Michael Zagorec für #kkl23 „Leitsterne und Irrlichter“
Hirn mit Ei
Stilistische Träume
Vorgestern hatte ich einen Traum, indem ich Geister heimsuchte. Völlig schwerelos glitt ich durch den Vorstadtdschungel hindurch, ohne mich wirklich umzusehen und herauszufinden, von welcher Scheiße meine Mitmenschen verfolgt wurden. Kurz vor Weihnachten ist es am schwersten, weil sich die schönen und arbeitenden und nicht-versagenden Menschen zu Schauspielern verwandeln müssen und mit stilvollen, alltäglichen Handlungen den Frieden in die Welt bringen. Diese verdammten Geister waren keine Geister, sondern kleine Eichhörnchen, die meine Nüsse, meine Anhäufungen an wertvollstem Gut, stahlen. Wahrscheinlich taten sie es nur, um mich zu ärgern…
Als ich aufwachte, und mich mit meinen kalten Händen im Schritt berührte, zog es mir die Gänsehaut auf, weil mir warme Berührungen fern waren. Um nicht völlig in der verzweifelten Welt der Nichtsnutze unterzugehen, zeichnete ich mir eine Skizze meiner optimalen Welt:

Von der Liebe (und wie sie die Unvollkommenheit verkörpert)
Auf der Suche nach der perfekten Art und Weise, sich neben einer Person, die sich wie eine Polygraphie auf das Herz eingebrennt hatte, zu verhalten, fallen mir plötzlich die Augen aus und ich überlege mir, welche sinnvollen Geschenke ich mir selbst machen kann. Der heilige Petrus verflucht mich, weil ich jemanden verraten hatte und dabei keine Schuldgefühle empfinde. Aber pssst!… natürlich habe ich Schuldgefühle, weil ich mich als Säugetier identifiziere und mich besinnungslos mit Gefühlen betrinke. Hätte ich damals nur ein wenig mehr nach Perfektion gestrebt und mich nicht der Angst des Verliebens hingegeben, so wäre ich jetzt sicherlich ein anderer Mensch – ob ich mich nun zum Besseren oder zum Schlechteren entwickelt hätte, wissen nur die griechischen Götter. Es ist immer das Gleiche: Zuerst verwandelt sich der Geist in eine Freiheitsliebende Bestie, die mit unendlichen Möglichkeiten überflutet wurde. Danach kam die Ernüchterung, traurige Selbstbefriedigung. So viel konnte ich tun, aber nichts geschah…
Ich schrieb nichts…,
nichts…,
nichts…,
und nichts…
Langsam wünsche ich mir etwas, das ich als sichere Wildnis bezeichnen würde, etwas nicht Erreichbares und faszinierend Unechtes. Der Wein schmeckt gut, wird begleitet mit ergreifenden Rock Akkorden und ich gehe nach Hause, weil ich durch Hippie-Kräfte zerstört wurde. Liebe, und noch mehr Liebe ist keine Antwort, eher der Untergang, aber was bleibt übrig, wenn ich mich nicht der allbekannten Hollywood Klischees hingeben kann, die uns immer die Perfektion und Unantastbarkeit suggerieren? Ohhh, heillose Welt, wo befinde ich mich gerade? Während unzähliger Gedanken und sinnlosen Selbstgesprächen verfolgen mich Sabrinas grüne Augen, die schönsten Kristalle, die ich je bewundern konnte. Mein Hirn ist matsch und jemand schlürft den Brei mit einem nachhaltig produzierten Metallstrohhalm. Menschen betrinken sich und sind high, fallen auseinander und ich versuche mein Gesicht von der Menge zu unterscheiden. Herzensblut hält die Motivation und Leidenschaft davon fern etwas zu schaffen, obwohl mich die Freiheit in das Entstehen-lassen befördern sollte.
Hätte ich mich damals besser verhalten können? Musste ich alles in Frage stellen?
Ich erinnere mich plötzlich an eine Textzeile: Wir sind keine stolze Gattung, wir sind überhaupt keine Gattung… Wir versuchen nur nach Hause zu kommen.
Das Leben in einer absurden Welt kann so schwer sein, weil uns diese verdammten Hirngespinste die Köpfe einschlagen und dort, wo dieses Verbrechen passiert, gibt es keinen Mord- oder Todschlag, sondern fantastische Schlösser, in denen niemand lebt. Wenn ich darüber nachdenke, mich mehr anstrengen zu müssen, die Synapsen zu belasten, um mich in dieser Welt voranzubringen, fällt mir wieder ein, dass doch die Unvollkommenheit und die Liebe nur Synonyme darstellen, die sich gegenseitig aufheben. Sabrinas Augen verfolgen mich in allen Lebenslagen und ich muss es leider obszön ausdrücken. Ich hole mir einen runter, wenn ich sie vermisse.
