Markus Haas für #kkl22 „Bewusstheit“
Bewusstheit durch Ruhe
Einem wird vieles bewusst, wenn man mal nur dasitzt. Je länger ich so in Stille verharre, desto mehr kann ich wahrnehmen. Hupende Autos auf der Straße, bellende Hunde, weinende Kinder. Und zwischendurch auch mal singende Vögel. Die hört man aber nur, wenn die anderen mal ruhig sind.
Je länger ich so beobachtend und ohne irgend eine Handlung dasitze, desto mehr merke ich, wie meine Bewusstheit näher zu mir wandert. Weg von der Straße und den anderen Leuten und den Autos. Immer näher zu mir und dem, was mich umgibt. Eigentlich merkwürdig, dass man erst einmal den Lärm der Welt für sich erschöpft haben muss, damit man sich seiner selbst bewusst wird. Andersherum hätte es mir besser gefallen. Wenn man sich selbst und seiner eigenen Bedürfnisse gewahr wird und danach seine Aufmerksamkeit auf das Drumherum ausbreitet. Das scheint aber nicht die Regel und auch nicht gewollt zu sein – jedenfalls für mich.
So sitze ich jeden Tag und muss erst einmal die Unruhe der Anderen ertragen, um danach meine eigene innere Unruhe zu konfrontieren. Hört sich irgendwie nach doppelter Arbeit an. Aber so ist das eben.
Vielleicht geht es ja jedem so, der sich mal etwas Zeit für sich und für das Nichtstun nimmt. Vielleicht ist der menschliche Geist so gestrickt, sich möglichst schnell vom Drumherum ablenken zu lassen – um bloß nicht bei sich selbst zu sein. Bloß nicht zur Ruhe zu kommen. Das wäre ja furchtbar! Furchtbar unproduktiv und langweilig. Zumindest für den Geist.
So gelingt es mir schließlich mich auf mich selbst zu konzentrieren. Auf meinen Atem. Der ist wie immer viel zu flach. Ich atme also bewusst tiefer in meinen Bauch. Dann spüre ich meine Beine, wie sie leicht schmerzend verzweifelt mit meiner Sitzhaltung zu kämpfen haben. Ich frage mich, wie lange sie dies wohl schon so aushalten müssen, ohne dass ich es gemerkt habe. Fast tun sie mir ein bisschen leid. Mein Herzschlag ist da auch noch. Ein kleiner Muskel der unentwegt arbeitet und den Rest des Körpers versorgt. Ich meine zu spüren, wie Blut durch mich hindurch zirkuliert. Ein angenehmes Kribbeln. Vielleicht ist es auch etwas anderes. Schon verrückt, wie der Körper und die Organe pausenlos durcharbeiten, ohne je etwas dafür zu verlangen. Herzschlag um Herzschlag. Atemzug um Atemzug. Ein. Aus. Ohne Pause. Bis zum letzten Herzschlag irgendwann. Und zum letzten Atemzug. Dann haben sie ihre Arbeit getan und können ihre wohlverdiente Ruhe genießen. Ruhe. Irgendwo höre ich einen Vogel singen.
Nachdem ich mich so selbst erforscht habe, nehme ich ein lautes Hupen draußen wieder war. Waren sie die ganze Zeit still gewesen, damit ich hier in Ruhe sitzen kann? Die Straße und die Leute gibt’s ja auch noch.
Und die Autos und die bellenden Hunde. Und die weinenden Babys. Ganz allein wär’s ja auch langweilig.“
Markus Haas, geboren 1989 in Wiesbaden, nach dem Schulabschluss einige Jahre durch die Welt gereist und verschiedene Berufe ausprobiert, seit
2022 dann gelernter Mediengestalter. Hobby-Autor von Kindesbeinen an.
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