Was will ich?

Timea Hillje für #kkl23 „Leitsterne und Irrlichter“




Was will ich?

Was will ich eigentlich? Wo will ich hin? Was ist mir wirklich wichtig?

Fragen, denen ich immer wieder begegne; Fragen, die mich nicht loslassen; Fragen, auf die ich keine Antwort und doch täglich eine andere finde.

Antworten, von denen ich nicht weiß, ob es die richtige ist; Antworten, die sich nicht ganz anfühlen; Antworten, die neue Fragen aufwerfen.

Die Tage vergehen. Jeden Tag ein bisschen schneller. Meine Vergangenheit wächst, meine Zukunft schrumpft.

Die Vergangenheit – sie ist die Summe all dessen, was ich heute bin. Sie verkörpert meine Erfahrungen, die guten wie die schlechten, und die Menschen, die mir wohl gesonnen waren, so wie die diejenigen, die es nicht waren.

Sie schmeckt mal bitter, mal süß, mal sauer, mal salzig. Doch sie schmeckt immer irgendwie vertraut. Ich kenne sie. Ich weiß, was ich an ihr habe. Sie macht mir keine Angst. Im Gegenteil. Sie gibt mir Sicherheit. Drum halte ich an ihr fest:

An das Zuhause, in dem ich jeden Winkel kenne. An die Ausbildung und das Studium, die ich durchlaufen habe. An den Job, den ich seit jeher ausübe. An die Freunde, die ich im Laufe der Zeit gewonnen habe.

Doch spüre ich dieses Ziehen, ich spüre, dass mich etwas mit sich reißen möchte. Eine Welle, die mich vorantreiben will.

Doch wohin?

Um mich herum herrscht geschäftiges Treiben. Es kommt mir zunächst gar nicht so vor, doch ich merke, wie dieses Treiben immer schneller und hektischer wird. Doch komme ich nicht hinterher, es geht alles so schnell. Viel zu schnell. Meine Freunde, meine Familie alle schreiten voran.

Und ich?

Ich klammere mich fest, fest an die Vergangenheit.

Ich traue mich nicht, loszulassen – das Altbekannte, das Vertraute, das mir so viel Sicherheit gibt. Doch – ich bleibe zurück. Allein. Aber ich möchte nicht allein sein.

Mutig mache ich einen Schritt vorwärts, ins Hier und Jetzt. versuche Schritt zu halten. Das Tempo anzukurbeln. Da ist die Arbeit, da sind Haus und Garten, da ist mein Mann und mein Kind. Da sind Freunde, Termine, Geburtstage. Der Kalender ist voll. Alles ist getaktet. Alles bekommt sein Zeitfenster. Alles funktioniert.

Ich funktioniere.

Ich arbeite eine To-Do nach der nächsten ab. Schnell gehe ich von Termin zu Termin. Lasse keinen Geburtstag aus. Will überall dabei sein. Muss überall dabei sein.

Für jeden abgehakten Eintrag im Kalender kommen drei neue hinzu. Ich gehe noch ein bisschen schneller, ein bisschen ist noch drin. Das kann ich schaffen.

Doch ich spüre ein Stechen. Ich presse meine Hand auf die schmerzende Seite, während ich beobachte, wie mein Umfeld an mir vorbeizieht, mal wieder. Sie sind mir voraus, immer weiter voraus. Ich komme nicht mehr hinterher. Der Alltag übermannt mich.

Hoffnungsvoll schaue ich in die Zukunft. Besser soll sie werden. Schöner. Reicher.

Will mich dem widmen, was ich wirklich wirklich will. Mich nicht mehr von dem Alltagstrubel übermannen lassen.

Die Leute reden von Zielen, von Träumen, von Visionen. Wenn ich weiß, was ich will, dann weiß ich auch, welchen Weg ich einschlagen muss.

Also begebe ich mich auf die Suche. Auf die Suche nach der Antwort auf die Frage: Was will ich? Wo will ich hin? Was ist mir wichtig?

Doch die Antwort auf die Frage lässt sich nicht so einfach finden.

Mir tut sich ein Meer schier unzähliger Möglichkeiten auf. Ich schaue Richtung Horizont. Das Ende des Meeres lässt sich nicht einmal erahnen. Ich stöhne auf. Doch da sind all die anderen, die ins Meer hineinspringen und zielstrebig losschwimmen.

