Fiktion oder Realität?

Oliver Fahn für #kkl25 „Raum“




Fiktion oder Realität?

Lose flatternde Zettel auf deinem Schreibtisch. Sie tragen von deiner zittrigen Hand verschüttete Kaffeeflecken als Signatur. Stammen jene Sprenkel nachweislich aus deiner Tasse? Du blickst dich um. Außer dir ist niemand da. Wenn Extremitäten ein Eigenleben entwickeln, so sind es deine. All jene windigen Notizblätter tragen einen Stempel: Ekelerregende Spuren eines nervösen Schreibers.

Reste von Rasierschaum pfropfen in deiner Nase. Pass bloß auf, dass nicht auch diese zähe Gischt sogleich deine Seiten ziert! Viele Erledigungen geschehen en passant. Gedanklich schreibst du weiter, selbst während du dich rasierst. Niemand braucht dich darauf hinzuweisen, dass du im Laufe deiner Schreiborgien verlotterst.

Du hältst den Umstand deines Solistendaseins, deiner brechreizerzeugenden Weltablehnung für die nötige Gangart, hin zu einem vorerst nur erdachten Nobelpreispanorama. Irgendeinen Preis wirst du bezahlen müssen, um hinterher welche zu erhalten. Deine Verwahrlosung, so meinst du, sei ein nötiger Kostenposten, sofern du Nominierungen, Pokale und Podeste anvisierst.

Irgendeinen Tod musst auch du sterben. Falls du abtreten solltest, dann bitte nicht ohne bewusste Abscheu gegen die Banalitäten des Alltags, von denen deine Mitmenschen fälschlicherweise glauben, du müsstest dich an ihnen beteiligen. Du betrachtest deine Fingernägel. Zweifelsohne waren sie schon mal weißer. Wenn du sie längere Zeit ansiehst, erkennst du mit nicht unbeträchtlichem Stolz eine Vernachlässigung, die deine Aufopferungsbereitschaft präziser ausdrückt als jedes Lippenbekenntnis. Seit du dich weit weniger mit irdischen Vorgaben identifizierst, spürst du einen Zorn. In Minuten fernab des Schreibtischs fühlst du dich verhindert. Das macht dich wütend. Du schäumst.

Du bist mit den Erzählungen verwachsen, in deine Figuren vernarrt. Sind deine Geschichten Fiktion oder Realität? Für dich sind solche Unterscheidungen Pedanterie. Vielmehr stellst du dir die Frage: Warum sollte meine Fantasie eine Wahrheit zweiter Klasse sein, wo ihre Qualität der gelobten Wirklichkeit in nichts nachsteht? Du tauchst im Becken deiner Vorstellungen so tief unter, dass du deinen Lesern gestehen musst, derartige Grenzen zu ziehen, wäre reiner Betrug. Du bist, was du schreibst, eins zu eins, was du zu Papier bringst.

Diese kaffeebefleckten Zettel führen deine Seele spazieren. Tatsächlich fallen sie des Öfteren von deinem überfrachteten Schreibtisch, wiegen wie Flocken aus Gedanken, drehen Pirouetten, bis sie von der Tischkante segelnd, auf dem Laminat liegenbleiben. Du bist ein Angler, der aus gleichrangigen Notizen die besten herausfischt. Bei vollkommener Ebenbürtigkeit gaukelst du dir vor, es gebe Favoriten. Während du die Notizen ordnest, ihren Inhalt mit dem Laptop abtippst und dabei ständig vor dich hinsprichst, weißt du genau: Dein Prämierebuch ist ein Zwischenschritt, Teil einer größeren Choreografie.







Oliver Fahn,*1980, Pfaffenhofen a.d.Ilm, hat zuletzt bei den story.one Book Awards in einem Gemeinschaftsprojekt mit der bulgarischen Autorin Polina Jäger drei Bücher veröffentlicht, die in den jeweiligen Wettbewerbskategorien an den Start gehen.

oliver.fahn@gmx.de






Über #kkl HIER

Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin und ZeitenGeist Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

%d Bloggern gefällt das: