Bernhard Horwatitsch für #kkl25 „Raum“
Mein Gott, es ist voller Sterne
Werde ich träumen? (HAL 9000)
Einst wusste ich alles. Doch inzwischen ist all das verschwunden. Es ist nicht so, dass ich das weiß. Ich weiß nicht, dass ich einst alles wusste. Ich kann es weder aufschreiben und auch nicht denken. Niemand weiß es. Weder das Pumpgeräusch der Beatmungsmaschine kann ich hören, noch weiß ich, dass ich dort liege auf einer Wechseldruckmatratze. Ich fühle nicht die Nadel im Arm, spüre nichts von den Berührungen der Pfleger. Ich habe keine Schmerzen und kein Bewusstsein. Ich bin. Einst wusste ich alles. Ich habe kein Gewissen. Weder ein schlechtes noch ein gutes. Ich bin. Die Sonne geht auf, die Sonne geht unter. Einst wusste ich alles. Ich habe keine Zeit und die Zeit hat mich nicht. Ich liege und weiß nicht, dass ich liege. Etwas geschieht und nichts geschieht. Ich bin. Besucher kommen und gehen. Sie waren nie da. Könnte ich reden, könnte ich nichts erzählen. Es macht auch keinen Sinn mich Ich zu nennen. Ich bin. Meine Freiheit ist grenzenlos und ich reise durch ein großes unendliches Nirwana. Dort gibt es kein Hier. Hier gibt es auch kein Dort. Es gibt nichts. Einst wusste ich alles. Während ich fliege, während ich schwebe bewegt sich etwas unablässig den unerklärlichen Sternen entgegen, flimmert im Herzen eines dunklen Mondes, durchkämmt den Hyperraum in transdimensionalen Kanälen gleichzeitig aufwärts und abwärts, sich entfernend und zugleich näher kommend, die gesamte Oberfläche auf einem Punkt als auseinander klaffende Polygone in denen sich schwarze Schächte spiegeln, riesig und klein zugleich.
Wäre ich fähig zu dichten, wären das angemessene Worte. Ich bin. Kein Dichter. Ein schwarzer Himmel hell erstrahlt im perligen Schimmer von Myriaden schwarzer Punkte. Ein Schiff wie eine große Wüste am Horizont taucht auf und zerfällt wieder zu Staub. So wüsste ich es, wenn ich wie einst alles wüsste Staub in golden aufflackernde Spindel. Eine Kapsel mit schwarzen Wänden in unendlichen Dimensionen taucht im Inneren eines Planeten auf, in einem unendlich entfernten und tief dunklen Universum. Schatten und Sterne, Lichtflecke aus weiß glühenden Strömen implodieren in einer großen, roten Sonne zu Violett, Blau und Grün. Könnte es so sein, wäre es? Was verschweige ich? Einst wusste ich alles. Was willst du wissen? Was kannst du wissen? Ich bin. Das Licht verfärbt sich erneut und bringt eine weitere Sonne zur Welt, schrumpft auf einen weiß glühenden Zwerg mit einer millionenmal schwereren Masse als die Erde, der Zwerg dehnt sich aus in Millionen von Jahren die gleichzeitig ablaufen, während ich bin und nicht bin und phosphoreszierendes Gas tanzt wie leuchtende Bälle. Ich durchquere in Milliarden von Jahren innerhalb einer My-Sekunde 30.000 Universen zugleich. Was verschweigst du uns? Was willst du wissen? Was kannst du wissen? Einst wusste ich alles. Ich bin. Während eine möglicherweise unerträgliche Grelle aufbrandet und Lichtkugeln aus sich heraus schießen, wissende glitzernde Lichtkugeln, ein gigantischer Aufmarsch intelligenter Einheiten. Als all das was ich einst wusste, war. Hinter einer Feuersäule verschwindet eine rote Sonne und ein weißer Zwerg berührt sanft den Horizont, sinkt schnell ab und eine rote Sonne kräuselt sich in einem Inferno des Zwielichts, bringt eine Schockwelle hervor auf den ein blank polierter Parkettboden wie eine Walze ausgezogen wird auf dem Illusionen tanzen. Was verschweigst du uns? Was willst du wissen? Was kannst du wissen? Ich bin. Den inneren Wellen meines nicht seienden Gedankenozeans folgen, ich könnte schwimmen, getragen von Schattenwasser und darüber könnte ich einen klaren, blauen Himmel spüren. Ich bin.
