. Seine ersten kurzen Geschichten schrieb er in der Grundschule. In den Jahren seitdem haben sich zwar die Themen verändert, die Lust am Schreiben aber kaum. Höchstens hat sie noch zugenommen. Lasse Thoms hat mehrere Texte im Magazin KKL veröffentlicht.






Über #kkl HIER

Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin und ZeitenGeist Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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