Susanne Sophie Schmalwieser für #kkl21 „Stigma“
Bruno, où êtes-vous passé?
die kutte
mit 15 abgelegt, nach dem befinden
fragende selbstgefällige leute. heute
ist die sprache hart mit
mir gewesen, sie einmal nicht zu
denken nur in einer ferne
zu sitzen paul celan lesen
und
alles stockt.
sag was sind dir
meine finger ausser
zeitvertreib wie sie
kaltend schmerzend sich von mir entfernen sag
gnadenspender wie
du entscheidest wer sich beugt
über eine bank einen tisch eine bodenfläche sich
dir zuwirft und wem
du es gönnst laut auszukeuchen.
die graduierungsfotografin passt winkelgerecht familien an
sie fragt nach der mutter wie ich nie
seit ich sprechen kann ein blumenstrauss aus beeren und kleiner
die grossmutter ein kleid
passend zur armbinde die sie
nicht tragen will die falsche
neben mich gestellt gelobend
vor einer statue niemand spricht
von gott immer bin ich gewillt mich ihm
zu schämen schon immer
schweigend beten nachts die sinnfrage
meiner schwester nach stigmen nach halb
durchwachten schulstunden ich sage
gnade als konzept ist nie modern gewesen (latours
bauchspeicheldrüse implodiert)
durch den fernseher brechen
gesichter in knochenbrösel
in lichtpunkte der russische supermarkt
hinterm staubvorhang. endlich berührt mich
ein buch wie ich es berühre, seitenknitternd,
hautbefleckend, rückenteilend. das ist
keine kostümprobe, ich träne
um bruno und die getaktet sterbenden
im bildschirm. mein auge liegt
seit märz in schwarzer milch
wellen der unverstandenen über der ringstraße.
ein mann im park meint, er kommuniziere
mit vögeln, eine frau am bahnhof
brüllt, sie will nach rom.
(i wanna go to rome, it’s getting cold out here.)
keine neubesetzungen bis jänner und das licht
im gang jetzt stumm.
this is a dress rehearsal.
täglich krümmt sich mein rücken unter
empfindungen die ich nicht zu verdienen meine.
die freundin meint ich fühle weniger
als sie, ich nicke und wache nachts auf, brennender
körper, alles zerstockt.
mir winkt die verschmähte
dekadenz zweier liebenden,
ich lese die liste von gründen wieso
ich keine von ihnen
sei in meinem handy nach.
die katze weicht
vorm geruch meiner krankheit. ein kind
weint, als ich es berühre.
einen sommer lang bin ich mit krücken gegangen.
die krücken auf denen ich zu sprechen
versuche tragen mich
nicht bis zur nächsten frage.
dann ist herbst
geworden; die zeit bietet mir
farbdurchdrungen ihr vergehen
an erinnerungsdunkel im klang
der eigenen absätze im
schweigenden flur hinter der stimme
des professors toxikologien verbotener körper
eine mich blendende
empfindung längst überwundene
kindheit nach mitternacht fragt
mich ein mann nach politik
ich sage ich will
eine roboterrobbe und einen tag, an dem ich die zukunft
vergesse
in der arbeit errechne ich existenzen; ich fürchte, dass man auch mich eines tages statistisch beweist.
neulich erst hab ich versucht zu lieben; du holst mich ein, ohne gruss, in fragmenten einer unterredung.
dichteres himmelsgewebe. was ist meine scham schon vorm gedanken ans nahende ende.
im dunkeln weicht jemand meinem hinken aus.
ich überlege ein wort, es spießt sich im rachen und ich versuche, es zu verschlucken.
Susanne Sophie Schmalwieser (geb. 2001) studiert Germanistik und Digital Humanities an der Universität Wien. Sie ist Preisträgerin zahlreicher Wettbewerbe, u.a. Texte.Wien Preis für junge Literatur. Diverse Publikationen von Kurzprosa z.B. in der Literaturedition Niederösterreich. Radioauftritte und Lesungen, z.B. Lesung im Radiokulturhaus Wien. Schmalwieser war 2019 zum Treffen junger Autor*innen der Berliner Festspiele eingeladen. Ihre literarischen und wissenschaftlichen Interessen umfassen Zusammenhänge zwischen Sprache, Technik und Gesellschaft.
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