Der Duft des Sommers

Monika Schlößer für #kkl21 „Stigma“




Der Duft des Sommers

Nur der dezent schwarze Rand unter den Fingernägeln des ansonsten stets korrekt gekleideten Anlageberaters ließ auf dessen Hobby schließen – in seiner knappen Freizeit beschäftigte sich Harald Brock am liebsten als Gärtner. Dieser Tätigkeit ging er bei jedem halbwegs geeigneten Wetter nach. Sie befreite ihn von Schlips und Kragen, von Bügelfalte, Jackett und von diversen anderen Zwängen und Turbulenzen innerhalb und außerhalb der hektischen Börsenplätze.

Angefangen hatte seine persönliche Misere mit einem leeren Senfglas. Brock beabsichtigte, in dem fest verschließbaren Gefäß seine ganz spezielle Teebaumöl-Mischung anzurühren. Seine Frau Alma hingegen begehrte dieses unscheinbare Gläschen, um darin Salz aufzubewahren, und zwar deutsches Salz, das sie im Sommer nach Frankreich schmuggeln wollte. Obwohl, schmuggeln war wohl nicht der richtige Ausdruck für ihr Vorhaben –schließlich war es nicht verboten, Salz in kleinen Portionen nach Frankreich zu importieren. Zumal es in unserem Nachbarland Salz in hervorragender Qualität und in ausreichenden Mengen gibt. Nein, Alma wollte das Salz nach Nyons mitnehmen, weil sie extrem sparsam veranlagt war.

Nun, dachte sie bei sich, weshalb soll ich im Ausland 500 Gramm Meersalz kaufen, wenn ich in zwei Urlaubswochen höchstens 63 Gramm davon benötige? Ihrer Meinung nach wäre dies vermeidbare Geld- und Materialverschwendung gewesen. Und genau an dieser Grundsatzentscheidung war der Streit der Eheleute eskaliert. Ihn, den Berater einer international agierenden Bank, nervte das penible Salz-Abwiegen seiner Frau. „… ebenso wie das vor jeder Reise übliche Shampoo-Abmessen, diese überaus peinliche Zahnpasta-Kalkulation, die Filtertüten-Rationierung, das ständig sich wiederholende Abschätzen der vermutlich benötigten Durchfallmedizin, dieses heimliche Ketchup- und Zuckerwürfel-Horten bei Restaurantbesuchen, dieses manische Erbsenzählen vor jeder Urlaubsreise“, wie Harald Brock bei einem späteren Gespräch zugab. „Monatelang sammelt sie Döschen, Fläschchen, Gläschen, Tütchen, Schächtelchen, Gratispröbchen und so weiter, um für den Ernstfall gewappnet zu sein“, hörte ich ihn klagen.

Das ihr Vorgeworfene tat Alma generalstabsmäßig. Überall in der Wohnung lauerten Miniaturausgaben von Behältnissen aller Art auf ihren Einsatz, warteten Trichterchen auf das Ausprobieren ihrer Funktion, harrten Pinzetten und Pipetten geduldig aus, um von Almas schlanken Fingern endlich zur Arbeit aufgefordert zu werden. Nach erfolgreichem Abfüllen wurde das kuriose Sammelsurium gehorteter Behältnisse sorgfältig beschriftet und gut verschlossen. Verwechslungen waren im Allgemeinen ausgeschlossen. Nur einmal war es vorgekommen, dass sich der adrette Banker am Urlaubsort irrtümlich Olivenöl ins frischgewaschene Haar einmassiert hatte. Dieses Versehen war, von der optischen Komponente mal abgesehen, nicht weiter tragisch gewesen. Andererseits, das bewährte Birkenhaarwasser im Thunfischsalat … Nun ja, für die Folgen solcher Missgeschicke hatte Alma vorsorglich das Pröbchen eines Mittels gegen Brechreiz zur Hand.

Überhaupt sorgte Alma für alle eventuellen Wehwehchen vor und stellte anlässlich einer jeden Reise ein mit wohl dosierten Medikamenten gefülltes Mäppchen zusammen, in welchem die in Miniaturflakons abgefüllten Tinkturen und Säftchen nicht fehlen durften.

