Miriam Erb für #kkl26 „Säen und Ernten“
Die grauen Bohnen
«Lass uns noch diese hier ausprobieren» sagte Tod. «Ach, ich weiss nicht» meinte die Gestalt neben ihm. «Die passen nicht in unsere Komposition.» Sie nahm ihm den Samenbeutel aus der Hand. «Aber die bringen bestimmt reiche Ernte» protestierte er. «Das mag sein, aber man kann nicht alle gleichzeitig austun. Ein jeder Samen braucht Platz zum Atmen.» «Nun sei doch nicht so!» murrte Tod «Du bist sonst auch immer fürs Experimentieren» Er schnappte sich den Beutel wieder und begann ihn aufzuknöpfen. «Tod… bitte. Lass das! Wir haben das schon besprochen.» «Ach was weisst du schon…» maulte er und knubbelte schneller. «Ausserdem will ich auch mal wieder was zu tun haben.» Leben stöhnte und versuchte, den Beutel zurückzukriegen, doch Tod hatte sich abgewandt und schirmte das Stoffpäckchen mit seinem Rücken vor Lebens Zugriff ab. Ein Gerangel entstand, als Leben eine Kordel zu fassen kriegte und begann, den Beutel aus Tods Knochenfingern zu ziehen. «Nur ein Paar!», jammerte er und schnappte nach dem entfliehenden Stoff. «Ich will doch nur sehen, was daraus wird!»
Er bekam eine Ecke des Beutels zu fassen, bevor Leben ihn in einer seiner unzähligen Taschen irgendwo in den Tiefen seiner Gewänder verschwinden lassen konnte. Sie zerrten beide hin und her, ehe der Beutel mit einem leisen Ratschen aufriss. Ein Regen aus hunderten dicken Bohnen ergoss sich über das Feld. Kaum trafen sie auf die Erde, versanken sie darin und waren nicht mehr zu sehen.
«Na toll» stöhne Leben. «jetzt haben wir den Salat.» Voller Entsetzten schlug es die Hände vors Gesicht. «Warum musst du immer so ungestüm sein.»
«Es sind nur ein paar Bohnen» verteidigte sich Tod. «Ein paar Bohnen!» keifte Leben verächtlich. «Du hast keine Ahnung. Sie werden alles kaputt machen» «Pah, du vergisst, wer ich bin. Ich habe das im Griff» sagte Tod etwas beleidigt. «Ich werde jeden einzelnen Halm wieder ausrotten, wenn es sein muss.» «Viel Spass dabei» murmelte Leben und verzog sich in die Unendlichkeit des Alls jenseits des grossen Feldes. «Hej, willst du nicht zugucken?» «Nein. Ich weiss schon, wies ausgeht» Lebens Stimme verhallte dumpf im Dunklen.
Tod setzte sich im Schneidersitz auf den Boden und besah sich die Erde. Narzissen, Schlüsselblumen und ein kleiner Korkenzieherhasel blühten friedlich nebeneinander in einem dichten Teppich verschiedenster Gräser und wilder Kräuter. Weiter hinten wogten die Äste ihrer Tannenbaumschule leise im Wind. Es war friedlich. Tod summte ein Liedchen vor sich hin und wartete.
«Und schon was passiert?» Leben war zurückgekommen. Gebückt inspizierte es die Erde um Tod herum. «Bis jetzt nicht.» Er lag gelangweilt im Gras. «Warte nur, die kommen schon noch. Ich bin am Teich zum Ernten.» Leben schüttelte die vielen kleinen Beutel, die an seinem Gürtel baumelten. «Jetzt? Ich dachte, wir lassen es so, damit sich neue Sorten entwickeln können.» Leben antwortet nicht. «Wieso kümmerst du dich nicht erst um den Wüstenfleck? Du wolltest dort doch unbedingt…» «Jetzt nicht mehr.» schnitt ihm Leben das Wort ab. Es wanderte durch die Wiese davon. «Wir haben eh schon verloren» murmelte es zu sich selbst.
«Sie haben angefangen zu spriessen!» schallte es durchs All. «Na toll. Dann mach sie weg!» kam die Antwort von hinter dem Hügel. Tod beugte sich über die Winzlinge. Fasziniert beobachtete er, wie sich vor ihm dunkle, zarte Halme bildeten. «Wieso? Sie sehen sehr harmlos aus.» «Mach sie weg!» befahl Leben keuchend. Die Samenbeuteln schlackerten wild als es angesprungen kam. «Aber…» «Nichts aber, du hast es versprochen!» «Nur noch ein bisschen. Die machen doch nichts.» Leben stöhnte und verwarf die Hände. «Ach, mach was du willst! Ich habe keine Zeit dafür.»
Für eine weitere lange Weile geschah nichts Unerwartetes. Die Halme schienen kaum eine Chance zu haben. Sie waren schwach und ohne besondere Eigenschaften. Einige verdorrten, andere wurden erstickt durch eine emporschiessende Tulpe und die nächsten von einem sich ausbreitenden Teppich aus Primeln verdrängt. Tod ging los, um sich Kaffee zu holen.
