Bernd und Patrick – Beziehung mal anders

Oliver Fahn für #kkl24 „Erlauben“




Bernd und Patrick – Beziehung mal anders

Jahraus, jahrein brüderliche Eintracht. Das beschreibt die Beziehung von Bernd zu Patrick, die übrigens keine Geschwister sind, noch welche haben. Seite an Seite leben sie zusammen in einem kleinen Apartment, klösterlich abstinent, in unverbrüchlicher Harmonie. Untrennbar Hand in Hand bummeln sie an Samstagen durch Einkaufszentren, trotten an Sonntagen durch den nahegelegenen Schlosspark. Trotz all ihr Zugewandtheit verzichten sie auf intime Zärtlichkeiten, die andere Pärchen gewöhnlich pflegen. Ihr Zusammensein ist von flüchtigen Umarmungen geprägt, die nie ins rein Körperliche führen. Ihre Vergangenheit, jeweils ein nie fertiggestellter Rohbau. Erfolglos durchlebte, vorzeitig geschiedene Ehen, sind ihre wackligen Fundamente, auf denen sie stehen. Aufgrund des Scheiterns wurde ihnen das Zusammenleben mit einem Mann vorstellbar. Sie zogen gemeinsam in ein Apartment. Vielleicht ist diese Episode lediglich ein eingeschobener Zwischenstopp vor neuerlichen Partnerschaften mit Frauen, wer weiß? Möglicherweise ist die Ära Bernd und Patrick bloß eine Übergangslösung. Und doch scheint es vorerst so, als festige sich ihre Überzeugung, diese gleichgeschlechtliche, nie über freundschaftliche Gesten hinausreichende Beziehung, sei der richtige Dampfer, auf den sie gesetzt haben. Die Wände ihres Apartments begreifen sie als Festungsmauern, die allen Zwist aussperren, den sie als Last ihrer einstigen Ehen noch nachschleppen. Egal was draußen brandet, ihr Apartment wird es nicht überfluten. Abseits des Einen wäre die Existenz des Anderen ein trauriges Kapitel, ein trister Auszug aus einem Roman, der einzig durch Spannungsarmut besticht. In Bernds und Patricks Beziehung wimmelt es geradezu vor Möglichkeiten. Dennoch entsagen sie denen. Was will man machen, wenn man sich körperlich nicht von Männern angezogen fühlt, jene Form der Zweisamkeit ansonsten aber dem eigenen Lebensmodell entspricht? Viele angeblich tolerante, letztlich, wenn sie in ihren Kämmerchen verborgen sind, aber kleinkarierte Mitmenschen, schütteln fast unmerklich den Kopf. Obgleich Bernd und Patrick sich mühelos im Verzicht üben, gelten sie weithin als homosexuell. Es gibt tatsächlich noch Landstriche, da sind derartige Abwandlungen sogenannter normaler Orientierung verpönt, dort gelten sie als krankhaft und behandlungsbedürftig. Sexualität zwischen ihnen, das sei nochmals betont, ist ein Tabu. Für keinen der beiden kommt eine Aufweichung der Grundregel infrage. Sie schlendern durch die Zeilen der Vorstadt im selben Takt, in selbiger Frequenz ihrer Schritte, sie zelebrieren eine Zusammengehörigkeit und genießen mittlerweile sogar die Spekulationen darüber, wenn getuschelt wird in herumstehenden Grüppchen, wie weit sie vermutlich gehen werden, wohin ihre Zuneigung führen wird, sobald sie die Tür ihres Apartments hinter sich geschlossen haben. Niemand der sie einträchtig nebeneinander, Hand in Hand, sieht, würde ihre Enthaltsamkeit erahnen. Nahezu jeder an Bernd und Patrick vorbeikommende Spaziergänger denkt, ein gemeinsamer Puls genüge ihren Herzen. So synchron wie die beiden ihre Sohlen auf Bürgersteige trommeln, müssen zufällige Passanten ihren Augen erst beibringen, dass man sich ihren Schritten auch abwenden darf. Die Leute stieren. Ihre Reaktionen sprechen eine eindeutige Sprache. Kaum einer, der sie so beobachtet, würde den beiden zutrauen, ihre Beziehung sei von Anbeginn körperlich ambitionslos gewesen. Ein Übermaß an derartigen Bedürfnissen, mit denen sie Männer neben ihren Frauen auf Bürgersteigen protzen hören, mit der jene Kerle gerne vor Publikum hausieren gehen, ein solches Verlangen nach Prahlerei mit angeblicher Unersättlichkeit besteht bei Bernd und Patrick nicht. Gesehen und gefunden haben sie sich. Keine zwei Blicke haben sie benötigt, um zu wissen, dass sie Freunde sind, zusammengehören, möglicherweise gar bis zum Tod. Ohne Schmetterlinge der Verliebtheit, ohne Trauschein oder Verlobungsring, sind sie innig vereint. Sie scheuen den Wiederholungsfall ihrer gescheiterten Ehen. Auf Annoncen verzichten sie daher. Selbst tageslichttaugliche Damen kommen ihnen so schnell wohl nicht mehr ins Haus, in ihr Apartment. Sie werden bewundert, auch das spüren sie. Vorwiegend Frauen bestaunen ihre Offenheit, von Männern hingegen werden sie bemitleidet oder belächelt, in versteckterer Form beneidet. Erste Nachahmer sehen sie neuerdings durch die Straßen rennen. Ihnen gefällt die Vorstellung, sie hätten eine Welle ausgelöst, eine Bewegung entzündet, die in der Art von Lichterketten lebensnah für Toleranz wirbt. Ist anhand der von Scheidungsraten belegten, unversöhnlichen Partnerschaften zwischen Frau und Mann, nicht zumindest zu erwägen, einen gleichgeschlechtlichen Haushalt zu gründen, Miete zu schonen, wenn man doch anderweitig nach der Trennung alleine leben müsste? Ein Porträt von Bernd und Patrick, meinen ehemaligen Klassenkameraden, steht vor mir auf dem Schreibtisch. Falls meine eigene Ehe schiefgehen sollte, möchte auch ich mir erlauben können, meinen Lebensweg dahingehend fortzusetzen.







Oliver Fahn wurde am 21.03.1980 in der Kreisstadt Pfaffenhofen an der Ilm im Herzen Oberbayerns geboren. Der Heilerziehungspfleger lebt dort zusammen mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen. Neben dem Schreiben zählt Langstreckenlauf zu seinen Leidenschaften.

Veröffentlichungen:

-Profil auf story.one (unter anderem „Schreibtisch, wann gibst du mich frei?“ und „Auf was ich warte…“)

-#kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin April 2022: „Von der Auferstehung verlorengegangener Nähe“

-Papierfresserchens MTM + Herzsprungverlag (Beitrag zu „Liebesgrüße aus Napoli“) April 2022: „Gutschein mit Folgen“

-#kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin März 2022: „Bewegter Stillstand“

-7. Bubenreuther Literaturwettbewerb Oktober 2021: „Willst du gehen und wenn ja, auf welchen Füßen?“

Interview mit Oliver Fahn HIER






Über #kkl HIER

Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin und ZeitenGeist Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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