Von der Möglichkeit, etwas zu erschaffen (und der Erkenntnis, versagt zu haben)
Ich tanze zu trauriger Musik und halte mir Tucholsky Gedichte vor die Nase, um mich ein wenig besonders zu fühlen. Stattdessen könnte ich Drogen mit Freunden nehmen, aber dafür fühle ich mich zu alt und verfalle plötzlich in Selbstmitleid, weil ich nichts mit meiner Leidenschaft erreicht hatte. Bald wird es zu spät sein, denke ich mir… Auf meiner Couch schlafen regelmäßig blasse Wesen, die sich ihrer Lebendigkeit bewusst sind, aber das Gegenteil davon ausstrahlen. Ein Schluck vom Wein und die Welt zerfällt in ein vorhersehbares Chaos, ein Schachspiel ohne Figuren.
Schwarz hatte begonnen… Wer weiß denn schon wieso?…
Wir zerstören und erschaffen, dann zerstören und erschaffen wir wieder… Doch meistens zerstören wir. Hin und wieder steckt jemand seine Finger in die Steckdose, um sich der Sterblichkeit bewusst zu werden. Dann färbt sich der Himmel violett und wir glauben, alles erreichen zu können. Am nächsten Morgen holt einen die Wirklichkeit ein und Ausdauer, Poesie und Fantasie zersplittern in den unendlichen Weiten der hemmungslosen Begierde nach utopischen Vorstellungen.
Also fing ich wieder zu schreiben an und strebte nach Bemühungen, mich wieder mit meinen größten Kritikern anzufreunden (lausige Fantasiewesen ohne Organe – am meisten fehlte ihnen ein Herz). Zu sehr gab ich dem Drang nach, cool wirken zu wollen, ohne mich danach zu fragen, ob nicht Wärme zwischen den Zeilen etwas mehr bringen würde. Musste man die Menschen berühren? Oder ist es von größter Notwendigkeit, sie auf die grausige Gegenwart aufmerksam zu machen?…
Vielleicht würden wir uns auf dieser Welt endlich mal miteinander versöhnen und im Nachhinein all diese unsinnigen Fehler belächeln, so wie es die Aliens tun, während sie unser Weltgeschehen wie eine Sitcom lachend mitverfolgen. Trotzdem drehen sich im Endeffekt meine Gedanken immer wieder um mich, um die unerbittliche Verfolgung meiner Kreativität, die manchmal aus den Erdlöchern hervorlugt, um sich dann wieder aus dem Staub zu machen. Wer erschafft, der zerstört auch, heißt es doch so schön!… ein Zyklus
Wie viele Male muss denn einer ertrinken, um eine gesäuberte Lunge aufweisen zu können? Uff, hartnäckige Welt, die uns mit allen Schönheiten und klassischer subjektiver Philosophie heimsucht.
Das Sein im unendlichen Raum
Wie viel Wert liegt in Worten, die keiner liest? Womöglich sind sie deshalb so besonders und das Messer bohrt sich mit höherem Widerstand durchs Fleisch, wenn man es selbst in den Händen hält. Die Kunst ist ein Lebenselixier, sagen so manche. Ich sage, die Kunst ist vom Überleben abhängig und alle Versuche, etwas zu verwirklichen lässt Raum und Zeit für einen kurzen Moment verschwinden.
Jetzt mal ehrlich… wohin geht denn die Reise?

Michael Zagorec wurde am 04.09.1993 in Zell am See, Österreich, geboren. Nach seinem Schulabschluss an einer höheren technischen Lehranstalt fing er als Bautechniker in einem Architekturbüro zu arbeiten an. 2015 begann er mit seinem Studium an der Pädagogischen Hochschule in Salzburg. Heute arbeitet er als Grundschullehrer und lebt in Salzburg. Seit seiner frühen Jugendzeit interessiert er sich für Literatur und Poesie und schreibt regelmäßig Kurzgeschichten, Gedichte und Songtexte.
Publikationen: Anthologie des 6. Bubenreuther Literaturwettbewerbs 2020
Archipel – Zeitschrift für Kunst, Theorie & Literatur
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