Hendrik Fischer für #kkl24 „Erlauben“
Gute Erziehung
„Erlaubst du es mir denn morgen?“, fragte mich mein Sohn, schon leicht müde klingend. Ich schicke ihn ins Bett und, oh Wunder, er gehorcht. Er hat mich zum x-ten Mal gefragt, ob ich ihm erlaube ein Online Ballerspiel zu spielen, dass gerade alle Kinder spielen. Meiner Meinung nach ist er zu jung, um vor einer Konsole zu sitzen, zumindest stundenlang. Als wir bei einem Kindergeburtstag waren, habe ich dieses Ballerspiel gesehen; nach zwei Minuten bekam ich Kopfschmerzen. Erlaube ich meinem Sohn nicht ein Spiel zu spielen, weil ich davon Kopfschmerzen kriege? Bestimme ich, dass meine Wahrnehmung wichtiger ist als der Wunsch meines Sohnes? Aber wünscht er sich es wirklich, oder wünscht er es sich nur, weil andere es wollen?
Meine Frau kam aus dem Arbeitszimmer in die Küche und fragte mich, was es zu grübeln gäbe; sie sieht mir das Nachdenken sofort an. Nachdem ich ihr die Problematik erklärt habe, seufzte sie. „Alle Kinder spielen gerade dieses Spiel, wir wollen doch nicht, dass unser Kind ein Außenseiter wird. Ein bis zwei Stunden am Tag wird doch wohl nicht schaden.“ Meine Argumentation, dass es auch nicht angebracht wäre, ihm ein,- zweimal am Tag das Rauchen zu erlauben, ließ sie nicht gelten. So gesundheitsschädlich wie Rauchen sei Computerspielen jetzt nicht; außerdem rauche ich doch selbst und unser Sohn ekelt sich davor. „Mit acht Jahren habe ich jetzt nicht angefangen“, entgegne ich, „und auch nicht, um beliebt zu werden“ „Aber um eine Frau zu beeindrucken, hast du zumindest mal erzählt. Also, mich beeindruckst du damit nicht.“ Sie erlaubte sich noch ein halbes Glas Wein ein, küsste mich auf die Stirn und ging wieder ins Arbeitszimmer zu ihrem Laptop.
Wenn grübeln, dann richtig, dachte ich, stand auf, nahm meine Jacke und machte mich auf zum Spazierengehen, ohne meiner Frau Bescheid zu geben.
Draußen war es schon dunkeln und es war sonst kein Mensch auf der Straße zu sehen. Ich zündete mir eine Zigarette an und ging ohne großartiges Ziel los. Nach meiner ersten Zigarette damals hatte ich Angst, dass ich sterbe, aber ich habe mich dran gewöhnt. Was passiert, wenn man seinem Kind alles erlaubt? Wird es zum verwöhnten Gör, entfaltet es einen freien Geist, oder wird es niemals eigenständige Entscheidungen zu treffen? Verwöhnt, das war ein schlimmes Wort, als ich ein Kind war. Alle Kinder meiner Generation waren verwöhnt, zumindest, wenn es nach der Meinung von Lehrern ging. Wenn diese Lehrer selber nicht verwöhnt waren, warum haben sie dann aus Bequemlichkeit den Beruf gewählt, den sie jahrelang vor der Nase hatten? Soweit ich mich erinnern kann, gab es Kinder in meinem Alter, denen wurde alles erlaubt. Mir nicht; damals schon mit dem Hintergedanken, dass aus mir später etwas wird. Dies ist eindeutig widerlegt. Ich bleibe kurz stehen und trete meine Zigarette vor einer Haustür aus. Nur Sekunden, nachdem ich mich weiter auf den Weg gemacht habe, öffnet sich plötzlich eine Wohnungstür: „Was erlauben Sie sich!“, ruft ein älterer Herr aus dem Fenster, „einfach so die Kippe vor meine Tür zu schmeißen!“ Den Schreck noch nicht ganz verarbeitet, gehe ich weiter. Der Herr stört nun wirklich meinen Denkfluss. „Hey, ich rede mit Ihnen.“ Ich drehe mich um: „Und was erlauben Sie sich abends, andere Menschen vom Denken abzuhalten?“ Diese bescheuerte Antwort genügt, um den alten Herrn zu verwirren. Er schimpft noch etwas vor sich hin und schließt das Fenster.
