sara reichelt für #kkl22 „Bewusstsein“
SEELISCHER ZUSTAND
Und sie entschieden sich dafür, jener Nähe
Ein Atem, eine Stimme, ein einziger Gedanke sind sie, sich stundenlang gegenübersitzend,
und sie entschieden sich dafür, jener Nähe, die sich zwischen ihnen mehr und mehr
ein einziger Gedanke sind sie, sich stundenlang gegenübersitzend, so als säßen sie schon seit uralten Zeiten auf einer Erde
jener Nähe, die sich zwischen ihnen mehr und mehr niedergelassen hatte, keinen Namen zu geben.
so als säßen sie schon seit uralten Zeiten auf Erde, auf Sand, auf Stein.
Satz an Satz, Blick an Blick umgeben gleichzeitig von einer Ruhe, einer Anspannung und von einem Wissen
jener Nähe keinen Namen zu geben.
Umgeben gleichzeitig von einer Ruhe, einer Anspannung und von einem Wissen, weder durch Raum noch durch Zeit trennbar zu sein.
Um jene Nähe zu benennen, hätten sie einen neuen Begriff
Weder durch Raum noch durch Zeit trennbar zu sein.
Ihre Gedanken packen sie voreinander aus, die an der Oberfläche schlummernden
Um jene Nähe zu benennen, hätten sie einen neuen Begriff erfinden müssen.
Da sie allerdings
Ihre Gedanken packen sie voreinander aus, die an der Oberfläche schlummernden und die lange in der Tiefe schlafenden, die festesten verschnürten sogar, die sie bisher vor anderen gehütet haben.
Da sie allerdings mit der Infragestellung aller übrigen Sprache beschäftigt waren
Ihre Ideen legen sie sich gegenseitig mit einer sachten Berührung
Da sie allerdings mit der Infragestellung aller übrigen Sprache beschäftigt waren, hatten sie für eine derartige Begriffsneubildung keine Zeit.
Ihre Ideen legen sie sich gegenseitig mit einer sachten Berührung auf die Handflächen und streichen über sie mit ihrem
Überdies wussten sie
und streichen über sie mit ihrem ICH KANN DICH GUT VERSTEHEN.
Überdies wussten sie, wie schwer es ihnen immer gefallen war, mit einer sprachlich festgelegten seelischen Situation zurechtzukommen
Wort für Wort, Satz für Satz, Satzzeichen für Satzzeichen entsteht zwischen ihnen eine Ahnung
mit einer sprachlich festgelegten Situation zurechtzukommen, da die Festlegung, Festsprechung, Festschreibung
entsteht zwischen ihnen eine Ahnung von einer noch nie zuvor dagewesen Vertrautheit.
da die Festlegung, Festsprechung, Festschreibung das Festgelegte, Festgesprochene, Festgeschriebene sofort ein wenig zerstörte.
Sie kennen sich nicht, sie kennen sich schon immer, seit Ewigkeiten
Wenn sie sich beispielsweise sagten, dass
sie kennen sich schon immer, seit Ewigkeiten
Wenn sie sich beispielsweise sagten, dass sie sich liebten
seit Ewigkeiten.
dass sie sich liebten, um einmal eine gängige Bezeichnung für ähnliche Seelenzustände anzuführen
Es geschieht zwischen ihnen etwas, was sie nicht mit Hilfe von Wörtern,
liebten sie sich sogleich etwas weniger, weil der Prozess des Liebens
was sie nicht mit Hilfe von Wörtern beschreiben könnten, doch es geschieht mittels Sprache
weil der Prozess des Liebens durch jene gegenseitige Offenbarung
doch es geschieht mittels Sprache, vermittelt durch ihre gemeinsame Sprache
weil der Prozess des Liebens durch jene gegenseitige Offenbarung zu einem Zustand gerinnen, zu einem Bild erstarren
vermittelt durch ihre gemeinsame Sprache und durch ihrer beider Fähigkeit
zu einem Bild erstarren würde.
Und durch ihrer beider Fähigkeit, zwischen den ausgesprochenen Sätzen das Ungesagte zu hören
aber gerade diese Lebendigkeit, diese Abwesenheit von Tod
zwischen den ausgesprochenen Sätzen das Ungesagte zu hören und gleichzeitig an die Orte
diese Abwesenheit von Tod wollten sie unter keinen Umständen gefährden.
zwischen den ausgesprochenen Sätzen das Ungesagte zu hören und gleichzeitig an die Orte einer absoluten Sprachlosigkeit zu gelangen.
sara reichelt (geboren 1964 in Nürnberg) beschäftigt sich von Jugend an mit der Neuerfindung der Welt durch Sprache.
Sie hat zwei Hochschulstudien abgeschlossen (Psychologie; Judaistik u. Vergleichende Religionswissenschaft) und beherrscht mehrere Fremdsprachen.
Parallel zu ihren Berufstätigkeiten als Beraterin und Dozentin veröffentlicht sie seit 1986 ihre literarischen Texte in Literaturzeitschriften, Anthologien und als Bücher. Außerdem veranstaltet sie Lesungen, bevorzugt im Kontext von zeitgenössischer Kunst.
2014 hat sie ihren Hauptwohnsitz von Köln nach Berlin verlegt, wo sie als freie Schriftstellerin lebt. Sie wohnt/schreibt zudem gerne immer mal wieder für einige Monate in anderen Städten wie Buenos Aires, Istanbul, Beirut, Odessa, Valencia, Graz u.a.
Interview mit sara reichelt und Jens Faber-Neuling HIER
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