Bernd Watzka für #kkl24 „Erlauben“
Der Dürer-Hase
Seit mehr als fünfhundert Jahren
hock ich hier und warte drauf,
dass irgendwann mal was passiert.
Vielleicht strahl ich Ruhe aus;
doch Leute, bitte irrt euch nicht –
in mir brodelt ein Vulkan.
Der Rahmen ist mir viel zu eng;
ein Sechzehntel Quadratmeter Platz!
So viel zum Thema artgerecht.
Hab meinen Frust und Hasenzorn
stets in mich hineingefressen –
sieht man das nicht am Aquarell?
Doch heut erlaube ich mir was:
Ich spring auf, verlass das Bild. Warum?
Meines Zornes Grund verrat ich gern:
Ich sah Millionen Europäer,
Chinesen, Amis und Japaner,
auch Russen, Araber sonder Zahl.
Das ist ja alles gut und schön –
doch ich möcht ein Mal im Leben
einen anderen Hasen seh‘n!
Der Eselspinguin
Erlauben Sie mir, mich vorzustellen,
ohne dass Sie gleich vor Lachen gellen.
Ich weiß, ich bin hier nicht bekannt;
Eselspinguin werd ich genannt.
Sollten Sie glauben, mich gibt’s gar nicht:
In der Antarktis kennt mich jeder Wicht –
von der Robbe bis zum kleinen Krill;
aber das ist nicht, was ich sagen will.
Ich möcht euch warnen: Der Eselspinguin
ist für touristische Pläne ein Ruin.
Er lockt keine Urlauber ins Ewige Eis,
und bringt auch nichts fürs Merchandise.
Es interessiert sich halt kein Schwein–
ob jung oder alt, groß oder klein –
für ein so komisch benanntes Tier
und sucht nach seinem Wohnrevier.
Verarscht mich wegen meines Namens;
sagt, ich sei gezeugt aus Esels Samen.
Erzählt herum, ich sei schiach und blöd,
extrem uncool und furchtbar öd.
Gereimter Rede kurzer Sinn:
Mich zu treffen bringt keinen Gewinn.
Ich bleib ein unbeschrieb’nes Blatt
im Buch von Forscher Nimmersatt.
Menschheit, ich kann dir nichts geben –
genau das rettet mir das Leben.
Hitchcocks Vögel. Eine Selbstermächtigung
Wollt ihr wissen, warum wir im Film
so böse sind, so unglaublich schlimm?
Stromleitungen frech besetzen,
Menschen töten oder schwer verletzen?
Manche meinen, wir sind ein Symbol
für verlorenes Menschenwohl.
Andere meinen, es geht um Ökologie:
Rache der Natur an Technologie.
Andere glauben, es geht fürwahr
um Krieg und Kommunismus-Gefahr.
Alles falsch, ihr irrt euch wie immer
Worum es geht, das ist viel schlimmer.
Den Grund für unsere blutigen Taten,
ich werd‘ ihn hier und jetzt verraten,
sonst werdet ihr ja nimmer mehr froh:
Wir verübten die Angriffe – einfach so!
Die Motte
Ich bin eine fröhliche Motte
und trag den schönen Namen Lotte.
Ich tanz für euch so gern ums Licht,
doch darauf seid ihr nicht erpicht.
Ich bin zwar leicht, ja – sogar sehr;
doch ihr macht mir das Leben schwer.
Seht ihr mich, tut ihr die Fäuste ballen
und jagt mich, stellt gemeine Fallen.
Sagt mir, was genau kann ich dafür,
dass ich herumflieg als Mottentier?
Wir haben dieselben Interessen,
vor allem wenn es geht ums Essen.
Ich lieb, wir ihr, Müsli, Nüsse, Mehl,
doch tauch ich auf, schaut ihr nur scheel.
Dabei ist genug für alle da,
für mich und meine Kinderschar.
Habt Dank nun fürs andächtige Lauschen
meine Schwestern erlaubten sich, als wir plauschten
in Ruhe zu verschmausen euren Proviant.
Was sagt ich jetzt? Ist doch allerhand!
Die Wanze
Also spricht die alte Wanze:
Jeder Depp will, dass ich tanze.
So weit geht noch des Reimes Zwang,
dass man mich zwingt zum Chorgesang.
Ich sage „Nein“ – zum letzten Male,
sonst will man noch, dass ich was male.
Oder – das wär‘ echt zum Speiben,
ich müsste einen Aufsatz schreiben.
Nein danke – ich pfeif auf jeden Reim,
und geh auf der Stelle … nach Hause!
