Nicola Vandepitte für #kkl22 „Bewusstsein“
Von der Mutigen, der wilden Fahrt im Lebensschiff, der tapferen Besatzung und dem Rezept des Lebens, das alles verändert.
Manchmal fühle ich mich wie ein Segelschiff. Und mitten auf diesem Schiff, ganz tief unten drin, da lebt versteckt die Mutige, die heraus will.
Sie fragt sich fast jeden Tag, was in aller Welt sie ausgerechnet in mir verloren hat.
Es kommt gar nicht so selten vor, da poltert sie wild in mir herum, kämpft sich auf das Deck, kapert den Kapitän Verstand und bindet ihn an den höchsten Mast.
Dann haut sie Steuermann Angsthase K.O.
und übernimmt das Steuerrad. Als nächstes setzt sie die Segel, hisst eine bunte Blumenflagge und segelt hinaus auf das offene wilde Meer.
Das sind dann die Momente in meinem Leben, in denen ich auf die wildesten Ideen komme, unglaublich kreativ sein kann und innerhalb von kurzer Zeit wahre Geistesblitze habe.
Im Kopf fühlt sich das dann so an, als würde da eine riesige Schiffsglocke wie wild bimmeln.
Dingdingdingdingding!
Machste nix dagegen!
Glücksgefühle rasen dann durch meinen Körper, ich könnte Bäume ausreißen und in die Welt hinaus schreien vor Freude.
Ich segle auf einer riesigen Welle und fühle mich stark und unbesiegbar. Ich möchte meine Ideen am liebsten mit der ganzen Welt teilen.
Es ist einfach nur schön und ich bin völlig in meinem Element.
In diesem Zustand merke ich oft nicht, dass ich über meine Grenzen gehe.
Und dann ganz plötzlich, völlig unvermittelt, bricht eine riesige Welle über mir zusammen. Dazu braucht es nur ganz wenig. Ein schiefer Blick, der Eindruck belächelt zu werden, oder ähnliches. Aber in den allermeisten Fällen schaffe ich das auch ganz alleine.
„Schau‘ dich doch an! Wie lächerlich! Wer glaubst du, wer du bist? Was bildet du dir überhaupt ein?“, lacht höhnisch der Selbstzweifel.
Rumms!
Da klatsche ich auf den Boden der bitteren Tatsachen und sehe, wie sich der Angsthase wieder aufgerappelt hat. Unsicher schaut er um sich und will bloß kein Aufsehen erregen.
Er klettert auf den Mast, holt die bunte Fahne runter, rafft die Segel hoch und wirft den großen, schweren Anker raus. Dann schubst er die Mutige beiseite und greift wortlos nach dem Steuerrad.
„Jawohl! Schluss mit dem Unsinn. Wohin soll das führen? Mach dich nicht lächerlich. Benimm dich erwachsen. Meine Güte, du bist fast 50 Jahre alt“, krakeelt der Selbstzweifel und haut sich dabei belustigt auf die Oberschenkel.
Wie fast 50 fühlt sich das dann aber gar nicht an. Eher so nach 7 oder 6, vielleicht sogar noch jünger und hilflos. Auf jeden Fall sehr klein, fast schon mickrig. Geht ganz stark in Richtung Eintagsfliege.
In solchen Momenten schaue ich um mich herum und fange an zu vergleichen
(Vorsicht, lasst das unbedingt!!!).
„Andere können alles viel besser, sie sehen besser aus, sind gebildeter, jünger, straffer, schlauer oder einfach nur stiller als du. Füg‘ dich wieder in die Reihe ein, aus der du ständig heraustanzen möchtest. Das ist nichts für dich.“, schreit der Selbstzweifel Beifall heischend.
Und so kämpfen die Mutige und der Angsthase mit der Besatzung immer und immer wieder aufs Neue in mir.
Aber die Mutige ist eisern und lässt sich nicht so leicht abwimmeln. Sie taucht ständig wieder auf und setzt mir verrückte Flöhe ins Ohr. Und je älter ich werde, umso öfter macht sie das. Als gehe es darum, die begrenzte Lebenszeit sinnvoll zu nutzen.
Mittlerweile habe ich gelernt, wann die Mutige hervorgelockt wird. Z. B. Wenn ich in der Natur bin, mir Zeit für sie nehme, durch Meditation, aber auch in Momenten, in denen ich meine Zeit mit inspirierenden Menschen verbringe.
Dann höre ich sogar häufig auch die Stimme ihrer besten Freundin, der Intuition. Sie ist ziemlich bescheiden und drängelt sich selten auf. Wenn sie es tut, dann ist es allerdings schwer sie zu überhören.
Manchmal ziehen die Mutige und die Intuition gemeinsam los und lassen den Verstand zuhause. Das kann dann schon mal ziemlich schräg und außergewöhnlich werden. Dennoch fühlt es sich immer schön, frei und richtig an.
Ich höre, wie die Intuition leise in mein Herz flüstert: „He du, ich habe da eine Idee. Ich glaube, das könnte dir gefallen.“ Und ganz plötzlich ist da ein Bild in meinem Kopf, etwas, das vorher noch nicht da war, oder ein Wort, oder eine Melodie, oder ein Gedanke über den ich noch nie nachgedacht habe.
Auf einmal kann ich einen roten Faden erkennen, der quer durch mein Leben und über das gesamte Segelschiff führt. Ich schaue mich um und staune dankbar und ehrfürchtig.
Entlang des roten Fadens sehe ich die Mutige stehen. Sie zupft frech daran und zwinkert mir zu.
„Was hast du zu verlieren wilde Frau? Schau doch mal, wo die Reise außerhalb deiner ungeliebten Reihe hingehen könnte. Bist du nicht neugierig? Willst du nicht wissen, was alles in dir steckt?“
„Ja aber…“, setze ich an.