Besonders wichtig aber war Alma ein kleines Fläschchen Franzbranntwein, das sie ebenfalls in jeden Urlaub mitzunehmen pflegte. Franzbranntwein half ihr gegen geschwollene Beine, Mückenstiche, Heimweh, Kopf- und Rückenschmerzen, gegen Liebeskummer und überhaupt. Franzbranntwein hätte die aparte Vierzigjährige bei Bedarf niemals im Urlaubsland gekauft, denn ihrer Meinung nach wurde ihr Lebenselixier in den Alpenländern mit Latschenkieferextrakten verunreinigt. Und in Frankreich müsste sie ihre müden Waden mit Eau de Cologne einbalsamieren. Eine winzige Dosis Echt Kölnischen Wassers hingegen trug Alma Brock ständig bei sich, weil gerade dieses Wässerchen hervorragend zur Bekämpfung der alljährlichen Ameisenplage geeignet sei, wie sie dreist behauptete.

„Ich traue dieser Frau sogar zu, dass sie die dazu gehörigen Ameisen kidnappt und in einem kleinen Döschen, in das sie vorher kleine feine Luftlöchelchen gepikst hat, nach Frankreich verschleppt, um dort ihrem Lokalpatriotismus frönen und die Franzosen mit Echt Kölnisch Wasser einnebeln zu können. Und dass sie in ihrem albernen Mini-Wörterbuch im Daumenkino-Format nicht die Vokabeln gefunden hat, um Passanten nach einer Pizzeria fragen zu können, war schon mehr als peinlich“, erklärte Harald Brock auf dem Polizeirevier. „Die kleine Meinungsverschiedenheit, die aus diesem Vorfall resultierte, hätte eine erwachsene Frau durchaus verkraften müssen, nicht wahr, Herr Kommissar?“

Horst Weber, der im Vermisstenfall Alma B. ermittelte, hörte ihm aufmerksam zu.

„Aber dann war der Streit plötzlich eskaliert, und die alberne Gans raffte ihr Handtäschchen und rannte einfach davon. Nun bin ich ohnmächtig vor Trauer, Wut und Verzweiflung über ihr Fernbleiben“, gestand der verlassene Ehemann und betrachtete sichtlich erschüttert den dezenten Trauerrand unter seinen Fingernägeln.

„Trotz der Sorge um Ihre geliebte Frau Gemahlin hatten Sie dennoch Zeit und Muße, um in Ihrem Schrebergarten Kartoffeln zu legen?“, fragte Weber erstaunt.

„Kartoffeln?“ Der Anlageberater blickte nervös auf seine ungepflegten Fingerspitzen. „Die hätten eigentlich schon zu Josef in die Erde gemusst, aber am 19. März war der Boden noch zugefroren“, stammelte er zerstreut.

„Und da haben Sie das Nützliche mit dem Nötigen verbunden, nicht wahr?“, meinte der Polizist und schaute ungeniert auf den Dreck unter den Fingernägeln seines Gegenübers. „Wir haben übrigens das Handtäschchen Ihrer Gattin gefunden. In Ihrem Gartenbüdchen. Mit dem Wässerchen gegen die Ameisenplage und dem Döschen für die Tablettchen, mit dem Fläschchen für das Säftchen und dem Gläschen aus Ihrer Teebaumöl-Sammlung.“

„Ich hab’s doch gewusst“, fluchte Harald Brock. „Dieses verdammte Luder! Nichts war vor ihrer Raffgier, vor ihrem zwanghaften Sparwahn sicher. Noch nicht mal vor meinen Teebaumöl-Fläschchen hatte sie Respekt!“

„Und falls Sie Ihre Saat-Kartöffelchen suchen – offensichtlich hat diese jemand in Ihrem Gärtlein gefunden und dann in der tiefen Grube Ihres Herzhäuschen verschwinden lassen. Und ja, Ihre liebe Gattin haben wir ebenfalls gefunden. Dreimal dürfen Sie raten, wo.“

Harald Brock starrte fassungslos auf seine Hände.





Monika Schlößer

Geboren 1949, lebt in Bad Münstereifel, verheiratet, 2 Töchter. über 80 Veröffentlichungen von Lyrik, Kurzkrimis und Kurzprosa in zahlreichen Anthologien, Kalendern, Jahrbüchern, Zeitschriften, Schaufenstern, im Internet, einem Podcast, auf einer Lyriksäule und natürlich bei kunstkulturliteratur.com.







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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin und ZeitenGeist Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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