Der Transgender-Zwölfender
Das brünstige Röhren im Herbst,
die ewigen Kämpfe ums Revier
und dieses Imponiergehabe –
das hängt mir längst zum Hals heraus.
Ich verrät euch was: Ich spür’s in mir,
mit jeder Faser meines Leibes;
in mir drin, da schlägt das Herz
einer sanftmütigen Frau Hirsch.
Sehr feminin, sehr fürsorglich,
gefühlsbetont und liebevoll;
stets aufopfernd für das Rudel,
kurz: die perfekte Hirschkuhfrau.
Ich muss wohl einen Tierarzt finden,
der gern was dazu verdienen will –
mit einem neuen Spezialgebiet:
wildtierische Geschlechtsangleichung.
Er kann, er soll am OP-Tisch machen,
was mich vom Hirsch zur Hirschin macht –
nur eine Sache muss ich deponieren:
Ich möcht mein schönes Geweih behalten!
Der Teddybär
Der angesabberte Teddybär
hat genug, er mag nicht mehr.
Ihm fehlt ein Ohr, ein Aug ist lose
zerrissen die einst hübsche Hose.
Er geht zurück in die Spielzeugfabrik
Sein Auftritt dort ist nicht sehr chick.
„Ich will nochmals von vorn anfangen“,
ruft er stolz mit heißen Wangen.
Er sagt: „lch geb mich selbst zurück!“
Doch das ist nicht erlaubt, das ist verrückt.
„Ein Auslaufmodell bist du – zu alt“,
erklärt ihm der Sachbearbeiter kalt.
Teddy geht aufs WIFI – es muss her
eine flotte Umschulung zum Stachelbär.
Beim Infoabend flüstert ihm sein Nachbar:
„Das ist genetisch noch nicht machbar.“
Oh Gott! Irgendwann muss dieser Idealist
ein Plätzchen finden, wo er glücklich ist!
Wo man ihn aufnimmt, so wie er ist –
auch wenn der Reim derselbe ist.
Teddy gelangt in den finsteren Wald.
Er ist einsam, doch dann trifft er bald
eine Herde mit plüschernen Rehen –
nun wird er glücklich, ihr werdet schon sehen!
Das Lacoste-Krokodil
Ein Ärgernis, das sich nicht gehört,
ist ein Krokodil am Tennis-Shirt.
Diese vertrottelte Idee
überkam einst den Lacoste René.
Glaubt ihr, mit einem Krokodil
wird besser euer Tennisspiel?
Gibt euch‘s Reptil am Platz mehr Biss,
und schützt vor einem Kreuzbandriss?
Ach, näht mich in Wimbledon und in Dover
weiter auf Shirts und bunte Pullover.
Euer Markenkult ist mir zwar fremd,
aber ich bleib als Logo auf dem Hemd.
Ich mach mit beim bescheuerten Spiel –
auf dass ich von Textilien schiel;
solang ihr für Handtaschen und Schuhe
die Haut meiner Kinder lasst in Ruhe.
Das falsche Glühwürmchen
Lars der läufige Leuchtkäfer umgarnt
ein Glühwürmchen, das heller leuchtet
als das Sternenzelt am Himmel.
Lars tanzt und balzt – und sein Verlangen
wächst; und wächst.
Das Glühwürmchen jedoch
zeigt ihm die kalte Schulter
und rührt sich nicht vom Fleck.
Da wird‘s dem Lars zu blöd.
Verrückt vor Lust stürzt er aufs Würmchen
und sieht zu spät: Es ist ein Birnchen!
Sein letztes Wort, das ist ein „Pfff“.
Die Raupe im Tequila
„Wünsch dir nichts, denn Wünsche
können in Erfüllung gehen“,
sprach der Schmetterling
zur trinkfreudigen Raupe,
deren Traum es war, einmal im Leben
in Tequila ein Bad zu nehmen.
Die präzise Friedenstaube
Die Friedenstaube fliegt unglaublich flott
über Weizenfelder, verlassen von Gott.
Sie flitzt dahin mit stoischer Miene;
ohne auf, ohne ab – wie auf Schiene.
Wohin wird sie den Frieden bringen?
Dürfen wir „War is over“ singen?
Seht hin, das pfeilschnelle Tier
hat schon ein Haus in seinem Visier.
Die Friedenstaube fliegt kerzengerade
ins Hauptquartier der Generalsbrigade.
Ein Krach ertönt, wie von einer Kanone!
Die Friedenstaube war – eine Drohne!
