Luna Malin für #kkl25 „Raum“
(frei)raum
ich puste vorsichtig die wimper von meinem finger. sie wirbelt ein kleines stück nach oben, bevor sie langsam auf den boden segelt. wer weiß, ob sie da je ankommen wird. oder ob ein weiterer lufthauch, vielleicht ja ein windstoß, der durchs offene fenster hineinkommt, sie erneut aufwirbelt. irgendwo im raum wird sie verloren gehen. und ich wünschte, ich könnte es ihr gleichtun.
manchmal würde ich gern verschwinden und unsichtbar sein. ich will nicht gesehen werden. da sind all diese menschen und sie mustern mich. sie beäugen meine frisur, meine kleidung, wie ich gehe, wie ich stehe, wie ich esse, was ich esse, wie ich mir durch die haare fahre, wie ich deine hand halte, wie ich nach luft schnappe, wie ich mir lieber die hand vor den mund halte, wenn ich zu laut lachen muss. und sie kommentieren. sie kommentieren meinen körper, meine beine, meine brüste, mein gesicht, meinen hintern, meine hand in deiner. sie haben immer etwas zu sagen. sie geben mir ihre meinung überall mit, auf der straße und im supermarkt und im club und beim sport. überall sind ihre meinungen, nach denen ich nie gefragt habe, die ich nie hören wollte. sie wollen mir weismachen, dass es für mich sichere und unsichere räume gäbe. in den park soll ich im dunkeln nicht gehen, da machen sich dann alle sorgen. aber dass mein zuhause der unsicherste ort für mich ist, das sagt mir niemand. da sind alle plötzlich still. obwohl sie doch sonst immer so laute meinungen haben. ich wünsche mir einen freiraum. in dem ich einfach sein kann, in dem ich nicht auffalle, in dem mein körper einfach ein körper ist und ich einfach ich.
manchmal würde ich gern da und unübersehbar sein. ich will gesehen werden. ich will, dass meine stimme gehört wird. dass meine ideen und meine kommentare und meine worte beachtet werden, dass sie nicht mehr einfach überhört werden. ich möchte sagen können, was ich denke und was ich fühle. ich möchte es nicht nur leise vor mich hin flüstern, ich will es laut sagen und schreien. ich will nicht unterbrochen werden. ich will nicht, dass du mir reinredest. weil du es ja vermeintlich so viel besser weißt als ich. und dass wäre ja auch nur nett gemeint von dir. ich will nicht immer übersehen werden. es ist als wäre ich luft, der blick geht einfach über mich hinweg. als wären meine ideen zu klein, meine stimme zu hoch, mein körper wichtiger als das in meinem kopf. als hätten meine worte weniger wert, weil in der biographie autorin steht. als wären meine kommentare wertlos, weil nur ich es bin. als wäre ich machtlos. ich wünsche mir einen freiraum. in dem ich nicht um jede kleinigkeit kämpfen muss, um jede einzelne sekunde aufmerksamkeit. ich will nicht mehr kämpfen müssen. ich will gesehen werden.
mein raum ist nie einfach da, er ist nie selbstverständlich. ich muss mich immer dafür aufopfern. ich muss immer alles dafür geben, damit ich den raum auch nur kurz betreten darf – aber dabei darf ich nicht zu bemüht wirken, denn das wäre ja peinlich. in meinem raum kann ich mich nie einfach ausruhen – denn dann wäre ich ja faul und bestimmt bin ich sowieso nur wegen der quote hier. ich darf in meinem raum keine fehler machen – denn dann wird mir die tür sofort vor der nase zugeschlagen, als hätten sie die ganze zeit nur genau darauf gewartet. wenn ich im raum etwas kritisieren will – dann aber bitte in einem angemessen ton und auch nur, wenn ich schon die perfekte lösung parat habe. aber mich wirklich beschweren und laut werden, das darf ich in meinem raum nicht – ich sollte ja auch froh sein, dass ich überhaupt hier sein darf. wenn ich dann noch rumschreien und undankbar sein würde – das würde nicht gehen, das gehört sich doch für so jemanden wie mich nicht.
dabei hätte ich doch so viel zu sagen. die worte sind doch da und sie wollen raus. und ich würde dir gern sagen, dass dieser raum doch viel zu klein ist. manchmal erstickt er mich fast. in diesem raum ist so wenig luft. wie sollen hier neue ideen gedeihen, wenn ich nur damit beschäftigt bin, noch atmen zu können. im raum ist viel zu wenig platz für andere menschen. ich würde den raum gern vergrößern. ich würde gern die wände durchbrechen. ich würde aus dem raum gern ein haus machen. und aus den häusern eine ganze stadt erbauen. und die türen, die türen würde ich nicht verschließen. ich würde fußmatten kaufen, auf denen „willkommen“ steht. und dann würde ich über mich selbst lachen, weil das kitschig ist. aber niemand würde das kommentieren. ich würde lachen und dabei nicht mit meiner hand meinen mund verdecken. ich würde kitschig sein dürfen, weil ich alles sein darf. und ich würde endlich mal wieder frei atmen.

Luna Malin hat Kulturwissenschaften in Lüneburg studiert und arbeitet heute im Bereich der Politischen Bildung. Sie lebt in Hamburg und teilt ihre eigenen Texte sowie Buchrezensionen in den sozialen Medien. Dabei setzt sie sich überwiegend mit feministischen und queeren Themen auseinander.
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