Die perfekte Straße

Sophie Charlotte Warres  für #kkl25 „Raum“




Die perfekte Straße

135 m°2 . Raum für ein Schlafzimmer 15 m°2, zwei Kinderzimmer je 12 m°2, eine Küche 10 m°2 , ein Bad 10 m°2 und ein Wohnzimmer 23 m°2. Dazu ein Garten 13 m°2. So reihen sich die Häuser an einander. 35 auf der einen und 35 auf der anderen Seite, ein Rahmen für die Straße, in deren Mitte man einen Spiegel hätte aufstellen können um festzustellen, dass die eine Seite genauso aussieht wie die Andere. Weiße Häuser, mit roten Fensterläden und Dächern, die durch hüfthohe Zäune voneinander abgegrenzt sind.
Der Raum ist begrenzt. Begrenzt auf diese eine Straße, in der alle Häuser gleich sind.

Jedes der Zimmer hat weiße Wände, an denen keine Bilder hängen. In jedem Raum steht das passende Möbelstück. Im Schlafzimmer steht ein Bett, in der Küche ein Herd- aber sonst nichts. Das Mädchen hat eine Puppe, der Junge ein kleines Auto- nicht mehr. Es ist leer, sauber, steril, wie in einem Krankenhaus, wie in einem Gefängnis. Persönliche Dinge gibt es nicht.
Wie denn auch ? Persönlichkeit ist begrenzt, wenn alles gleich ist.

An Samstagen zur Mittagszeit stehen die Familien vor den Häusern, in ihren Gärten. Der Vater hält eine Grillzange und beobachtet wie das Fleisch auf dem Grill dunkel wird. Die Mutter sitzt unter einem Sonnenschirm und liest eine Illustrierte. Der Sohn zieht das blonde Schwesterlein an den Haaren. Vor jedem Haus ist das Bild das gleiche. Dieselbe Idylle, Perfektion.

Am Sonntag gehen sie gemeinsam in die Kirche. Die Mutter hält stehts das Mädchen an der Hand, der Vater stehts den Sohn. Die Kinder sind wie kleine Kopien ihrer Eltern. Und alle singen gemeinsam und mit der gleichen Stimme, zu ehren eines Gottes, an den sie blind glauben und an den sie keine Fragen stellen.

Und unter der Woche ist jedes der Kinder gut in der Schule. Jedes versteht etwas von Rechtschreibung und Mathematik, von Geschichte und Physik. Jedes ist das Beste, weil alle die gleiche Note erzielen. Keines wird je schlechter sein als die Anderen und doch ist das die größte Angst der Eltern, die sich um jeden Preis vor dieser Schande bewahren wollen. Und wenn die Schule vorbei ist, dann werden die Mädchen Hausfrauen, weil das so erwartet wird und die Jungen, die dann alle in derselben Fabrik derselben stumpfsinnigen Arbeit nachgehen, heiraten eine von ihnen.
Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Der Raum ist begrenzt und so sind es die Geister.

In dieser perfekten Straße gibt es keine Kriminalität, deshalb gibt es auch keine Justiz. Eine solche wäre doch nichts als Geldverschwendung. Wer hat es schon nötig zu klauen, wenn der Nachbar genau den gleichen Besitz hat wie man selbst ? Keiner hier hat je eine Affäre, wozu den auch, denn die Nachbarin sieht genauso aus wie die eigene Frau. Keiner hier würde je morden, denn in jedem den er ermorden könnte sieht er sich selbst oder seine Familie.

Und damit diese Ordnung gewahrt wird hängt unter dem Schild mit dem Straßennamen ein zweites, auf dem zu lesen steht :
„kein Raum für eigene Musik “
„kein Raum für privates Lachen“
„kein Raum für Küsse in der Öffentlichkeit“
„Kein Raum für Anderssein“

Nun darf man das Schild nicht falsch verstehen. Das hören von Musik ist nicht verboten. Es ist nur verboten eine andere Musik zu hören als die Nachbarn. Lachen ist nicht verboten aber jeder in der Straße muss mitlachen. Küsse sind untersagt, aber sie würden Liebe verheißen und Niemand in der Nachbarschaft liebt seinen Partner oder seine Partnerin wirklich. Eigentlich würde der letzte Punkt reichen um alle Regeln zusammen zu fassen. Wieso die anderen Punke auf dem Schild stehen weiß ich nicht.

Doch man sollte fast meinen, dass dieses Schild genauso überflüssig ist wie Polizei und Gericht. Niemand würde je auf die Idee kommen gegen eine der Regeln zu verstoßen- zumindest so lang die Nachbarn das nicht auch tun.

Aber ich bin glücklich, als eine von vielen- hier in der perfekten Straße. Meine perfekte Straße, die ich nie verlassen habe. Mein Raum- in dem es keinen Platz für mich gibt. Ich weiß nicht wie der Rest der Welt aussieht aber ich stelle es mir schrecklich vor.  Es gibt sicher noch andere Straßen, die anders sind als meine. Anders, welch schreckliches Wort. Alles was anderes ist, ist schlecht.
Wie furchtbar muss es sein in einem Raum zu leben, in dem Überall Bilder an den Wänden hängen und in dem die Wände selbst bunt sind ? Wie schrecklich muss es sein nach Liebe suchen zu müssen ?
Wie falsch muss es sich anfühlen eine eigene Persönlichkeit zu haben ?




Sophie Charlotte Warres






Über #kkl HIER

Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin und ZeitenGeist Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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