Als er zurückkam, hatte sich das Bild verändert. An einigen Stellen drängten sich die Halme zu dicken Büscheln zusammen. Tod untersuchte sie interessiert, ohne sie anzufassen. Sie hatten feine Zacken an den Stielen gebildet, womit sie ihre umliegende Konkurrenz beim Wachsen aufschlitzten. Der austretende Saft ihrer Opfer wurde von ihrer tiefen Blattrispe aufgefangen und den langen Weg hinunter ins Innere des Halmknäuels geleitet. Man konnte mit blossem Auge zusehen, wie sie dicker und kräftiger wurden. Dann schoss unvermittelt ein langer Stiel hoch. An seinem Ende wuchs in einen einzigen Atemzug eine dicke Schote. Noch bevor Tod begriff, was passierte, platzte sie auf und schleuderten ihre Samen im weiten Umkreis über das Feld.
Verstohlen warf Tod einen Blick über die Schultern. Doch Leben schien nicht in der Nähe zu sein. Etwas beunruhigt knubbelte er am Saum seiner Kapuze, als er die Hand auf die Halme legte. Sie zerfielen unter seinen Fingern.
Als der nächste Horst seine Stiele losschickte, war er parat. Er sprang vor und pflückte die Schoten, bevor sie aufplatzen konnten. Er würde sie Leben schenken, achte es doch so pingelig auf seine Samensammlung. Doch in seiner Hand erstarb das lebendige Grün augenblicklich.
«Das war zu früh» flüsterte es an seinem Ohr. Tod zuckte erschrocken zusammen und fuhr herum. Lebens Augen funkelten direkt neben ihm. «Du musst warten, bis sie reif sind.» Tod schubste Leben weg und drehte sich schnippisch um. «Das war nur ein Test. Stör mich jetzt nicht» Lebens Hand zuckte, als ein weiterer Stängel hochschoss und platzen wollte. Tod verdrehte die Augen. Leben steckte seine Beute ein. «Mach sie jetzt weg.»
«Tssss» Unmotiviert lief Tod übers Feld und strich über die grauen Halme. Langsam welkten sie vor sich hin. Ihm war langweilig. Leben war wieder fortgegangen, seine Taschen zu füllen. Er sah übers Feld. Nur noch leise wisperndes Grün. Zufrieden mit seiner Arbeit legte er sich ins Gras. Er wollte gerade eine Runde dösen, da trat ihm jemand energisch in die Seite. «Ich glaube nicht, dass du schon fertig bist.» «Ach nein?» Leben riss ihn hoch und zog ihn mit sich. Verwirrt folgte er ihm zum Teich. Sie kamen gerade recht, um zuzusehen, wie mehrere Stängel aufschossen und platzten. «Wie sind die so schnell da hingekommen?» fragte Tod verwundert. «Sie wandern» Tod lachte. Leben lachte nicht.
Tods Umhang war fleckig. Er hechtete über das Feld, als wäre es ein Rugbymatch. Von Horst zu Horst hetzend, warf er auf sich auf die windenden Stängel, doch er kam kaum nach. Es platzte und prasselte und platzte. Verzweifelt stand er in einem Feld voller toter, verbrannter Flecken. «Das kann doch nicht sein, das kann doch einfach nicht sein! Nichts kann so schnell wachsen» jaulte er. Er schlug sie die Hände vors Gesicht und drückte sich die Ohren zu, um das leise Ploppen nicht hören zu müssen. «Das ist widerlich.»
Leben stand mit einem Becher Kaffee daneben und besah sich das Desaster. «Als hätte eine Herde Wildschweine das Feld umgepflügt» meinte es. «Hör auf zu spotten! Bring lieber ein paar Samen zum Ausgleichen! Du hattest deinen Spass. Und ich schwöre, ich werde es auch nie wieder tun. Zufrieden?» «Es gibt nichts zum Ausgleichen. Sie haben keine Feinde» sagte Leben düster. «Das Einzige, was sie eindämmen kann, bist du.» Tod sah Leben entsetzt an. «Gar nichts?» «Nein.» Leben lächelte schwermütig. «Gute Samen eigentlich.»
«Ich glaube es reicht jetzt.» Leben legte dem schwer atmenden Tod seine Hand auf den Rücken. «Niemals» flüsterte er gebeugt. «Niemand entkommt mir.» Leben prustete in die Tasse. Nichts erinnerte mehr an die bunte Fülle aus Blüten und Gräser von früher. Alles war in wogendes Grau gepackt. «Kommst du mit mir in den Hain? Es gibt hier nichts mehr zu holen.» Tod zögerte, doch als er sich umsah, musste er einsehen, dass er verloren hatte. «Lass uns gehen.»
Sie wandten sich ab von Feld und Teich, durchquerten die leere Wüste und nährten sich dem anderen Ende ihrer kleinen Welt. Vor ihnen lag in einem Tal eine kleine Senke, gefüllt mit einem Meer aus zarten Rosa und weissen Blütenwolken. Knorrige Stämme uralter Bäume wandten sich in die Unendlichkeit über ihnen. «Oh nein» flüsterte Tod. «Nein! Nein! Nein!» Er stürmte los, als er die grauen Flecken in den Blüten entdeckte.