Also tue ich es auch. Ich steige ins kalte Wasser und schwimme los.

Ich schwimme umher, mache Halt, schaue mich um, mache Rast, es fühlt sich gut an, doch es währt nicht lange. Ich schwimme weiter, immer weiter. Mal hierhin, mal dorthin. Mache immer wieder Rast, frage mich, ob ich wohl endlich angekommen bin. Doch dann ist da dieses Gefühl der Unruhe, das Gefühl des Nichtrichtigseins, das Gefühl des Nichtangekommenseins. Immer wieder.

Und mit der Zeit stellt sich ein weiteres Gefühl ein. Das Gefühl, nicht zu wissen, wo ich weitersuchen soll. Es ist ein immer wiederkehrender Kreis, in dem ich mich fortbewege. Schwimmend, nie wirklich festen Boden unter den Füßen.

Ich bin gefangen im Meer der unendlich vielen Möglichkeiten. So viele, dass ich mich nicht festlegen mag, möglicherweise aus Angst, da könnte doch noch etwas sein, was sich richtiger anfühlt.

Doch meine Arme und Beine werden schlapp.

So viele Ufer, an denen ich schon Halt gemacht habe, teilweise mehrfach. So viele Ufer, die doch nicht zum Bleiben anregen. Ich finde keines mehr, dass ich nicht bereits kenne. Ich treibe umher. Nicht wissend, wohin es weiter geht. Nicht wissend, wo ich jetzt gerade eigentlich bin.

Ich schaue mich um. Es kommt mir bekannt vor. Meine Vergangenheit? Nein, schnell will ich weiter schwimmen. Nicht schon wieder von vorne anfangen. Nein. Ich raffe all meine restlichen Kräfte zusammen. Doch ich komme kaum noch voran. Die steigende Flut reißt mich mit sich und ich gebe auf.

Ich schließe die Augen und lasse mich treiben.

Ich werde an Land gespült.

Wo bin ich?

Ich schaue mich um.

Da ist mein Zuhause, da ist mein Job, da sind meine Freunde, doch etwas ist anders. Mein Mann, der eine neue Arbeit hat, Mein Kind, das plötzlich laufen kann. Ein Kollege, der befördert wurde. Eine Freundin mit einem neuen Hobby.

Und da bin ich. Weder in der Vergangenheit, noch in der Zukunft.

Immer noch im Hier und Jetzt. Ich frage mich, ob mir die Zukunft wirklich die Erlösung bringen wird? Woher soll ich wissen, was mich in zehn Jahren glücklich machen wird? Wer weiß, was ich in zwanzig Jahren will?

Was will ich jetzt? Was brauche ich? Wonach ist mir? Ich schließe die Augen.

Eine Tasse heißen Tee? Ein gutes Buch? Ein Spaziergang im Wald? Ein Gespräch mit einer guten Freundin? Zweisamkeit mit meinem Mann? Oder einfach mal nichts tun?

Ich spüre in mich hinein, mir tut alles weh, ich bin ausgelaugt und erschöpft. Ich will nur noch eins: Eine Pause.

Ich mache die Augen wieder auf. Die Menschen um mich herum sind immer noch unterwegs, es geht immer weiter. Doch ich will und kann dieses Tempo nicht mehr mithalten. Ich will mein eigenes Tempo gehen. Innehalten. Ausruhen. Ich drücke auf Pause.

Und wenn ich wieder bei Kräften bin, schaue ich was ich dann will. Und am nächsten Tag wieder. Und den Tag darauf. Und den Tag darauf. Jeden Tag aufs Neue.

Denn ich lebe weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft. Ich lebe hier und ich lebe jetzt.




Timea Hillje (Instagram: @timeaschreibt), Jahrgang 1993, wohnhaft in Oldenburg, schreibt über Geschichten aus dem Leben, zurzeit arbeitet sie an ihrem Romandebüt. Darüber hinaus interessieren sie Themen wie Mindset, Glaubenssätze, Persönlichkeitsentwicklung, Achtsamkeit u.v.m.






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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin und ZeitenGeist Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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