Natürlich möchte ich nicht, dass mein Sohn zum Außenseiter wird, aber auch nicht zum Mitläufer. Den Mittelweg zu finden, ist als Kind nicht einfach, schon gar nicht als Vater. Ich komme an einem Spielplatz vorbei, auf dem sich hörbar Jugendliche aufhalten. Auf einem Schild am Eingang des Platzes steht, dass der Aufenthalt für Kinder über zwölf Jahren verboten ist. Ein Kind, das sich an Gesetzte hält? Wer will das schon? Zumindest, wenn es sich um solche Gesetzte handelt.
„Man, warum darf er das und ich nicht.“, hörte ich vom Spielplatz. Den vorherigen Gesprächsfetzen nach zu urteilen, geht es um Kiffen. Zu sehen sind nur die Schemen der Jugendlichen. Derjenige, der sich beschwert hat, hat eine gebeugte Körperhaltung. Die anderen antworten ihm nicht, sondern lachen nur. Es kommt wohl darauf an, wer sich an die Gesetze hält.
Ich gönne mir noch eine Zigarette, komme an der Kirche um die Ecke. Mir schwirrt der Kopf vom ganzen Denken. Zum Glück bin ich gleich wieder zu Hause. Ein Nachbar von uns erhält noch Besuch von einem Paketlieferanten. Die kommen auch immer später. Ich grüße und im Vorbeigehen ist zu sehen, dass auf dem Paket das Label einer bekannten Spielkonsole klebt. Das Mädchen der Nachbarn ist etwas jünger als unser Sohn.
Wieder in der Wohnung angekommen, gehe ich am Kinderzimmer vorbei. Der leise dröhnende Laut eines Radios ist zu hören. Ich muss schmunzeln; so eine Regelüberschreitung gefällt einem doch. Zwei Türen weiter befindet sich das Arbeitszimmer. Es hört sich an, als ob sich im Zimmer jemand unterhalten würde. Ohne anzuklopfen, trete ich ein. Meine Frau schreckt hoch und schließt schnell ein Fenster auf dem Bildschirm. Sie hing fast auf dem Stuhl vor dem PC. Die Träger ihres Tops, sowie ihres BHs, hängen auf ihren Oberarmen. „Was erlaubst du dir?“, faucht sie mich an. „Ich hatte schon immer den Verdacht nicht, du bist nie richtig erzogen worden. Es fällt dir nicht mal ein, anzuklopfen. Dabei bin ich beschäftigt.“ Kurz schaue ich sie müde an und gehe ohne etwas zu sagen aus dem Zimmer, schließe die Tür. Darüber werde ich morgen nachdenken. Das Problem von heute ist noch nicht geklärt.
Im Schlafzimmer angelangt, ziehe ich mich aus und lege mich hin. Es musste in der Frage doch einen Mittelweg geben. Oder war der Mittelweg in dieser Frage falsch oder ging dieser Weg gar in die falsche Richtung? Plötzlich fiel mir ein, was zu tun ist. Beruhigt schlief ich ein.
Ein paar Tage später klingelte derselbe Paketbote wie der vom Nachbarn neulich bei uns. Er brachte auch das gleiche Paket. Meine Kopfschmerzen ließen nach, nachdem ich ein paar Stunden gezockt hatte. So ein Ballerspiel kann schon Spaß machen. Meine Frau wirkte so verwirrt, dass sie mich in Ruhe spielen ließ. Abends ging sie früh ins Bett und nicht mehr ins Arbeitszimmer. Auch unser Sohn traute sich nicht zu fragen, ob er auch spielen darf.
Hendrik Fischer, Studium Angewandte Philosophie und Historische Studien
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