Leben streckte die Hand nach dem ihm nächsten Baum aus. Die zarten Blütenblätter rieselten wie leiser Schnee zu Boden. «Das kann nicht sein» flüsterte Tod. Entsetzt sprang er von Baum zu Baum. «Wie kommen sie hier her? Die Wüste… kein Leben kommt durch die Wüste!» Lebens Lächeln war traurig.
Der Hain war ihr schönstes Gut gewesen. Jahrtausende hatten sie ihn gehegt und gepflegt. Über die Zeit war eine schier undenkbare Fülle an Blüten, Früchten und Formen entstanden. Obst in allen Formen und Farben, Blumen süss wie Honig, Rispen voller Nüsschen und Kelche mit Nektar. Bäume, die seit dem Anbeginn schon hier standen, friedlich vereint mit jenen Bäumen, die sie erst kürzlich mit grosser Sorgfalt gemeinsam gezüchtet hatten. Tod wollte springen, doch Leben hielt ihn zurück. Es war längst zu spät. Harz floss aus zahlreichen Wunden und tränkte den Boden mit ihrem klebrigen Saft. «Es tut mir so leid» flüsterte Tod. «Wir werden es wieder anpflanzen. Versprochen!» «Wie denn? Sie sind alle einzigartig. Wir haben dazu keine Samen» sagte Leben leise. Über sein wehmütiges Lächeln kullerten stille Tränen.
Tod nahm Leben in die Arme. Entsetzt sahen sie zu, wie eine Welle aus Knistern und Knacken, aus Beben und Bersten durch den Hain fuhr. Die Bäume wankten, als das Grau sie umzingelte. Als der erste Riese fiel, weinte auch Tod. «Komm» sagte Leben leise. «Lass uns etwas trinken gehen»
Sanft zog es Tod aus dem Hain und trat mit ihm in die Weite des Alls. «Es tut mir so leid. Es ist alles meine Schuld.» Leben seufzte. «Wir machen alle Dinge, die wir später bereuen. Nur so können wir lernen und Erfahrungen sammeln.» Tod liess immer noch den Kopf hängen. «Weisst du noch, als ich damals diese parasitären Pilze ausstreute? Das war auch verheerend.» «Stimmt» murmelte Tod «das war ziemlich dumm, da musste ich sehr viel springen.» «Und davor als wir diese wunderschönen blauen Algen testeten und alle Fische starben» «Ja!» rief Tod, schon etwas weniger bedrückt. «Das war eine Katastrophe. Bis wir die wieder eingedämmt hatten. Da vergingen Jahrhunderte.» «Jahrtausende.» «Stimmt.» Tod schien wieder etwas lebendiger. «Dennoch. So schlimm wie das hier war es noch nie.» Leben sagte nichts. «Es ging alles so unglaublich schnell.» Gemeinsam starrten sie ins All und hingen ihren Gedanken nach.
«Lass uns spazieren gehen» Tod schüttelte sich und griff dann nach Lebens Hand. Ferne Galaxien funkelten in seinen Augen. Gemeinsam wanderten sie durch die Ewigkeit der Sterne. «Was meinst du, wird es sich wieder einlenken?» fragte Tod zögerlich. «Wer weiss» «Vielleicht kann sich ja doch noch eine andere Art durchsetzen und sie zurückdrängen.» «Ja, vielleicht» «Und es könnte doch sein, dass von den Bäumen noch ein paar Wurzelstöcke lebendig sind. Sie könnten wieder ausschlagen» «Das könnte sein.»
«Oder alles wird absterben.» sagte Tod nach einer Weile. Leben nickte langsam «Oder das. Ja. Alles wird absterben.» Sie wanderten durch das endlose All. «Bist du böse?» fragte Tod. «Nein. Nur etwas betrübt. Dieser Versuch erschien mir doch sehr gelungen.» «Er war sehr schön gewesen.» «Lass uns noch bis zu dem Sternenhaufen da vorne gehen. Und dann beginnen wir noch mal von neuem.» «Ja.» «Wir haben ja keine Eile.» «Nein. Wir haben alle Zeiten der Welt.»
Miriam Erb, geboren 1990 in Winterthur, Schweiz
Damals wie heute quollen mehr Text und Farbe aus ihr heraus, als es für Schule und Umfeld angebracht gewesen wäre. Und damals wie heute landen bei ihr Text und Farbe nicht immer auf Papier. Mal tanzen die Buchstaben auf Leinwänden, mal kringelt sich die Farbe über die Wände ihres und anderer Leute Zuhause.
Nachdem zu viele Interessen zu vielen Ausbildungen ohne Abschlüsse führten, findet nun alles dabei Erlebte, Gelernte und Erreiste ihre Verarbeitung und Vollendung in Kurzgeschichten, Lyrik und Farbkunstwerken.
Ihre Schöpfungen waren bereits mehrfach an Ausstellungen in der Schweiz zu sehen und auf Instagram unter @mis_fantastic_arts gibt’s regelmässig Einblicke zu ihren neuesten Lieblingen.
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