Hendrik Fischer für #kkl26 „Säen undErnten“
Nichts-Nutzpflanzen
Vorsichtig versuche ich nicht auf das andere Feld zu treten. Ein kleiner Graben trennt die Felder voneinander. Innerhalb der Felder gibt es ebenfalls Gräben, aber nur, um die Blumen mit Wasser zu versorgen.
Wenn es das Internet noch geben würde, gäbe es sicher viele, die mir lang und breit erklären würde, dass man so keine Tulpen bewässert; nachdem man mich ausgiebig beleidigt hat. Die Tulpen wachsen trotzdem. Die Beleidigungen sind auch noch da. Von den Männern, die Nutzpflanzen anbauen.
Allein das Wort klingt schon langweilig: Nutzpflanze. Sie sind aber nicht nur nützlich, sie sind notwendig. Trotzdem habe ich drauf bestanden, dass ein Teil des Ackers auch für Blumen genutzt wird. Ein paar Frauen konnten es verstehen, wenn auch weniger, als man vermuten würde. Nur eine lange Rede, dass das unnütze das Schönste überhaupt ist, hat alle so sehr genervt, bis man ein Teil des Ackers zur Blumenzucht freigegeben hat.
Was nützlich ist und was nicht, kann man eben erst in Notsituationen entscheiden.
In einem teil hatten die Endzeit-Filme nicht recht: Die Menschen knallen sich nicht gegenseitig über den Haufen, sondern gehen aufeinander zu. Freundlich ist man deswegen zwar noch lange nicht, aber so vernünftig, sich dran zu erinnern, dass nicht mehr allzu viele Menschen da sind; selbst, wenn sie unnütz sind.
Tulpen sind toll; allein schon wegen ihrer verschiedenen Farben. Blumen führen uns unser Leben vor. Am Anfang sehen alle gleich aus, grün. Als ob alle die gleiche Aufgabe hätte. Erst später entfaltet sich ihre Individualität.
Für jeden ist eine Schönheit dabei.
Die Blumen werden in unsere Wohnräume gestellt und sie geben den Räumen Schönheit.
Vorher sind mir Blumen nie aufgefallen, habe sie nie beachtet. Doch jetzt, da es nur noch um Nutzen geht, fallen sie besonders auf.
Eine Zeit lang, als neue Pflanzen nachwachsen mussten, hatten wir keine Blumen im Haus. Niemand würde es zugeben, aber alle waren schlechter gelaunt und gereizter als sonst, bis die Blumen endlich wieder auf dem Tisch oder der Fensterbank standen. Vielleicht war das auch nur Einbildung.
Nach der Katastrophe habe ich mir geschworen, nie wieder etwas Gewöhnliches zu machen; das ist eigentlich unlogisch in dieser Zeit, in der der Nutzen wichtiger ist denn je. Aber die Logik hat uns in die Katastrophe geführt. Kann man zumindest meinen.
Bald ist es so weit: Die Tulpen sind bereit für die Ernte, während die Nutzpflanzen noch wachsen müssen. Das Schöne hilft einen über die Wartezeit hinweg, bis das Nützliche, das man nun mal braucht, vorhanden ist. Das kann keiner leugnen. Das Schöne hat auch seinen Nutzen.
Hendrik Fischer
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