„Ja aber was?“ fragt die Mutige.
„Was ist, wenn ich es nicht hinbekomme? Was ist, wenn ich mich lächerlich mache? Was ist, wenn der Angsthase wieder das Ruder übernimmt?“
„Rede ich gerade mit dir, oder dem Selbstzweifel?“, fragt sie erstaunt.
„Erstens hast du es dann immerhin versucht. Das verhindert das ganze Ach-hätte-ich-mal-Drama in deinem Leben. Zweitens wird es immer Menschen geben, die sich lieber über andere lustig machen, als selbst den Mut zu haben, zu erkennen wer sie sind. Und drittens, wenn du solche Fragen stellst, machst du dem Selbstzweifel und dem Angsthasen den Weg zum Steuerrad frei.“
Der Selbstzweifel schaut zerknirscht zu Boden und wird tatsächlich ein bisschen kleiner.
„Und was schlägst du vor?“, frage ich zögerlich.
„Schließe deine Augen, verbinde dich mit deinem Atem und spüre in dich hinein. Was siehst du?“
„Mich!“, sage ich erstaunt nach kurzer Zeit.
„Aber irgendwie viel lebendiger und freudiger, als ich es eigentlich bin. Ich fühle Freiheit und die Lust mich auszuprobieren: Zu versuchen, zu lernen, zu lieben und zu leben aus der Fülle meines Daseins.“
„Bravo!“, klatscht die Intuition freudig in die Hände. Der Selbstzweifel jedoch ist während dieser Worte immer kleiner und kleiner geworden und hält sich mit letzter Kraft in einer schmalen Spalte zwischen den Bodenplanken des Schiffes fest. Vor lauter Anstrengung ist er plötzlich ganz still geworden.
„Na dann,“ sagt die Mutige „Nimm meine Hand und lass‘ uns das Steuerrad übernehmen. Du kannst nur gewinnen, egal wie es laufen wird. Entweder du wächst, oder du lernst. Und beides wird dich zu deinem wahren Selbst bringen.“
Lächelnd gehe ich auf die Mutige zu, nehme ihre Hand und folge ihr entlang des roten Fadens zum Steuerrad. Ihre Freundin, die Intuition sieht uns freundlich hinterher.
„Ich bin immer mit dir unterwegs, auch wenn du mich nicht siehst. Wenn du mich suchst, findest du mich in der Stille. Du kennst ja mittlerweile den Weg.“
Der Selbstzweifel ist indessen winzig winzig klein geworden. Seine Kräfte versagen und er schlüpft durch die minikleine Ritze der Planken hindurch ins Meer. „Auf nimmer Wiedersehen!“, ruft die Mutige ihm etwas schadenfroh hinterher.
Am Steuerrad steht unsicher zitternd Steuermann Angsthase. „Gut, dass mich hier jemand ablöst. Das ist ja nicht zum Aushalten. Es wimmelt hier ja nur so vor Sorgen, Ängsten und Problemen. Das übersteigt bei weitem mein Fachgebiet. Damit bin ich noch nie klargekommen. Sowas habe ich nicht erwartet. Selbst den Anker zu werfen hat nichts gebracht, geschweige denn das zurückrudern. Furchtbar, furchtbar, einfach nur furchtbar.“
Die Mutige nimmt dem Angsthasen mitfühlend das Steuer aus der Hand.
„Vielleicht solltest du auch mal meine Freundin die Intuition kennenlernen. Sie ist wirklich erstaunlich und hat mit ihren Einsichten schon Viele verändern können.“
„Gute Idee.“, ertönt es auf einmal aus einer anderen Ecke. Der Verstand hat sich aus seiner misslichen Lage befreit und streift sich die Fesseln ab. „Von deiner Freundin habe ich auch schon viel gehört. Dachte immer, die wäre nur etwas für Spinner. Vielleicht sollten wir alle etwas voneinander lernen.“
„Darauf lasst uns einschlagen.“, sage ich.
Und so legen wir alle die Hände aufeinander. Die Mutige, der Verstand, der Angsthase und ich. Und wie durch Zauberhand steht die Intuition neben uns, legt ihre Hand sanft oben auf unsere und sagt zu mir:
„Wir haben alle unsere Aufgaben in deinem Leben. Nimm du selbst das Steuerrad in deine starken Hände. Wir werden dich begleiten und sind immer zur richtigen Zeit für dich da.“
„Wie kann ich mir da sicher sein?“, frage ich zögerlich.
„Sicherheit gibt es im offenen Meer nicht. Aber vielleicht wird es Zeit, dass du eines der besten Rezepte deines Lebens kennenlernst. Es ist so wie ich, immer zum Greifen nah. Es zeigt sich dir, wenn du im dichten Nebel lossegelst, ohne zu wissen, wohin deine Reise dich führt. Du musst dich nur darauf einlassen.
Darf ich vorstellen? Das Vertrauen.“

Nicola Vandepitte
„Ich wurde am 11.11.1974 in Schwalmstadt als typisches Arbeiterkind geboren.
Nach meinem Abitur habe ich diverse Ausbildungen absolviert und erst 2016 nach längerer Erziehungspause ein Studium der Erziehungswissenschaften angefangen (Bachelorabschluss in 2020). Ich bin Mutter von drei Kindern (17, 14,11), meine jüngste Tochter hat das Down Syndrom.
Ich arbeite als Sozialarbeiterin an einer Gesamtschule und arbeite gerne kreativ. Kultur (besonders Musik und Tanz) ist meine Leidenschaft.
Seit meiner Kindheit schreibe ich Gedanken und Gedichte auf. Nun ist es an der Zeit, diese auch nach außen zu zeigen.“
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