Was wirklich zählt

Julia Kohlbach für #kkl22 „Bewusstheit“




Was wirklich zählt

 „Was zählt ist die Erinnerung, was zählt ist die Bewegung, was zählt ist das Leben.“ So beginnt Frau Müller die heutige Unterrichtsstunde zum Thema Altern in der 9c. Bevor sie mit der wissenschaftlichen Erläuterung des Alterungsprozesses beginnt, fragt sie ihre Schüler:  „Wie möchtet ihr alt werden – was ist euch wichtig, auf was wollt ihr nicht verzichten – Körper oder Geist?“

Claudias Gedanken beginnen zu kreisen, denn schon länger denkt sie über diese Frage nach. Das Alter eines Menschen steigt mit jedem Tag an, der Mensch baut langsam ab und am nächsten Tag könnte alles schon vorbei sein. Seit geraumer Zeit erlebt sie die dunkle Seite des Alterns an ihrer Großmutter spürbar mit. Noch vor einem Monat war sie regelmäßig mit dem Auto unterwegs – dann ging es plötzlich nicht mehr. Letzte Woche konnte sie noch Fahrrad fahren – doch das geht diese Woche auch nicht mehr. Und heute? Heute liegt sie im Krankenhaus und die Ärzte sagen, sie kann nicht mehr nach Hause. Sie braucht rundum Betreuung und muss in ein Pflegeheim. Ihr Geist baut von Tag zu Tag mehr ab, sie verliert  immer mehr Erinnerungen und gestaltet sich ihre kleine eigene Lebenswelt – eine Welt ohne Worte, Handzeichen und Gedanken.

Claudia erhebt ihre Hand und wird von Frau Müller aufgerufen.
„Ich möchte am liebsten mit Körper und Geist alt werden, sollte ich aber auf eins verzichten müssen, dann wohl eher auf den Körper – nichts ist wichtiger als die Erinnerungen zu bewahren. Für immer zu wissen, was ich im Leben erreicht haben, meine Familie und Bekannten zu erkennen, mich unterhalten zu können, zu lesen, zu singen und einfach zu leben. Das alles kann ich auch in einem Rollstuhl, im Sessel oder sogar im Bett. Aber nicht mehr zu wissen, wie das Leben funktioniert, was das Leben ist und wer ich überhaupt selbst bin – das kann und will ich nicht.“

Für Claudia ist klar, dass sie nur eins im Alter möchte – die Bewusstheit über das Leben nicht zu verlieren. Ihre Großmutter wird sie jeden Tag ein Stück mehr loslassen müssen, denn es wird der Tag kommen, an dem die Krankheit sie eingeholt hat, sie dem Leben keine Aufmerksamkeit mehr schenken kann und die Augen für immer schließt. Doch bis es soweit ist, möchte Claudia die gemeinsame Zeit mit ihrer Großmutter genießen.





Julia Kohlbach wurde 1995 in Thüringen geboren. Nach erfolgreichem Studium der Bibliotheks- und Informationswissenschaft arbeitet sie als Bibliothekarin. Wenn sie sich nicht gerade dem Kreativen Schreiben widmet, geht sie wandern, arbeitet im Garten oder fertigt Handarbeiten an. Erste Veröffentlichungen in den Anthologien „Bücher, die uns bewegten“;  „Liebesgrüße aus Napoli“ und „Das Rad der Zeit … ein Stück Ewigkeit“ sowie im Online-Magazin KKL.

Interview mit Julia Kohlbach und #kkl HIER








Über #kkl HIER

Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin und ZeitenGeist Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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