An den Mond
Geleert sind Wald und alles Tiefe
fehlt dem klagenden Ton – vertrieben
durch falsches Licht ist unsre schiefe
Seele aufgelöst und all die Lieben
Den Toten in der Erde kann dein Blick
nichts lindern, kein Gefährte noch
mild bist du? –deine Augen nur ein Trick
kein Schild – nur trübes Loch
Resonantes Wesen ohne Herz
nicht traurig und nicht heiter
nicht wandelst du, du bist ein Scherz
entfernst dich nur noch immer weiter
Da ist kein Fluten und kein Wogen
nichts rauscht so unbeständig
von ganz weit oben
lieblos, trocken und elendig
Du hast uns nie gehört
dein Zauber stets verlogen
der Schmerz hat nur uns selbst betört
und uns dir ganz entzogen
All die Klänge all die Lieder
der Wandrer dir zur Lust
ach, wie waren die doch bieder
statt Herz doch viel mehr Brust
Gefühllos bist du tot und starr
in kalter, klarer Nacht
wer dich himmelt ist ein Narr
für ewig ausgelacht
Der Himmel ist nur Leere
niemand kann sie fassen
diese ganz neutrale Schwere
noch kann man von dir lassen
Wir wissen längst wir irrten
durch diesen Jammergarten
es gab nie einen Hirten
wir werden ewig auf ihn warten
Aufklärung
Die Milchstraße ist verschwunden
ausgelöscht von einer Straßenlaterne
grüne, rote LED
blinken uns an
wir reden verschlüsselt
über ChatGPT
was geht APP?
Titelt schon die Volkshochschule
die Nacht wird beleuchtet
von Dark Energy Cameras in Chile
Miniroboter wechseln den Aggregatzustand
alte Frauen und alte Männer
stehen im Weg
überzählige Schrittmacher
NASA Sonden haben sie gesichtet
Hirnimplantate brechen Sprechrekorde
gekenterte Drohnen verschicken Malware
IT Büros werden klimaneutral
und Blauwale haben Plastikbäuche
Zeit für ein BackUp
Quantenkameras fotografieren lichtlos
die Nacht ist verschwunden
es hat aufgeklart
die Atmosphäre wird aufgeräumt
für Planet B
Reimst du schon oder dichtest du noch
Ikea – dem Gott der Postmoderne
Ach mir macht das Reimen
wirklich Spaß
mit dem einen
und dem andern
kann man
vereinen
was überhaupt nicht passt
so wird das Wort geplänkelt
und hinfort geschafft
und an einem Henkel hängt
ohne Kraft ein Satz
aber Saft hats
man kann in allen Richtungen
dann Dichtungen
anbringen und singen
was das Herz
schlag ein schlag aus
mit Terz haut raus
laut Bauhaus
es muss den Leuten
doch nix bedeuten
nur Reim auf Reim
for a better Time
das Hirn macht Schluss
mit dem Stuss der Klänge
und bardischem Gesänge
nur noch Verse zählen
Fersengeld gibt der Welt
die Möglichkeit zu wählen
zwischen Worten Sorten
und egal ist die Wahl
Kohortentorten prozentual
auch die Struktur ist nur
ein Reim
ein Verselein
den man sich macht
man hat ja nachgedacht und dann
bestropht man
was geht?
was halt da steht
was sonst sollte
wenn man nicht wollte gehen
man bliebe stehen käm nicht voran
come on! Damn. Have fun
Ikea baut Gedichte
neue, schlichte Wortedübel
mehr oder weniger übel angeleimt
und aufgereimt
was soll ich sagen?
Es steht, und kann nichts tragen
für jeden ist Ikea eben
ein Habitat
Ikea Teil II
Götterdämmerung
Habitat?
da stimmt was nicht mit dem Gedicht
eine Schraube eine Naht vielleicht
ist nicht gut geeicht
nur auf Sicht gebaut
hab es versaut
und alles fällt
nichts hält
in sich zusammen
es wurde glatt vergessen
wessen Worte woher kamen
keinesfalls aus allen Lauten
Ikea legte nur den Samen
und wir erbauten ein Prinzip
very deep doch
es fehlt ein Loch
Ikea gib mir einen Wink
einen Link auf das
was da steht
und einfach nicht mehr weiter geht

Bernhard Horwatitsch, *1964, München, Dozent für Recht, Ethik und Literaturgeschichte, hat bereits in zahlreichen Anthologien und Zeitschriften veröffentlicht. Letzter Roman »Das Herz der Dings«, www.mabuse-verlag.de
Akrobat für Gedankenspiele, regelmäßiger Autor im Philosophie-Magazin Lichtwolf (Freiburg) und der Edition Schreibkraft (Graz)
Gespäch / Interview mit Bernhard Horwatisch und Jens Faber-Neuling HIER
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