Christa Blenk für #kkl25 „Raum“
Francisco de Goya – Perro semihundido (halbversunkener Hund)
Schon im Jahre 1792 hatte der spanische Hofmaler Francisco de Goya (1746-1828) in einem Brief für die Freiheit in der Kunst plädiert. Diese Freiheit wurde ihm nicht gewährt und man hetzte ihm stattdessen Torquemadas Nachkommen auf den Hals. Acht Jahre später, schon von Taubheit geschlagen, malte er die nackte Maja – eine Unverfrorenheit im damals erzkatholischen Spanien, denn außer Velázquez mit seiner Venus hatte es noch kein Künstler gewagt, eine unbekleidete Frau zu malen, noch dazu eine bekannte Adelige. Mit der Serie der Caprichos (Launen) beginnt seine langsame Befreiung von der strahlenden, leichten Rokokomalerei oder den großartigen, filigranen Portraits. Der private Künstler Goya tobte sich mit den Launen und Torheiten („disparates“) aus, stellte Ungerechtigkeiten an den Pranger, klagte geschickt gesellschaftliche Vormachtstellungen an und kritisierte seinen Arbeitgeber sowie die unmoralische und bigotte, katholische Kirche. Das Portrait der Familie Karls IV ist eine Abrechnung und grenzt an Majestätsbeleidigung. Die Königin steht in der Mitte. Sie und der opportunistische Godoy, ihr Günstling und Liebhaber, agieren und reagieren im Hintergrund. Der König macht ein dummes Gesicht und freut sich über das Familienportrait. Der halbversunkene Hund, der auch den Titel Ein Hund kämpft gegen den Strom („Un perro luchando contra la corriente“) gehört zu dem 14-teiligen Zyklus der „schwarzen Bilder“, die Goya in seiner letzten Lebensphase gemalt hat.
Was sieht der Hund?
Das ist die Hauptfrage in dieser rätselhaft-melancholischen und expressionistischen Raumstudie. Wir entdecken nur einen im Verhältnis zum Bild viel zu kleinen Kopf. Goya hat hier in erster Linie eine sehr ausgeprägte Diagonale in schmutzigen und nuancenreichen Ocker-, Gelb- und Brauntönen, die durch einen länglichen Farbraum fährt, gemalt. Wo hört die Erde auf und wo fängt der Himmel an? Der Hund und seine Geister scheinen die letzten Bewohner der Welt zu sein. Sein schwarzer Kopf ist im unteren, dunkleren Teil des Bildes im Profil zu sehen. Mit aufgestellten Ohren blickt er sehnsüchtig nach oben, den Berg hinauf. Er kann ihn anscheinend nicht bewältigen. Die Aufgabe ist zu groß und zu schwer für ihn, praktisch nicht durchführbar, eine Sisyphusarbeit, ähnlich der von Goya und seinen Vorstellungen und Wünschen, sein Spanien voranzubringen. Um die Dramatik noch einmal zu erhöhen, rollt ein beängstigender und unheilverkündender, düsterer Schatten auf den Hund zu. Er ist dem Monster ausgeliefert und kann nichts dagegen tun, außer zu hoffen, der dunkle, bedrohliche Fleck möge ihn nicht wahrnehmen und über ihn hinweg ziehen oder direkt die helle körperliche Form über ihm umarmen. Aber vielleicht sieht der Hund diese Fata Morgana gar nicht und will gerade aus seinem Versteck kriechen, weil die Gefahr abebbt und er sich überzeugen will, ob die Welt schon wieder in Ordnung ist? Aber sie ist es natürlich nicht.
Francisco de Goya hat mit diesem Gemälde Konventionen über den Haufen geworfen. Es ist weder ein Landschaftsbild noch ein Portrait, es ist einfach nur ein Farbraum mit nur einem gegenständlichen Element. Der Hund ist ein wahrer Ausdruck seiner künstlerischen Freiheit und seinem Umgang mit Raum und Farbe, die er schon 30 Jahre früher eingefordert hatte aber auch eine Zukunftssehnsucht, ein Wunsch nach Licht. Aber anstelle der Aufklärung ziehen immer noch die schwarzen Schatten der Inquisition durch das Land, auch wenn der Religionswahn in Zeiten von Philipp II nicht mehr derselbe ist. Goya wäre einen Pakt mit Himmel und Hölle eingegangen, um sein von Kriegen, dem Landadel und einer unfähigen Monarchie herunter gewirtschaftetes Land vorwärts zu bringen. So aber kann er nur den Hund für sich sprechen lassen aber niemand hört ihn, denn auch die Welt um ihn ist taub geworden und so bleibt er mit dem Gemälde des gegen den Strom ankämpfenden Hundes, das sich im ersten Stock in seinem 1819 gekauften Haus „La Quinta del Sordo“ (das Landhaus des Tauben) befindet, alleine. Goya hat den kompletten Zyklus, darunter auch das Bild von Saturn, der gerade seinen Sohn verschlingt, eine Hexenbeschwörung oder das Knüppel-Duell der Bauern, direkt an die Wand gemalt, aber nicht als Fresken sondern mit Ölfarben.
Der bekannteste Hund der Kunstgeschichte entstand um 1820, misst 131 x 79 cm im Hochformat und hängt im Madrider Prado.
Die Öffentlichkeit hat diese grandiosen Mensch- und Raumstudien der schwarzen Bilder erst viele Jahre nach seinem Tod zu sehen bekommen, als Goyas Haus verkauft und die Gemälde abgenommen und auf Leinwände übertragen wurden, um sie auf der Weltausstellung 1878 in Paris zu zeigen. Viel Interesse – außer bei den Impressionisten – haben sie nicht hervorgerufen. Später hat sie der Besitzer dem spanischen Staat geschenkt.
Francisco de Goya war nicht nur ein großartiger Maler, er war auch einer der wichtigsten Wegweiser und Lehrer aller Zeiten. Verehrt von den Impressionisten, kopiert von den Expressionisten, bewundert von den Symbolisten und Surrealisten. Zwischen 1819 und 1823 malte er seine schwarzen Bilder. Frustriert und enttäuscht verließ er ein Jahr später Spanien, um sich im französischen Bordeaux niederzulassen, wo er 1828 verstarb.
Hier der link zu Goyas Bild: https://www.museodelprado.es/coleccion/obra-de-arte/perro-semihundido/4ea6a3d1-00ee-49ee-b423-ab1c6969bca6

Die Zeichnung entstand 2023 und ist vom spanischen Maler Gerardo Aparicio (*1943), der für Goya eine große Bewunderung hegt.
https://gerardoaparicio43.wordpress.com/2023/01/10/obra-2023/.
Christa Blenk, wohnt in Notre Dame de Monts (Frankreich/Vendée)
Studium: Sprachen, Kunst, Betriebswirtschaft
Beruf: Rentnerin seit ein paar Monaten, vorher im Auswärtigen Amt
Seit über 10 Jahren schreibe ich regelmäßig Beiträge für das Berliner Online Magazin KULTURA-EXTRA über Kunst, Ausstellungen, Museen, Reisen und Musik und für meine Reihe Werkbetrachtungen: https://kultura-extra.de/kunst/werkbetrachtungen.php
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