Gedichte aus der Reihe: WENN WALE WEINEN

Post-anthropozentrische Tiergedichte von Bernd Watzka
Bernd Watzka
lebt und arbeitet in Wien als Lyriker, Dramatiker und Kulturjournalist. Studium Germanistik, Mag.phil.
E-Mail: bernd.watzka@echo.at
Videos von Lyrik-Lesungen: facebook.com/bernd.watzka

LYRIK / VERÖFFENTLICHUNGEN
Tiergedicht „Zwei Amseln“ im Wandkalender 2023 des Krogg Verlag
Tiergedichte in der 8. Anthologie des Bubenreuther Literaturwettbewerbs 2022
Mehrere Tiergedichte (seit 2022) in verdichtet.at
Tiergedichte „Das große Fressen“, „Die Urzeitkrebse“ und „Die Läuse oder Das Blut des Wirtes“ in der Anthologie „Das große Mahl“ (2022) der Literaturzeitschrift Podium
Tiergedichte „Das liebe Gnu“ und „Der Panther (nach Rilke)“ in der Zeitschrift der schule für dichtung „sfd & tiere“ (2022) Tiergedicht „Der Kranich aus Kiew” aus dem Tiergedichte-Zyklus „Wenn Wale weinen“
in der Anthologie des Ulrich-Grasnick-Lyrikpreises (2022)
LYRIK / LESUNGEN
Bezirksmuseum Neubau, 12. 10. 2022, „Wettrennen zwischen Schreibmaschine und Teddybär“
Bezirksmuseum Landstraße, 5. 10. 2022, Doppellesung „Wettrennen zwischen Schreibmaschine und Teddybär“ mit Wolfgang Glechner.
Read!!ing room, 2. 9. 2022, Lesung aus „Wenn Wale weinen”
Stuthe Quickie Open Stage, 12.11., 16.7. und 7. 5. 2022. Lesungen aus „Wenn Wale weinen“
Open-Stage Cafe Baharat, 24.11., 2. 6. 2022, Lesung aus „Wenn Wale weinen“
Ideenlandebahn, 28. 4. 2022. Lesung aus der Tiergedichte-Sammlung „Wenn Wale weinen“
1993: Beginn der Arbeit an Tiergedichten, Fortsetzung 1996 und 2022
BÜHNENSTÜCKE (Auswahl)
HÖDLMOSER, UA 2022. Teilnahme am Festival „steirischer herbst 22“
SANDLAND, 2021. Preis der Akademie für gesprochenes Wort (Ute Kutter Stiftung/PEN Zentrum)
Feuersalamander 451, UA 2018, Eingeladen zu den Heidelberger Theatertagen 2019
Penthesilea, Publikumspreis beim Dramenwettbewerb „Salz 3“ des Theaters Lüneburg (D) 2013
Penthesilea’s Pussy In Great Riot: Publikumspreis beim Dramenwettbewerb „Salz 3“ des Theaters Lüneburg (D), 8.6.2013, Aufführungen: Favoritner Kultursommer, Mimamusch 2013
Occupy Burgtheater! am 3.6.2013 (Regie: Steffen Jäger), Finalteilnahme beim Dramen-Wettbewerb „Empört euch“ (98 Einsendungen) im Theater Drachengasse. Gefördert vom BMUKK.
KUNSTINSTALLATION: SCHLECHTWETTERMUSEUM, seit 2019 in Wien-Mariahilf
AUSZEICHNUNGEN UND STIPENDIEN
Vielzahl an Arbeitsstipendien, Dramatikerstipendien, Bezirksförderungen und Förderungen
Preis beim Wettbewerb „Vinum et Litterae 2009“ für das Dramolett „Penthesilea“. Jury: Ulrike Beimpold, Gerhard Tötschinger, Cornelius Obonya. Gelesen in Krems, Oktober 2009
Preis bei der Internationalen ORF-Hörspieltagung in Rust für „Kannibalinnen im Avocado-Dschungel des Todes“ (1994, mit Nadja Maleh)
DIVERSE VERÖFFENTLICHUNGEN
Veröffentlichung des Kurzdramas „Sandland” in der Anthologie „Wächst das Rettende auch?”
(Hg.: Thomas Knubben, Uta Kutter, Hubert Klöpfer, Kröner Verlag, 2021)
Kurzdramen in den „Freiberger Leseheften” (D), Nr. 6 (2003) und Nr. 7 (2004)
Veröffentlichungen in Literaturzeitschrift „Federstiche“ 1990er-Jahre
Lyrik-Preise beim Künstlerischen Wettbewerb der Uni Leoben, 1980er-Jahre
Über #kkl HIER