Alles, was bleibt, bleibt

Dominik Unterthiner für #kkl22 „Bewusstheit“




Alles, was bleibt, bleibt

Wellblechdachtrommeln. Fortwährend. Eine Mischung aus Rauschen und Rhythmik. Je nach Windstoß, Sechszehntel. Schneller, Zweiunddreißigstel. Durchbrochen einzig vom S-Bahn-Raunen. Zuerst leise, dann ganz nah, ehe es mit dem Metronom verschmilzt. Das Trommeln schließt wieder auf. Die Augen noch im Dunkeln, Fensterschepperdonnern.
Die Engel kegeln, hieß es. Sie kegeln, also blitzt und donnert es, so Mutter. Kein Wort von elektrischer Ladung. Kein Wort von Resublimation. Aber keine Angst, Engel tun dir nicht weh, auch heute nicht. Es ist nur ein Kegelspiel.
Augen auf.
Lichtblick.
Ein Blitz, wie erhofft.
Drei. Vier. Fünf. Sechs. Sieben. Kegeldonnern. Zweitausenddreihundertachtzig Meter. Rollendes Brummen, unregelmäßig. Als ob die Kegel von der Maschine weggebracht und neu aufgestellt werden. Dazwischen Regen und das Fensterkippgeräusch. Tropfenfahrbahnen bilden sich entlang der Scheibe. Eine nach der anderen.
Mit dem Kopf zum Fenster aufs Bett gelegt. Kalte Regenluft bricht durch die Öffnung in das stickige Schlafzimmer, herunter, auf den Körper. Vom Kopf, an den Augen und der Nase vorbei zum Mund, weiter zum Kinn, wellenartig über den nackten Oberkörper zu den Füßen. Ein graues Kitzeln. Die Luft bricht und die Engel kegeln aufs Neue.
Unentschieden.
Weich im Bett, doch alles erdrückt. Die Wärme. Der Schweiß, von der Stirn aus, kleine Perlen, die einen Fensterumriss widerspiegeln. Blick hinauf. Im Abendschein zeigt sich das Spinnennetz, ein weiterer Wasserfänger, der dem Sturmbeben standhält. Biegt sich mit dem Luftbruch ans Fenster. Flimmert, gleichzeitig mit der Haut.
Der Luftstoß rotiert. Bricht. Schlängelt sich am Körper entlang. Und wieder, immer wieder will er es tun.

Das Einatmen. Ein Tor ins Innere. Er rauscht hinein, heraus, darüber, hinweg. Daneben, vorbei, von oben bis unten. Er will sie loswerden, hartnäckig, dennoch sanft. Kühl, aber ohne Kälte. Aber sie, die Kreisel, bleiben. Im Uhrzeigersinn, und ebenso gegen ihn. Kringeln sich langsam vorwärts, ohne Tempo zu verlieren. Ein stilles Drehmoment am Punkt. Hinterlässt im Inneren eine winzige Brennspur.

Abermals bricht er herein, kommt dort aber nicht hin. Nicht in die Tiefe, nicht zum Ziel, ehe nochmals die Luft hinunterwellt, kurz im Bauchnabel wirbelt, zwischen den Zehen verschwindet.

Die Hand. Still. Streift vom Hals zur Brust. Gänsehaut, Salz, feine Härchen. Herzklopfen. Und das Kreiseldrehenspüren an den Fingerspitzen. Ganz klar zu verfolgen, die Kreisel sind darunter. Sie sind da drinnen. Die Hand streicht über das Brustbein, der Mittelfinger drückt etwas fester, auf der Suche nach einer geeigneten Stelle zum Eindringen. Die zweite Hand hinzu. Mit einem Knacken öffnet ein fester, kräftiger Griff die Rippen.

Offen und bar.
Verletzlich.
Roh.
Majestätisch.
Flügeln so gleich.

Gänsehaut. Schweiß. Sieh das Herzklopfen. Zwei Achtel gefolgt von einer punktierten Viertelpause. Aber keine Kreisel. Verdammt noch mal, da sind keine Kreisel. Die Spuren sind da, sehr wohl. Ziehen sich fort. Über die Lunge, Leber und Milz. Und das Herz. Winzige neue Brandspuren. Kommen weiter hinzu.

Ein Luftfall. Kühl, soll sie wegspülen. Abstreifen. Loswerden.

Aber nichts. Sommergewitter. Die Engel kegeln mit aller Kraft. Ein Leuchten, Donnern, Beben und Luftstöße. Ein so großes Kind wird sich doch nicht fürchten. Nichts. Tut es aber. Sie drehen sich weiter, unsichtbar trotz sichtbarer Spur. Der aufdämmernde Gedanke irgendwo zwischen der Organschau.

Der Blick zieht wieder nach oben, zum Fenster hinaus, vorbei an den Tropfenfahrbahnen. Das Spiel ist nicht zu Ende. Bahnrattern wird lauter. Gedanken gewiss. Bremst. Still. Eine Fermata. Das laute Horn. Alles, was bleibt, bleibt.




Dominik Unterthiner
geboren in Südtirol
Studium und Doktorat Germanistik/Anglistik Uni Innsbruck, University College London
Lehrgang Theaterpädagogik Stams
Theater (Regie, Schauspiel, Autor)
Radio (Kulturton Freirad Innsbruck)
Finalist „wir sind lesenswert“ 2021 (Graz)






Über #kkl HIER

Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin und ZeitenGeist Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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